11.08.2024

Neuausrichtung des Traditionserlasses der Bundeswehr
Will Verteidigungsminister Pistorius nach seiner Forderung nach „Kriegstauglichkeit“ jetzt auch „Kriegsbereitschaft“ erreichen?


Die Bundeswehr soll mehr Wehrmacht wagen!

 

In einem Beitrag in der TAZ vom 8.8.2024 setzt sich Autor Dirk Eckert mit einer möglichen Neuinterpretation des Traditionserlasses für die Bundeswehr auseinander.
Da mir an Ende dieses Artikels trotz allem noch unklar war, ob der Autor für oder gegen diese Neuinterpretation ist, möchte ich hierzu meine Gedanken darlegen.

Es dürfte bedeuten „Eulen nach Athen zu tragen“, wenn ich an dieser Stelle daran erinnere, dass die Nationale Volksarmee in Ganzheit, ihre Soldaten und ihre Leistungen nach Meinung der damaligen, für die Erarbeitung und Inkraftsetzung des Traditionserlasses der Bundeswehr verantwortliche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen absolut ungeeignet sei.
In der Mehrheit der von der Bundeswehr nachgenutzten Kasernen der NVA wird dieser Fakt in den „Traditionszimmern“ tunlichst verschwiegen, bzw. wird die Zeit von 1956 bis 1990 als „durch die NVA genutzt“ lediglich erwähnt.
In vielen ehemaligen Standorten dürfen NVA-Angehörige auf Weisung des heutigen Standortältesten ihre ehemaligen Kasernen nicht einmal mehr betreten.
Möglicherweise bekommen diese Bundeswehroffiziere schon alleine vom Aussprechen der Worte „Nationale Volksarmee“ Herpesbläschen auf den Lippen.

Aber zurück zur obigen Thematik.
Der Autor des Artikels schreibt, dass im Traditionserlass von 2018 die Wehrmacht als Ganzes als nicht traditionswürdig bezeichnet wird. Einzelne Wehrmachts-Soldaten können aber in das Traditionsgut der Bundeswehr aufgenommen werden, vorausgesetzt sie haben sich durch eine Leistung, wie einer „Beteiligung am militärischen Widerstand“ gegen die Nationalsozialisten, ausgezeichnet.

Stauffenberg ist also o.k.
Wie lange haben sich aber die Bundesrepublik und die Bundeswehr unsäglich schwer getan, Deserteure und Überläufer zu rehabilitieren.
Ich kann mich nicht erinnern, dass auch nur ein Bundeswehrobjekt, ein Schiff der Bundesmarine oder ein Flugzeug der Flugbereitschaft nach einem exekutierten Deserteur benannt wurden.

Nun soll aber die Traditionswürdigkeit auf Wehrmachtsangehörige erweitert werden, die sich durch soldatische Tugenden ausgezeichnet haben, die sie insbesondere befähigt haben, nach 1945 beim Aufbau der Bundeswehr ihre Kriegserfahrungen eingebracht zu haben.
Fortan sollen „nicht nur diejenigen Angehörigen der Wehrmacht, die dem militärischen Widerstand zuzuordnen sind“, sondern auch solche, die nach 1945 beim Aufbau der Bundeswehr mitgewirkt haben, in den Traditions-Kanon der Bundeswehr aufgenommen werden. Denn, so heißt es in den ergänzenden Hinweisen, die der Abteilungsleiter Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Kai Rohrschneider, am 12. Juli 2024 intern verschickt hat: „Die rund 40.000 von der Wehrmacht übernommenen ehemaligen Soldaten hatten sich zu großen Teilen im Gefecht bewährt und verfügten somit über Kriegserfahrungen, die beim Aufbau der Bundeswehr unentbehrlich waren.“
Künftig brauche die Bundeswehr deshalb Beispiele „für militärische Exzellenz, Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf zum Ziel, wenn es der Auftrag erfordert“, begründet Rohrschneider die ergänzenden Hinweise in einer Weisung.

Wer soll hier gewürdigt und zum Beispiel und Vorbild für aktuelle und künftige Bundeswehrsoldaten werden.
Gibt es diese „allgemeinen“ oder „ewigen“ Soldatentugenden wirklich?
In der NVA haben wir die körperliche Fitness als Voraussetzung für die Erfüllung der gestellten Gefechtsaufgaben, zur Erfüllung des Klassenauftrages der NVA angesehen. Sportlich wurde das im Wettbewerb „Stärkster Mann der NVA“ umgesetzt.
Wäre interessant gewesen, wenn es in dieser Disziplin nicht nur Wettkämpfe zwischen den Armeen des Warschauer Vertrages gegeben hätte, sondern auch einen Wettkampf mit der Bundeswehr.
Aber darum geht es bei den Überlegungen zur Neuausrichtung nicht, denn es soll ja „Kriegstüchtigkeit“ hergestellt werden.
Vorbild bzw. „Traditionsträger“ können demnach künftig sein: der beste Jagdflieger der Hitler-Luftwaffe, der beste Panzerjäger, der beste U-Boot-Fahrer, der beste Scharfschütze.
Ja, militärische Meistersschaft und die Fähigkeit, die übertragene Gefechtsaufgabe unter allen Bedingungen zu lösen, waren auch Ziel der Ausbildung in der NVA.
Aber man darf dies auf keinen Fall aus dem historischen oder politischen Kontext lösen.
Hierzu einige Beispiele.
USA-Seals sind mit Gewissheit Meister ihres Fachs. War es aber Ausdruck militärischer Meisterschaft, als damals 3 Teams losgeschickt wurden, nachdem das Versteck Osama Bin Ladens in Pakistan enttarnt werden konnte. Es wäre für diese Supersoldaten ein leichtes gewesen, die „Zielperson“ festzusetzen und in die USA bzw. auf einen USA-Militärstützpunkt zu verbringen.
Aber diese Top-Soldaten wurden losgeschickt, um eine Exekution vorzunehmen.
Es gibt oder gab einen US-Scharfschützen, dem, eingesetzt im Irak, ein erfolgreicher Schuss über 1.600 m zuerkannt wurde. Das Ziel war natürlich keine Zielscheibe, es war ein Mensch. Derartige Todesschüsse werden nicht im Verlaufe eines Gefechts abgefeuert, sondern üblicherweise oft nach tagelangem „auf der Lauer liegen“.
Das Ziel, d.h. das vorgesehene Opfer, hört den Schuss nicht, es sieht weder den Schützen, noch ahnt es etwas davon, dass sein Leben enden wird.
Es gibt keine Aussage darüber, wer getötet wurde, war es ein feindlicher Soldat, ein gesuchter Terrorist oder „nur“ eine missliebige Person.
Auch hier wurde der Soldat schlicht als Henker missbraucht
Übrigens, der nichtgediente Münchner Anton Hofreiter hatte sich nicht nur vehement für Panzerlieferungen in die Ukraine sondern auch dafür eingesetzt, großkalibrige Scharfschützengewehre in die Ukraine zu liefern. Sie seien unerlässlich für deren Verteidigung.
Nebenbei bemerkt, zu meiner NVA-Zeit hatten Scharfschützengewehre noch das alte Kaliber 7,62 mm. Heutige Modelle verschießen meist Patronen des Kalibers 12,7 mm (hatten damals die Fla-MGs auf unseren Panzern), nur so sind die zielsicheren Schüsse weit über 1.000 m möglich.
Was ist das aber für eine Verteidigung, wenn man sich für den Schuss auf den Feind mehrere Tage Zeit läßt?
Ist es eine derartige Form von Verteidigung, bei der ukrainische Soldaten bei militärischen Handlungen im Gebiet von Kursk eine 24-jährige Schwangere erschießen? Das erfordert natürlich unbedingt militärische Meisterschaft und jene Form soldatischer Tugend, wie sie zu Wehrmachtszeiten nicht selten waren.

Es gab mal in der Bundeswehr den Slogan vom „Staatsbürger in Uniform“. Auch wenn wir seinerzeit in der NVA dagegen argumentiert haben, war es doch ein Abgehen von jener Form des sturen preußischen Komißkopps, der Befehle ausführte ohne auch nur nachzufragen oder nachzudenken, wie es eben auch für die faschistische Wehrmacht typisch war.
Erst die Trennung von politischen Rahmenbedingungen und der Frage der militärischen Professionalität, bzw. die Bereitschaft militärisches Können für eine verbrecherische Sache einzusetzen ermöglichte jene Verbrechen, denen sich im Zweiten Weltkrieg auch die deutsche Wehrmacht schuldig gemacht hat.

Verfassungsauftrag der Bundeswehr ist die Verteidigung der Bundesrepublik.
Laut Grundgesetz Art. 26 ist die Führung, ja schon die Vorbereitung eines Krieges, sogar schon Kriegspropaganda unter Strafe gestellt.
Wie ist es da zu werten, dass höchstrangige Führer der Bundesluftwaffe darüber fachsimpeln, wieviele Taurus-Raketen man benötigt, um die Krimbrücke garantiert zum Einsturz zu bringen.
Auch diese Generale sind Meister ihres Fachs, die Verteidigungsminister Pistorius eben deshalb trotz des offensichtlichen Verstoßes gegen das Grundgesetz nicht zur Rechenschaft ziehen will.

Mit der Neuinterpretation des Traditionserlasses geht es um mehr als die Umsetzung des olympischen Gedankens – Höher, Weiter, Schneller. Nein, es geht darum, heutige und künftige Angehörige der Bundeswehr so zu erziehen und zu beeinflussen, dass sie ohne nachzudenken Befehle der militärischen und politischen Führung erfüllen. Militärisches Handeln als Reflex antrainierter Fähigkeiten.
Der unpolitische Soldat ist das Ziel, obwohl es einen derartigen gar nicht geben kann.

„Spitzenkönner“ der Wehrmacht als nachahmenswerte Beispiele für die Bundeswehr, da kann man dann gleich deren Memoiren als Handlungsanleitung bzw. Operationsplan zugrunde legen.
Da passt es, dass es heute scheinbar eine machtausübende Elite in unserem Land gibt, die liebend gern das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges verändern möchte und einen erneuten Krieg mit Russland herbeisehnt.

Wehret den Anfängen!

Siegfried Eichner,
Oberstleutnant a.D.

 


15.08.2024

Nachtrag:  Jetzt kommt die Rolle Rückwärts

 
Ich kann mich wieder auf einen Beitrag in der TAZ, diesmal von 14.08.2024, beziehen. Für die, die ihn in Gänze lesen möchten:
https://taz.de/Erweiterter-Traditionserlass-gekippt/!6030283/

Der Sprecher des Bundesvereidigungsministeriums Oberst i.G. Arne Collatz erklärte auf der Regierungspressekonferenz am 12.08.2024, dass das Bundesvereidigungsministerium seine ergänzenden Hinweise zum Traditionserlass bei der Bundeswehr nach rund einem Monat wieder zurück zieht.
Offensichtlich wird damit auf sofort nach Bekanntwerden dieser ergänzenden Hinweise zum Traditionserlass einsetzenden öffentlichen Kritik reagiert.

Leichtgläubige klopfen sich jetzt auf die Schultern, das Schlimmste verhindert.
Dem ist aber nicht so.
Es steht außer Frage, dass die Bundeswehr in ihrer Entstehungsphase maßgeblich von jenen 40.000 Wehrmachtsangehörigen geprägt wurde, deren „soldatische Leistungen“ Verteidigungsminister Pistorius bei seinem Streben nach „Kriegsfähigkeit“ der Bundeswehr, ja der gesamten Bundesrepublik, erneut zur tragenden Charakteristik der Bundeswehr machen wollte.
Sage mir wer Deine Vorbilder sind, und ich sage Dir, wer Du bist.
(Könnte ein Zitat sein, könnte aber auch meine Schöpfung sein.)
Eine den ergänzenden Hinweisen beigefügte Liste ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, die jetzt zu Vorbildern künftiger Soldatengenerationen taugen sollten, enthielt Wehrmachtsangehörige die zugleich Angehörige der SS und stramme Mitglieder der NSDAP waren.
Bei derartigen Vorbildern ist es dann kein Wunder, dass die Sympathien der heutigen Bundeswehrspitze bei den ukrainischen Banderanacheiferern, Neonazis und Verherrlichern deutsch-faschistischer Gräueltaten in der Sowjetukraine liegen.

Zu eruieren wäre ja mal, wie diese ja mit Gewissheit nur intern verschickten „ergänzenden Hinweise“ in die Öffentlichkeit gelangt sind.
Aber das ändert auch nichts an der grundsätzlichen Situation.
Mit der Rücknahme dieser Ergänzung zum Traditionserlass werden ja nur die öffentlich sichtbar gewordenen und zu Recht scharf kritisierten „Spitzen“ gekappt.
Die äußerst gefährliche antirussische Ausrichtung der Bundeswehr, die Tendenzen des Herbeiredens eines unausweichlichen Krieges mit Russland wird dadurch keineswegs korrigiert.
Unser Land braucht keine Kriegsfähigkeit. So wie die letzten Regierungen gewirtschaftet haben, halte ich bereits eine Verteidigungsfähigkeit für nicht erreichbar.
Bräuchten wir auch nicht.
Es gab mal Helsinki, es gab mal Vorschläge für ein System gegenseitiger europäischer Sicherheit.
Aber da bräuchte es auch eine bundesdeutsche Außenministerin, die sich nicht in der Tradition der Lebensleistung ihrer Großeltern sieht (ihr Großvater wurde als glühender Nationalsozialist charakterisiert).
Wir brauchen eine Wiedergeburt der Friedensbewegung, denn um es mit Brecht zu sagen:
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Siegfried Eichner,
Oberstleutnant a.D.

 

 

 

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