6. Flottille - Schiffsstoßkräfte der Volksmarine

Zeitzeugenbericht von Kapitän zur See a.D. Werner Murzynowski zur Entwicklung der Flottille seit ihrer Gründung aus dem Jahre 1963 bis zum 02.10.1990 aus der Sicht als Kommandant, als Chef einer Raketen-Torpedo-Schnellbootsbrigade und auch aus der Sicht des Chefs der 6. Flottille.

Anfangsüberlegungen

  • Mit Beginn des Aufbaus der Volksmarine wurde sie als Koalitionsflotte entwickelt.
  • Der Auftrag und ihre Aufgaben wurden stets mit der Baltischen Rotbannerflotte und Polnischen Seekriegsflotte abgestimmt. Dabei wurde berücksichtigt, dass die VM im Handlungsgebiet der Arkonasee und Mecklenburger Bucht in als Erste Angriffe des zu erwartenden Gegners aus der Richtung Sund und Belt abzuwehren hatte.
  • Das erforderte die enge Abstimmung der Entwicklung der Kräfte, der Ausstattung und Ausbildung sowie der Handlungen im Zusammenwirken mit den verbündeten Flotten.

Nachfolgend berichte ich über die Entwicklung der 6. Flottille über den Zeitraum ihres Bestehens. 

Die Entwicklung der Schiffsstoßkräfte war seit 1957 bis 1990 immer an dem Auftrag, an dem Bestand sowie der Beschaffung von Schiffen und Booten der Bundesmarine ausgerichtet.
Mitte der 50er Jahre verfügte die Bundesmarine über rund 80 Schiffseinheiten, darunter 4 Zerstörer Typ Fletcher. Mit dem I. Marinerüstungsprogramm 1956 wurden der Bundesmarine 12 Zerstörer, 6 Geleitboote (Fregatten), 40 Schnellboote, 12 U-Boote, 30 schnelle Minensucher, 24 Küsten­mi­nen­sucher, 2 Minenleger, 12 Landungsboote und diverse Sicherstellungsmittel zugeführt.

Aufgaben der Bundesmarine im Rahmen der NATO:

  • Offenhaltung der Ostseezugänge für die eigenen Kräfte und Sperrung für den Gegner
  • Aufklärung bis in die Tiefe der Ostsee
  • Stören und Unterbrechen der Seeverbindungen der sozialistischen Ostseestaaten
  • Unterstützung der in Küstenrichtung handelnden Heereskräfte (Ostsee)
  • Sicherung der Nachschubwege aus Übersee (Nordsee)

Seestreitkräfte der DDR

Der Schiffsbestand der Seestreitkräfte der DDR war dem Bestand der Bundesmarine sowohl in der Anzahl, Bewaffnung und Ausrüstung als auch in der Größe der Schiffe unterlegen. 
Mittel zu Bekämpfung potenzieller gegnerischer Ziele waren kaum vorhanden. Demzufolge hat das Kommando der Volksmarine entschieden, das Torpedoschnellboot Typ 183 von der Sowjetunion zu übernehmen und mit 27 Einheiten die erste Angriffskraft (Stoßkraft) gegen große Überwasserschiffe des potentiellen Gegners zu bilden und ihnen nachfolgende Aufgaben zu übertragen.

Aufgaben und Entwicklung der Stoßkräfte

  • Ständige Aufklärung gegnerischer Kräfte im Seegebiet Mecklenburger- und Lübecker Bucht, des Fehmarn Beltes sowie der gesamten Arkona See
  • Begleitung von Überwasserkampfschiffen des Gegners
  • Abwehr von gegnerischen Angriffen von See und aus der Luft durch den Einsatz der Torpedowaffe und Artilleriebewaffnung
  • Zusammenwirken mit den Sicherungsflottillen in der U-Boot- und Luftabwehr
  • Sicherung und Schutz der Zivilschifffahrt

 

 Torpedoschnellboot Projekt 183 sowjetischer Produktion

 Torpedoschnellboot Projekt 183

Torpedoschnellboot Projekt 183 Torpedoschnellboot Projekt 183  

Im Oktober 1957 wurden die ersten Torpedoschnellboote Projekt 183 in Parow übernommen und bis September 1960 insgesamt 27 Boote in Dienst gestellt. Sie waren in einer Brigade zu je drei Abteilungen mit jeweils 9 TS-Booten gegliedert. Führungsorgane waren der Brigadestab und drei Abteilungsstäbe. 
Die gesamte Breite der Führungsaufgaben von der Ausbildung bis zum Einsatz eines Bootes, einer Gruppe von drei Booten sowie der drei Abteilungen mit je 9 Booten, wurde durch den Brigadestab und die Stäbe der Abteilungen organisiert.
Die operative Führung zur Erfüllung von Gefechtsaufgaben oblag dem Kommando der Volksmarine über seinen operativen Dienst (OP-Dienst).

Die Abteilungen waren in die Kampfreserve, den Kampfkern 2 und Kampfkern 1 gegliedert.
Das war in den damaligen Festlegungen zur Dauer eines Ausbildungsjahres und der damit verbundenen Wechsel und Zuführungen von Matrosen und Maate begründet.
In der Kampfreserve begann die Einzelboots- und Gruppenausbildung. Im Kampfkern 2 bildete die Gruppen- und Abteilungsausbildung den Schwerpunkt im Ausbildungsjahr.
Kernaufgaben zur Bekämpfung von mittleren und großen Überwasserkräften des potentiellen Gegners waren der Torpedoangriff als Einzelboot, in der Gruppe und in der Abteilung. Der Brigadeangriff bildete den Höhepunkt der Ausbildung im Kampfkern 1.
Übungen zum Einsatz der Artilleriebewaffnung gegen See- und Luftziele, zum Legen von Minen und zum Einsatz von Wasserbomben im Zusammenwirken mit U-Jagd Kräften, die Suche und Rettung von Bestzungen und das Bergen von beschädigten Booten waren ständig im Programm eines Ausbildungsjahres.
Ab 1962 erfolgte die Zuführung der ersten 2 Raketenschnellboote Projekt 205. Bis 1965 verfügte die Flottille über 15 Boote, die ebenfalls in drei Abteilungen in einer Brigade gegliedert waren. Die Ausbildung erfolgte gleichfalls in den Strukturen der Kampfreserve, dem Kampfkern 2 und  1.
Ab 1963/64 wurde die neu gebildete Brigade leichter Torpedoschnellboote gegründet und in drei Abteilungen zu je 10 Booten gegliedert. Die Gefechtsausbildung erfolgte auch im Kampfkern 1 und 2 sowie in der Kampfreserve.
Mit diesem Kampfbestand verfügte die Volksmarine mit Beginn der 60er Jahre über ein Potential, das die Grundlage der Stoßkräfte der Volksmarine bildete.
Mit der Zuführung der Raketenschnellboote Projekt 205 war eine anfängliche Überlegenheit in der Möglichkeit, einen Angriff gegen ein Ziel aus größeren Entfernungen vorzutragen, gegeben.
Diesen Vorteil hat die Bundesmarine sehr schnell kompensiert, 10 Raketenschnellboote aus französischer Produktion zugeführt und den Bestand mit Raketenschellbooten aus eigener Produktion ergänzt.

 

Meine erste Offiziersdienststellung

Nach der Ernennung zum Offizier wurde ich als Kommandant eines leichten Torpedoschnellbootes in die in Aufstellung befindliche LTS-Bootsbrigade der 6. Flottille versetzt. Die Brigade war in Ribnitz-Damgarten stationiert. Wir waren 30 neu ernannte Offiziere für drei geplante Abteilungen zu je 10 LTS Booten. Die Technik befand sich noch in der Erprobung.
Das Leichte TS Boot Projekt 63, (ILTIS), wurde in der Peenewerft Wolgast entwickelt und gebaut. Das Boot war mit zwei Torpedorohren ausgerüstet. Parallel dazu entwickelt die Yachtwerft Berlin das Projekt 68 (Hydra). Der Bootskörper war aus Mahagoniholz gefertigt. Drei Torpedorohre mit dem Kaliber 39, bildeten die Hauptbewaffnung. Beide Typen hatten den Torpedo 39 PM an Bord. Die Torpedos wurden mit dem Gefechtskopf in Fahrtrichtung aber nach achtern ausgestoßen. Das Projekt 68 konnte sich aufgrund schwieriger Wartungs- und Instandhaltungsbedingungen nicht durchsetzen.
Unsere Ausbildung auf die Technik und die Methoden ihres Einsatzes erfolgte zum größten Teil theoretisch.  Hauptinhalt war das Üben von Torpedoangriffen auf der Planchette und das Schätzen des Angriffswinkels an einem Schiffsmodell auf einer Kreisscheibe mit Gradeinteilung. Der Ausbilder drehte das Schiff in unterschiedliche Kursrichtungen und wir schätzten an Hand der sichtbaren Schiffsaufbauten den Angriffswinkel. Den Torpedoangriff in allen Varianten und das Schätzen des Angriffswinkels übten wir über Monate.
Zweiter Ausbildungskomplex war das Studium der südwestlichen Ostsee. Die Küstenverläufe, Schifffahrtswege, Häfen und ihre Ansteuerungen in der Arkonasee, Mecklenburger-, Lübecker- und Kieler Bucht hatten wir im Kopf. Besonders gründlich wurden die Ansteuerungen und Fahrwasser zu unseren Häfen und Anlegern in den Boddengewässern auswendig gelernt. Das war zweckmäßig, denn unsere Boote hatten wenig Hilfsmittel zum Navigieren.
Wir haben uns arrangiert und die Zeit bis zur Auslieferung der Boote so weit wie möglich nützlich verbracht.
Nach und nach erfolgte die Zuführung der Technik und der Aufbau der Abteilungen. Die Brigade wurde mit dreißig leichten Torpedoschnellbooten Typ „Iltis" ausgerüstet. Als Hauptbewaffnung hatte das Boot zwei Torpedorohre zum Einsatz des Torpedos 39 PM.
Die Boote wurden zur schnellen Aufklärung von Seezielen, zum Einsatz der Torpedowaffe, zum Legen von Minen und zum Absetzen von Kampfschwimmern eingesetzt.

Torpedoschnellboote Projekt 131

Leichtes Torpedoschnellboot Projekt 63 „Iltis"

Nach Ablauf ihrer Verwendungsdauer wurden sie durch die kleinen Torpedoschnellboote Projekt 131 ersetzt, die in zwei Brigaden kleiner TS-Boote mit je 3 Gruppen zu je 5 Booten gegliedert waren.
Die Truppe ist zusammengewachsen und hat in der Folgezeit in der 6. Flottille Geschichte geschrieben, die in der Chronik „Die Schnellsten der Ostsee„  ausführlich beschrieben wurde.

 

Für mich war die Zeit in dieser Brigade aber schnell zu Ende.

Im April erfolgte meine Versetzung in die TS-Bootsbrigade. Mein Dienst in dieser Brigade begann im April 1964 als Kommandant auf dem Boot mit der Bordnummer 824.
(In der Bedeutung der Nummer: 8 = Torpedoschnellboot, 2 = Nummer der Abteilung und 4 = taktische Nummer in der Abteilung.)
Diese Abteilung war zu der Zeit zur Erfüllung aller Gefechtsaufgaben ausgebildet und hatte den Status Kampfkern 1.
Als damals jüngster Kommandant auf einem Gruppenboot war ich auf das Wissen und Können meiner Besatzung voll und ganz angewiesen. Theoretisch waren mir meine Aufgaben als Kommandant durchaus klar.

 Torpedoangriff

Brigadeangriff

Praktische Erfahrungen konnte ich während meines Offizierspraktikums in einer Abteilung, die zu der Zeit den Status Kampfkern 1 hatte, sammeln.  Die Abteilung war für den Einsatz der Haupt- und Nebenbewaffnung unter allen Bedingungen ausgebildet und gefechtsbereit. Der Offiziersbestand war überwiegend erfahren in der Boots- und Menschenführung.
Hier traf ich auf viele Maate und Matrosen, die infolge der Kuba Krise 1959 ihre Dienstzeit freiwillig um ein Jahr verlängert hatten. Sie brachten damit ihre Bereitschaft zum Ausdruck, die Heimat auch weiterhin mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.
Unser Praktikum hatte zum Ziel, den Einsatz der Haupt- und Nebenbewaffnung zu erlernen, die Leck- und Brandbekämpfung zu trainieren und die Führung des Bootes zu üben. Das Praktikum endete mit der theoretischen und praktischen Prüfung zur Führung eines TS-Bootes (Kommandantenprüfung) unter einfachen Bedingungen. Ich habe mich intensiv auf diese Prüfung vorbereitet und sie mit guten Ergebnissen bestanden. Damit wollte ich mich zum Einsatz als Kommandant auf diesem Bootstyp empfehlen.
Deshalb hat mich der Versetzungsbefehl zum Einsatz als Kommandant auf das TS-Boot 842 sehr gefreut.
Meine Besatzung lernte ich quasi in See kennen. Ich war der jüngste und unerfahrenste an Bord. Der Leitende Ingenieur (LI) war mein Rückhalt. Er war bereits vier Jahre an Bord und mit der Besatzung verwachsen. Sie kannten und beherrschten ihre Aufgaben aus dem FF. Ich musste mich nur auf mich selbst konzentrieren, das Boot see- und gefechtsklar melden und den Hafen sicher verlassen. Zu meiner und aller Sicherheit wurde mein Boot Führerboot der Abteilung. Das heißt, der Abteilungschef (ACH) führte die Abteilung von meinem Boot. Gleichzeitig gab er mir einen enormen Rückhalt ohne mich in meiner Kompetenz einzuschränken. Mit dem Anlegen im neuen Stützpunkt mit guten Manövern hatte ich die erste Bewährungsprobe erfolgreich bestanden. Mein Einstieg in die Besatzung war gelungen. Dann folgten Monate, in denen ich von der Besatzung lernte. Mein Anspruch an mich selbst – ich wollte können, was meine Matrosen und Maate auf ihren Gefechtsstationen beherrschen mussten.  Wir wurden eine tolle Truppe.

Leider wurde ich am Ende des Ausbildungsjahres wieder in eine andere Abteilung versetzt.
Meine bisherige Abteilung wurde in die Kampfreserve zurückgestuft. Grund war die Entlassung und Neuzuführung von Personal.
Im November übernahm ich in der 6. TSA das Boot 862. Die Abteilung hatte den Status Kampfkern 1 erreicht. Ich kam aus dem Kampfkern 1 und übernahm das nächste Boot im Kampfkern 1. Aber mit dem Unterschied, ich konnte auf dem vorgehenden Boot umfangreiche Erfahrungen in der Dienststellung Kommandant sammeln und beherrschte meine Aufgaben. Wir fuhren jetzt als taktische Nr. 2 in der ersten Gruppe der Abteilung. Es gab keine Hilfestellung mehr durch die Anwesenheit des ACH oder SC der Abteilung. Mit dieser Besatzung konnte ich in den folgenden 2 Jahren alle Aufgaben als Einzelboot, in der Gruppe und in der Abteilung erfolgreich lösen. Wir waren oft mit Sonderaufgaben betraut.

 

Folgende Episode hat Erinnerungswert

Wieder waren wir zur Aufklärung in der Mecklenburger Bucht eingesetzt. Schwacher Wind aus westlicher Richtung, See 2 bis 3, ausgezeichnete Sicht, sonnig bis bewölkt. Wir hatten einen Zerstörer aufzuklären, der durch den Fehmarn Belt in die Mecklenburger Bucht eingelaufen sein soll. Der Zerstörer war weder mit Radar noch optisch auszumachen. Folglich meldete ich das Ergebnis per Funk an den OP- Dienst der Volksmarine.
Die TS-Brigade wurde in dieser Zeit noch durch das Kommando der VM über den OP-Dienst geführt.
Dann kam der Spruch mit dem Inhalt: „Zerstörer auf Position ……… mit Torpedo angreifen und vernichten".
Diese Position lag östlich der Insel Moen in der Arkonasee, ca. 15 Seemeilen von unserer Position entfernt.
Ich sehe noch das Gesicht unseres E-Nautikers, völlig blass und mit fragenden Augen. Auch ich war erschrocken, handelte aber entsprechend der Gefechtsvorschrift, befahl Gefechtsalarm zum Torpedoangriff und nahm Kurs auf die befohlene Position. Gleichzeitig habe ich per Funk um die Überprüfung des Spruchinhaltes ersucht.
Die Besatzung handelte lt. Gefechtsvorschrift. Niemand hat gezögert. Was der Einzelne dachte, ich weiß es nicht.
In meinem Kopf liefen schlimme Gedanken ab. Hoffentlich weiß der (Zerstörer) noch nichts, sonst geht der Angriff für uns mit Sicherheit nicht gut aus.
Es vergingen bange Minuten, wir waren auf Annäherungskurs zum Angriff.
Endlich wurde meine Nachfrage zum vorliegenden Befehl mit dem Inhalt - Aufgabe abbrechen und sofortige Rückkehr in den Stützpunkt - beantwortet.
Die Ursache für diesen Zwischenfall war offensichtlich ein Fehler bei der Verschlüsselung des Spruches.
Man kann sich vorstellen, welche Last von unseren Schultern gefallen ist.
Nicht nur uns stand der Angstschweiß auf der Stirn. Auch in der Flottille wurde der Spruch gehört, ausgewertet und dem FCH gemeldet. Ob er sich eingeschalten hat, ist mir nicht bekannt. Was im Dienstbereich des OP-Dienstes abgelaufen ist, weiß ich auch nicht.
Wir aber waren heil froh, dass der Angriffsbefehl ein Fehlalarm war.

Dann folgte die nächste Versetzung im Herbst 1966 in die 4. TSA als Kommandant des Bootes 841. Die 841 war Führerboot der Abteilung und Gruppenboot. Mit anderen Worten, ich führte drei Boote zum Torpedoangriff.
In dieser Zeit hatte ich einige Einsätze zur Sicherstellung von Raketenangriffen der Raketenschnellbootsbrigade sowohl als Einzelboot als auch in der Gruppe. Unsere Aufgabe war die rechtzeitige Aufklärung und Verfolgung des Zieles, die Übermittlung der Zieldaten wie die Position, Kurs und Geschwindigkeit des Gegners zur Sicherstellung eines frühzeitigen Raketenschlages mit anschließendem Torpedoangriff zur Ausweitung des Erfolges.

Als Kommandant war ich in vielen Seeeinsätzen in der südwestlichen Ostsee zur Aufklärung im Einsatz. Dabei hatten wir fast ständig Kontakt mit Einheiten der Bundesmarine, der Dänischen- und auch Norwegischen Marine, die selbständig und im Zusammenwirken vor unserer Haustür (Mecklenburger Bucht) operierten. Es kam oft zu Provokationen, die durchaus darauf schließen ließen, dass man es mit Drohgebärden ernst meinte.
Zum Beispiel:
Was sollten wir denken, als die Bordgeschütze einer Fregatte auf unser Boot gerichtet wurden oder wie in einem anderen Fall, die Totenkopfflagge in der Rah gezeigt wurde.
Auch Überflüge von Flugzeugen Typ „Starfighter" waren nicht selten. Man konnte meinen, die Piloten hatten Spaß daran.
Eine Reihe von Gefechtsausbildungsmaßnahmen der Bundesmarine und der NATO-Seestreitkräfte in der Mecklenburger Bucht und Arkonasee ließen auf eine deutliche Absicht schließen.
Für mich war das jedenfalls eindeutig.
Demzufolge legte ich gesteigerten Wert auf Wissen und Können in der Ausbildung – im Hinterkopf immer die Sicherung des Überlebens meiner Besatzung im bewaffneten Konflikt.
Das war auch später mein Leitmotiv in allen Dienststellungen vom Kommandanten bis zum Flottillenchef.
Im Jahr 1968 begannen in der Flottille Maßnahmen zur Außerdienststellung der Projekte 183 und Einführung der Projekte 206.
Die Veränderungen in der Bewaffnung und der Anzahl der Raketenträger beim Gegner erforderten entsprechende Reaktionen.
Die RS- und TS-Brigade wurden umstrukturiert und drei gemischte Brigaden zu je 5 RS-Booten und 6 TS-Booten gegliedert. Es entstand die 1.,3. und 5. Raketen-Torpedo-Schnellbootsbrigade (RTSB-Brigade).
Die 9. LTS-Brigade mit 30 Booten blieb zunächst unverändert.

Die Flottille hatte ab Ausbildungsjahr 1971 eine neue Struktur.
Damit änderte sich auch das Ausbildungssystem und das System der Zuführung von Matrosen und Maate. Die Ausbildung von Kampfreserve über Kampfkern 2 bis zum Kampfkern 1 war nicht mehr zeitgemäß.
Die gestiegenen Gefechtsmöglichkeiten des Gegners erforderten einen höheren Grad an gefechtsbereiten Schiffen und Booten.
Deshalb änderte man das Zuführungssystem bei Matrosen und Maate von einmal jährlich auf zweimal jährlich und ergänzte den Personalbestand auf den Booten zu 20% neu.
An der Flottenschule in Parow wurde die Schulschiffsbrigade gebildet, in der die Grundausbildung für den Bordbetrieb auf den Schiffs-/Bootstypen erfolgte. Die Flottille stellte dazu je 3 RS-Boote und TS- Boote ab. In den RTS-Brigaden erfolgte dann nur noch die Ausbildung zur Herstellung der Geschlossenheit der Besatzungen.
Das Ganze war natürlich verbunden mit erheblichen Bewegungen auf der Personalebene.

Diese Zeit war auch für mich durch Weiterbildung und Besuch der Militärakademie der Seestreitkräfte der UdSSR in Leningrad geprägt.

 

Teil II
Ich werde Brigadechef

Erst nach Abschluss der Akademie 1973 kam ich zurück in die Flottille und wurde Chef der 1. Torpedoschnellbootsabteilung. Bereits nach einem Jahr wurde ich Stabschef der Brigade und wieder 1 Jahr später erhielt ich das Kommando über die Brigade.
Nun war ich Brigadechef und nicht wenig stolz. Fast 6 Jahre durfte ich diese Dienststellung ausüben. Eine schöne Zeit.

Die Gefechtsausbildung bildete den Schwerpunkt meiner Führungsarbeit. Die Boots- und Abteilungsausbildung aber besonders das Zusammenwirken meiner TS- und RS-Abteilung in der Gefechtssicherstellung zum Einsatz der Haupt- und Nebenbewaffnung, bildeten die Hauptaufgabe
In dieser Phase legte ich besonderen Wert auf die Einarbeitung junger Offiziere in ihre erste Offiziersdienststellung an Bord und auf ihre Vorbereitung auf die Übernahme der nachfolgenden Dienststellung. Damit war gesichert, dass die Brigade immer über genügend Kadernachwuchs verfügte und durch Versetzungen bedingt, freiwerdende Dienststellungen umgehend besetzt werden konnten. Dadurch war der Verlust im Ausbildungsstand der Brigade und ihrer Kampfkraft gering, konnte schnell ausgeglichen werden und die Brigade verlor nicht an Gefechtswert.

Ich kann hier nicht die sechs Jahre meiner Zeit als Chef einer RTSB-Brigade schildern.
Aber über einige wichtige Fakten will ich gern berichten.

 

Raketeneinsatz

  

Sicherstellung des Gefechtsdienstes

  • Die 6. Flottille hatte seit ihrer Gründung vor allem die Aufgabe, in der Mecklenburger Bucht, der Arkonasee und östlich Rügen gegnerischer Schiffskräfte aufzuklären und zu begleiten.
  • So sollte die frühzeitige Reaktion auf eine bewaffnete Auseinandersetzung sichergestellt werden. Außerdem erhielt die Flottille eine neue Struktur. Ziel war die Bereitstellung von bis zu fünf gefechtsbereiten Schiffsschlaggruppen in kürzester Zeit.
  • Ab 1974 wurde die 7. LTS Brigade nach Zuführung einer neuen Generation kleiner TS-Boote
  • Projekt 131 in die 7. und 9. KTS - Brigade mit je 15 Booten in je drei Gruppen umformiert.

In der Gefechtsstruktur der Flottille wurden die Brigaden als Schiffsschlaggruppe (SSG) 601, 602, 603, 604 und 605 geführt.

In der ständigen Gefechtsbereitschaft wurde auf dem Gefechtsstand der 6. Flottille täglich 16.00 Uhr der Einsatzklarzustand der Boote gemeldet und die Gefechtseinteilung vorgenommen. Damit waren auch die Aufgaben mit Beginn einer höheren Stufe der Gefechtsbereitschaft bis hin zum Zusammenwirken der Stoßkräfte der VM und der Kräfte der Baltischen Rotbannerflotte und der Polnischen Seekriegsflotte geregelt.

Für die unverzügliche Aufklärung und Begleitung gegnerischer Kräfte war ab 1971 immer die SSG 601 zuständig. Sie war auch die SSG, die mit Gefechtsmittel ausgerüstet war. Diese wurden je nach der Stufe der Gefechtsbereitschaft in einem unterschiedlichen Klarzustand gefahren. Folglich mussten 4 Raketenschnellboote, die mit Gefechtsraketen ausgerüstet waren, aus Sicherheitsgründen in einer Sicherheitszone liegen.

Im Hafen Bug war das am Ende der Pier 4. Aufgrund der hohen Belastung von Mensch und Material rotierten die Brigaden halbjährlich.  In der Regel wurde in den Monaten April und November gewechselt. Die Brigade, die die SSG 601 über den Winter stellte, hatte dann zusätzliche Belastungen zu tragen, wenn sie auf Grund der Wetterlage (Eis im Fahrwasser und am Küstenrand) in den Hafen Sassnitz verlegen musste. Dieser Hafen war durch den ständigen Fährverkehr überwiegend eisfrei und sicherte damit die schnelle Entfaltung unserer Kräfte.

Während der Zeit des Gefechtsdienstes waren immer je zwei RS-Boote und zwei TS-Boote in Sofortbereitschaft zur Erfüllung von Gefechtsaufgaben. Diese Besatzungen waren eine Woche ununterbrochen an Bord und wurden wöchentlich mit folgendem Wortlaut zum Gefechtsdienst vergattert.

„Zum Schutze der Seegrenzen der Deutschen Demokratische Republik im festen Bündnis mit den Waffenbrüdern der Vereinten Ostseeflotten
Vergatterung!"

Dann begann für den vergatterten Personalbestand der Alltag im Gefechtsdienst.

 

Überprüfung der Gefechtsbereitschaft 1980

Im Juli 1980 wurde die 1. RTS-Brigade gefechtsmäßig überprüft.
Nach Herstellung der Gefechtsbereitschaft wurden zwei RS-Boote mit je einer Rakete ausgerüstet. Mit den zwei RS-Booten und einem TS-Boot wurde eine Schiffsschlaggruppe gebildet, die im Zusammenwirken mit einer polnischen SSG und einer SSG der Baltischen Rotbannerflotte im Rahmen einer Übung der Räumkräfte der Baltischen Flotte die Sicherung dieser Kräfte gegen Angriffe von Überwasserkräften des Gegners zu gewährleisten hatte.

Die Räumkräfte handelten im Raum Baltijsk. Unser Handlungsgebiet erstreckte sich von süd-östlich Bornholm, Gdansker Bucht bis Kap Taran. Zieldarstellung fuhr der Kreuzer „Oktjabrskaja Revolutzia". An Bord befanden sich die Chefs der drei Flotten und der Oberkommandierende der Warschauer Vertragsstaaten Marschall der Sowjetunion Kulikow. Das Wetter war nicht das beste. Wind 6 bis 7 und See um 5 waren grenzwertig für einen faktischen Waffeneinsatz. Die vorgesehenen polnischen TS-Boote kamen wegen der Wetterlage nicht zum Einsatz

Unsere Aufgabe war die Aufklärung, Bekämpfung und Vernichtung des Gegners in drei aufeinanderfolgenden und konzentrierten Raketenschlägen (simuliert) nach Angaben eines Fühlungshalters auf möglichst maximale Schussdistanz.  Den 1. Raketenschlag führten wir unter meinem Kommando, den zweiten unter dem Kommando des Chefs der polnischen SSG und den dritten Angriff führte der Chef der SSG der 24. Brigade der Baltischen Rotbannerflotte. Alle handelten nach den Zielangaben unseres TS-Bootes. Die Besatzung hat unter Führung ihres Kommandanten einen hervorragenden Einsatz gezeigt und das Ziel sicher aufgeklärt, begleitet und gut verwertbare Zieldaten übermittelt. Die spätere Auswertung ergab, dass das Ziel mit allen drei Raketenschlägen sicher bekämpft und vernichtet worden wäre.
Der simulierte Torpedoangriff war offensichtlich auch erfolgreich. Denn der Kommandant lief auf dem errechneten Torpedokurs mit maximal möglicher Geschwindigkeit und brachte den Kreuzer zum Abdrehen. Das Zielschiff hatte den Angriff offensichtlich zu spät bemerkt.

Nach dieser Aufgabe war das faktische Raketenschießen durch die drei handelnden SSG`n im Schießgebiet vor Baltisk nach Fühlungshalterangaben auf maximale Schussdistanz zu einer festgelegten Schlagzeit befohlen. Die Führung dieser Aufgabe wurde mir befohlen.
Unsere SSG war am weitesten vom Schießgebiet entfernt und musste mit hoher Geschwindigkeit laufen, um rechtzeitig im Schießgebiet zu sein. Die See hat uns gut durchgeschüttelt. Dann auch noch die Meldung des Leitenden Ingenieurs (LI) vom Führerboot „Eine Maschine muss abgestellt werden, sie läuft heiß und droht auszufallen“.  Mir blieb nichts weiter übrig, als zu befehlen, die Maschine so lange zu fahren bis sie ausfällt. Der LI war verstört, widersprach aber nicht und hat wohl eine kleine Heldentat vollbracht, um die Maschine so lange wie möglich am Laufen zu halten. Sie musste nach dem Einlaufen gewechselt werden. Aber wir waren pünktlich auf der befohlenen Ausgangsposition. Die beiden anderen SSG`n waren bereits auf ihrer Position. Ich übernahm das Kommando und befahl dem Kommandanten unseres TS-Bootes zur Zielaufklärung abzulaufen und die Zieldaten, berechnet nach Kap Taran zu übermitteln.
Die rechtzeitige und richtige Übermittlung der Peilung und Distanz zum Kap Taran war die eine Seite. Wir hätten die Raketen rechtzeitig auf maximale Distanz, 220 kblg. starten können.
Aber:
Der Kommandant unseres TS-Bootes meldete über UKW „Westdeutsches Aufklärungsschiff liegt nördlich ca. 15 bis 20 kblg. hinter der Zielscheibe“.
Darauf habe ich den sofortigen Abbruch des Angriffs befohlen, die Meldung des Aufklärers an den Kreuzer über UKW übermittelt und vorgeschlagen, die „Oste" über internationales Funknetz aufzufordern das Schießgebiet unverzüglich zu verlassen.
Es verging gut eine Stunde ohne Ergebnis.
Um die Raketen dennoch starten zu können, habe ich vorgeschlagen, den Angriff nach eigenen Zielparametern auf 110 kblg auszuführen.
Damit war die Sicherheit der „Oste" gewährleistet.
Der Zielsuchkopf der Rakete hat die Scheibe sicher im Visier. Mein Vorschlag wurde bestätigt. Ich gab die notwendigen Befehle zur Annäherung an die Scheiben auf 110 kblg. und befahl die Zeit des Schlages (Eintreffen der Rakete am Ziel). Die Chefs der SSG`n haben die Startzeit ihrer Raketen berechnet und den Start separat befohlen. Alle Raketen wurden zeitgerecht gestartet. Leider haben nicht alle das Ziel erreicht. Unsere Rakete aber hat erheblichen Schaden an der Scheibe angerichtet.
Der ungebetene Aufklärer dürfte beeindruckt gewesen sein.
Es waren fast zwei Stunden vergangen, seitdem die Raketen startklar waren. Wenn wir die Raketen so nicht hätten starten können, hätten die Armaturen abgeschaltet werden müssen.
Man kann sich vorstellen, wie allen an Bord bei vollem Verschlusszustand, der angestauten Wärme auf den Gefechtsstationen und unter Kampfanzug zu Mute war. Ich glaube, da hat jeder mindestens 1 bis 2 Kilogramm Gewicht verloren.
Vom Kreuzer kam ein Glückwunsch zur Erfüllung der Aufgaben und der Befehl zur Rückkehr in die Stützpunkte. Wir hatten einen langen Weg vor uns und konnten nur mit eingeschränkter Geschwindigkeit laufen. Wir haben eine Maschine aufgeben müssen. Der Wind und die See hatten nachgelassen und wir fuhren mit gutem Gefühl zurück in unseren Stützpunkt.
Nach wenigen Tagen wurde mir eine Urkunde mit Aussprechen des Dankes durch den Oberkommandierenden der Streitkräfte des Warschauer Vertrages, Marschall der Sowjetunion Kulikow, übergeben.
Übersetzung:
Für die geschickte, sachkundige Führung der handelnden Unterstellten während der taktischen Übung der Stoß- und Räumkräfte der vereinten Flotten auf der Ostsee mit der Ausführung von faktischen Raketen- und Artillerieschießen und der dabei entwickelten Initiative spreche ich

dem Fregattenkapitän Werner Murzynowski den Dank aus.
Ich wünsche dem Genossen Werner Murzynowski
eine kräftige Gesundheit und weitere Erfolge in der Arbeit.

 

Inspektionen und Überprüfungen

Im Verlaufe meiner Dienstzeit als Chef der 1. RTSB-Brigade wurde diese im Bestand der Flottille zweimal durch das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) und einmal durch das Vereinte Kommando der Streitkräfte des Warschauer Vertrages in der Flottille inspiziert.
Der Flottillenstab überprüfte unsere Gefechtsbereitschaft in dieser Zeit zweimal.
Die Nagelprobe für unsere Gefechtsbereitschaft war die Inspektion unter Leitung des Stabes der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages im März/April 1982. Wir wurden mit der Note gut bewertet. Der Leitende der Inspektion, Admiral Michailin, konnte sich davon überzeugen, dass die Angehörigen unserer Brigade bereit und in der Lage waren, ihre Aufgaben im Zusammenwirken mit anderen Kräften der verbündeten Ostseeflotten zu erfüllen. Bei seinem Besuch bei uns musste ich meinen Auskunftsbericht in freier Rede und russischer Sprache vortragen und Fragen ebenfalls auf Russisch beantworten. Das fand Anerkennung. Meine Ausführungen übersetzte unser Dolmetscher für den CVM zurück ins Deutsche.
Sowohl der Leiter der Inspektion Admiral Michailin als auch unser Chef der Volksmarine, Admiral Ehm, waren beeindruckt und verabschiedeten sich aus unserer Brigade mit Erinnerungsfotos

6. Flottile 6. Flottile 
Besuch Admiral Michailin und Admiral Ehm während der Inspektion des Vereinten Oberkommandos in der Brigade. (Foto: Peter Prast)

In mehreren Raketen- und Torpedoschießabschnitten, beim Bekämpfen von See- und Luftzielen mit der Artilleriebewaffnung, beim Legen von Minen und beim Einsatz von Wasserbomben gegen Unterwasserziele erreichten unsere Besatzungen überwiegend gute bis sehr-gute Ergebnisse.
Unser Leistungsvermögen haben wir besonders im 20. Raketenschießabschnitt vor Baltijsk unter Beweis stellen können. Trotz stürmischem Wind und hoher See, haben die Besatzungen unsere Boote alle Raketen auf maximale Distanz von Bord gebracht. Alle haben das Ziel getroffen. 
Nach dem Einlaufen meldete ich die erfolgreiche Erfüllung der Aufgabe an den FCH.
Der FCH aber drohte mir (mit verschmitztem Lächeln) Regressforderungen an.
Begründung, unsere Raketen hatten nicht nur Reflektoren und Netze zerstört, sondern auch den Scheibenkörper stark beschädigt. Das zeugte von einer hervorragenden Arbeit unserer Regelgruppen, die die Raketen zum Gefecht vorbereitet hatten.

6. Flottile 6. Flottile 

Soweit ich mich erinnere, haben unsere Raketen in allen Schießabschnitten den Hangar verlassen und ihr Ziel erreicht.
In der Zeit der ständigen Gefechtsbereitschaft lief nicht nur der Dienst in der Brigade, sondern auch der ständige Vergleich zwischen den Brigaden auf allen Gebieten des militärischen Lebens im Rahmen des sozialistischen Wettbewerbs.
Unsere Brigade wurde für Ihre Leistungen dreimal mit dem Titel „Bester Truppenteil“ ausgezeichnet und erhielt zweimal das „Artur Becker Ehrenbanner“ des Zentralrates der FDJ der DDR.

 

Verabschiedung unserer Matrosen und Maate, die ihren Dienst beendeten.

Bei einem tragischen Seeunfall kamen sieben Besatzungsmitglieder eines TS-Bootes ums Leben. In einer bewegenden Trauerfeier wurde in der Dienststelle ein Gedenkstein enthüllt. Er erinnert uns seitdem immer an diese Matrosen, die in treuer Pflichterfüllung ihr Leben für die Heimat gaben.
Seit dieser Zeit gehörte es zur Tradition, dass die zukünftigen Reservisten am Tag ihrer Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst, am Ehrenmal Kränze niederlegten und das Versprechen abgaben, zu jeder Zeit vorbildlich ihre soldatische Pflicht zu erfüllen.

6. Flottille 6. Flottille

Der Wortlaut dieses Versprechens ist hier im Originaltext aufgezeichnet.

6. Flottille

Nach der Auflösung der Flottille wurde dieser Gedenkstein auf dem örtlichen Friedhof aufgestellt und wird sehr oft durch ehemalige Angehörige der Flottille besucht. Die Marinekameradschaft Bug/Dranske hat sich die Verpflichtung auferlegt, das Denkmal zu pflegen und einmal jährlich im August unseren Toten auf See die Ehre zu erweisen.
Ihnen möchte ich hiermit danken.

 

Überraschender Wechsel in den Stab der Flottille

Im Januar 1983 erhielt ich den Versetzungsbefehl und wurde Leiter der UA-Operativ im Stab der Flottille. Zu der Zeit wurde die Überprüfung der Gefechtsbereitschaft meiner Brigade durch den Flottillenstab geplant. Mir wurde jeder Zugang zu den Dokumenten untersagt und Stillschweigen befohlen. Ich hielt mich daran. Die Brigade hatte einen guten Ausbildungsstand. Ich war überzeugt, dass die Überprüfung auch ohne mich gute Ergebnisse aufzeigen würde. So war es dann auch. Die Brigade war gefechtsbereit. 

Die neuen Aufgaben haben meine ganze Kraft gefordert. Die Einarbeitungszeit in die Aufgaben, die diese Dienststellung erforderte, war sehr kurz. Die Monate Februar bis Mai verliefen wie im Fluge. Es folgte eine Inspektion in der Flottille durch das MfNV, Sie zeigte Schwächen in der Gefechtsausbildung die zur Bewertung mit der Note Drei führte.
Die Übung „Herbstwind 83“ (Überprüfung der Gefechtsbereitschaft der Flottille durch das Kommando der Volksmarine), die über 12 Tage unter schwierigen meteorologischen Bedingungen verlief, verlangte allen alles ab und brachte überwiegend gute Ergebnisse.
Kurz danach folgte meine Weiterbildung gemeinsam mit dem Leiter der Abteilung Operativ im KVM an der Militärakademie in Leningrad über 4 Monate.in einem höheren Akademischen Kurs
In dieser Zeit haben wir Varianten des Einsatzes der Stoßkräfte der VM im Rahmen einer Operation zur Abwehr erster Schläge des Gegners aus der Luft und von See sowie den Kampf um die Seeherrschaft in der südwestlichen Ostsee im Interesse der Sicherung eines günstigen operativen Regimes durchgearbeitet. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse waren mir eine starke Grundlage für die Erfüllung nachfolgender Aufgaben.
Nach meiner Rückkehr hatten wir die Nachinspektion zur Prüfung der Veränderungen in der Gefechtsausbildung zu bestehen. Im Endergebnis wurde die Flottille mit gut bewertet.

 

Es folgte ein Gefechtseinsatz gegen das Schlachtschiff „ IOWA“ der USA

Das NATO-Manöver BALTOPS im September 1985.
Im September 1985 operierte ein Verband der NATO-Ostseeanrainer und der USA mit dem Schlachtschiff „IOWA" in der Ostsee.
Im östlichen Teil der Ostsee kam es auch zu einem demonstrativen Waffeneinsatz dieses Schiffes mit dem Hauptkaliber der Artillerie.
Man muss wissen, dass die IOWA als Kernwaffenträger mit den Raketen „Tomahawk" ausgerüstet war, die eine Reichweite von bis zu 2.500 km hatten. Das war eine mächtige Bedrohung der sozialistischen Staaten.
Diese Situation wurde sehr ernst genommen und als Bedrohung gegen uns aufgefasst.
Die Kräfte des Gefechtsdienstes aller drei Flotten der VOF haben diesen Verband ununterbrochen beobachtet und begleitet.

6. Flottille

Bild aus der Bilderserie bei Wikipedia
IOWA in der Ostsee zum NATO Manöver BOLTAP 85

Unsere Flottille war mit einer Schiffsschlaggruppe im Bestand von 4 Raketenschnellboten und 5 Torpedoschnellboten im Einsatz und handelte im direkten Zusammenwirken mit einer Einheit unserer Küstenraketenkräfte und einer Schiffsschlaggruppe der Baltischen Rotbannerflotte. Das Schlachtschiff war ständig im Radar. In den Schlaggruppen waren ununterbrochen 2 Raketen zum sofortigen Einsatz bereit.
Mit Sicherheit hätte das Schiff die Ostsee nicht wieder verlassen, wenn es hier zu einem ernsten Zwischenfall mit Waffeneinsatz gekommen wäre.

 

Teil III
Erneuter Wechsel in den Dienststellungen

Kaum hatte ich in meiner neuen Dienststellung Fuß gefasst, wurde der Stabschef als Chef in die 4. Flottille versetzt und ich wurde Stabschef der 6. Flottille.
Mir blieb wenig Zeit und Gelegenheit, mich in die Aufgaben zur Führung einer Flottille einzuarbeiten.
Bereits im März 1987 wurde unser Flottillenchef in das Kommando der Volksmarine versetzt. Ich wurde mit der Führung der Flottille beauftragt und im November im Dienstgrad Kapitän zur See zum Flottillenchef ernannt. Die Dienststellung entsprach der eines Konteradmirals.

6. FlottilleAls Chef der Flottille trug ich nun für alle Bereiche unseres Lebens die Verantwortung.
Die Zusammenarbeit mit den örtlichen Organen auf Orts- und Kreisebene und mit den militärischen Dienststellen auf Rügen sowie die Fürsorgepflicht gegenüber den Angehörigen unserer Flottille und ihrer Familien bildeten einen Bereich, in dem ich wenig Erfahrung sammeln konnte.
In den 80er Jahren widmeten wir uns verstärkt der Festigung der Einheit von Volk und Armee, besonders im Territorium, aber auch darüber hinaus.
Wir unterhielten 52 Partnerschaftsverträge mit Oberschulen, Schulklassen, Betrieben und Institutionen, den Leipziger Theatern, dem VEB Chemieanlagenbau Leipzig und anderen, die jährlich präzisiert und mit Leben erfüllt wurden.
Solche Veranstaltungen wie, das Treffen mit Soldaten, das Fest der sozialistischen Soldatenfamilie, die Mitgestaltung von Volksfesten zum 01. Mai und 07. Oktober, die Vorbereitung der 625 Jahrfeier des Ortes sowie zahlreiche Konzerte unseres Standort-Musikkorps drückten die Verbundenheit und das Miteinander von Bevölkerung und Angehörigen unserer Flottille aus.

Für die Erfüllung meiner Aufgaben standen mir drei Stellvertreterbereiche, die UA-Kader und die Finanzabteilung zur Seite. Ich erinnere mich gern an diese Zeit einer konstruktiven und zielgerichteten Zusammenarbeit.

Mein persönliches Handeln konzentrierte sich auf die die Sicherung und Entwicklung der Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft der Brigaden sowie ihrer materiellen und technischen Sicherstellung im täglichen Dienst und besonders im Gefecht.

Die Hauptaufgabe der Stoßkräfte unserer Volksmarine bestand

  • in der Aufklärung und Begleitung gegnerischer Kräfte
  • in der Abwehr erster Schläge des Gegners aus der Luft und von See
  • in der Erringung der Seeherrschaft in der südwestlichen Ostsee und
  • in der Aufrechterhaltung eines günstigen operativen Regimes zur Sicherstellung möglichst gefahrloser Schiffsbewegungen in unserem Operationsgebiet der Mecklenburger Bucht und Arkona See

Um erfolgreich zu sein, muss man seinen Gegner kennen.
Die Analyse der Entwicklung der Handlungen der NATO-Kräfte im Ostseeraum und die ständige Beobachtung der Handlungen der See- und Luftstreitkräfte der BRD, Dänemarks und Norwegens bestimmten

  • die Entwicklungsrichtungen unserer Schiffskräfte und
  • die Ausbildung unserer Boots-Besatzungen, Abteilungen und Brigaden zur Aufrechterhaltung ihrer Stand- und Kampfkraft und
  • zum Einsatz ihrer Waffen.

Für die Kräfte unserer Flottille bildeten die Raketenschnellbootskräfte und Jagdbomber der Bundesmarine die Hauptgefahr.
In den 80er Jahren verfügte die Bundesmarine über insgesamt 40 Raketenschnellboote der Typen 148 und 143 mit 160 Schiff-Schiff Raketen des Typs „Exocet" (Reichweite von 38 bis 42 km) in der Salve. Ihre Artilleriebewaffnung im Zusammenwirken mit dem Flugabwehrsystem RAM ermöglichte eine effektive See- und Luftzielbekämpfung.
Das automatisierte Führungssystem LINK gewährleistete die zeitgleiche digitale Führung der Einheiten in See.
Basierungspunkte waren Flensburg, Olpenitz und Kiel.  Von hier aus konnten sie durch die dänischen Gewässer bis in ihre Einsatzgebiete vor die Ostseeküste Dänemarks gedeckt entfalten. Die dänische Küste mit ihren Buchten ermöglichte eine gute Deckung und Tarnung der Boote. Der Raketeneinsatz war nach kurzer Entfaltung auf maximale Distanz möglich.

6. Flottille 6. Flottille
Typ 143 A MM38 „Exocet"

Zusätzlich waren die Jagdbombengeschwader mit insgesamt 54 Einheiten zu berücksichtigen. Sie bildeten die Hauptgefahr für unsere Kräfte aus der Luft.
Im NATO-Verbund standen aus Dänemark 2-3 Fregatten mit je 4-8 Seezielraketen „Harpoon" und aus Norwegen bis zu 12 Raketenschnellboote mit Seezielraketen Typ „Penguin" zur Verstärkung bereit.
Die NATO-See- und Luftstreitkräfte verfügten nach Angaben unserer Aufklärung in der südwestlichen Ostsee bis Mitte der 80er Jahre über ca. 70 Raketenträger mit bis zu 330 Raketen der Typen „Exocet" und „Harpoon" in der Salve. Durch die Modernisierung ihrer Marinefliegerkräfte erhöhte sich deren Raketenkapazität von 108 auf 288 Raketen vom Typ „Kormoran".
Ab den 70er Jahren verstärkten und verlagerten sie ihre Ausbildungs- sowie Manöveraktivitäten unter dem Vorwand der Vorne-Verteidigung bis weit in den mittleren und östlichen Teil der Ostsee.

Schlussfolgerung
Schlussfolgernd aus dieser Entwicklung ergab sich für die Stoßkräfte der Volksmarine, insbesondere der Schiffsstoßkräfte, dass die Hauptgefahr verstärkt von den gegnerischen Fliegerkräften und Raketenschnellbooten ausging. Diese Lage diktierte die qualitative und quantitative Verstärkung der Stoßkräfte durch Aufstockung des Küsten-Raketen Regiments auf drei Abteilungen, die Schaffung eines Marine-Fliegergeschwaders sowie die Veränderung des Schiffs- und Bootsbestandes der 6. Flottille.
Die Aufgaben unserer Stoßkräfte im Kriegsfall waren nur im engen Zusammenwirken mit der Baltischen Rotbanner Flotte und der Polnischen Seekriegsflotte lösbar.
Dafür hielt die 6. Flottille Mitte der 80er Jahre 5 Schiffsschlaggruppen in ständiger Gefechtsbereitschaft. Davon drei Raketen-Torpedoschnellbootsbrigaden mit je 4 RS-Booten Projekt 205 und 5 TS-Booten Projekt 206 sowie zwei Torpedoschnellbootsbrigaden mit je 15 TS-Booten Projekt 131.
Eine RTS-Brigade und eine KTS-Bootsgruppe befanden sich als Schiffsschlaggruppe 601 im Gefechtsdienst, d.h. sie waren voll mit Gefechtsmitteln ausgerüstet, der Personalbestand war an Bord und die Boote waren in kürzester Zeit bereit zum Auslaufen.
Anfang der 80er Jahre war der Bootsbestand bereits am Ende der Einsatz- und Nutzungsdauer.
Die Sicherstellung der technischen Einsatzbereitschaft war mitunter eine Herausforderung. Planmäßige Werftliegezeiten und Instandhaltungen wurden durch unplanmäßige Störfälle überlagert und damit die Auslauf- und Einsatzbereitschaft gefährdet.
Die Entwicklung beim wahrscheinlichen Gegner, der materielle Verschleiß bei den eigenen Kräften sowie die Änderung der Gefechtsführung durch den massiven Einsatz von Raketen und Jagdbombern führten zu der Entscheidung

  • die Schiffstoßkräfte durch Zuführung raketentragender Schiffe und Boote zu modernisieren und zu verstärken
  • ein automatisiertes Führungssystem zu entwickeln
  • die Sicherstellung gegen Angriffe aus der Luft zu erhöhen
  • die Formen des Zusammenwirkens zwischen den Stoßkräften der VM und den Kräften der befreundeten Flotten zu entwickeln
  • und die Effektivität und das Niveau der Gefechtsausbildung zu gewährleisten.

Aufgrund dieser Entscheidungen wurde Anfang der 80er Jahre mit der Außerdienststellung von Torpedoschnellbooten begonnen, um die notwendigen Planstellen zur Aufstellung der ersten Besatzungen für einen neuen Schiffstyp zu schaffen.
Das Kommando der VM hatte die Zuführung von kleinen Raketenschiffen des Projektes 1241 RÄ ab Herbst 1984 entschieden.  Zunächst waren 5 Schiffe geplant.
Die Einführung der neuen Technik begann mit der Ausbildung der Besatzungen für die ersten zwei Schiffe in der Ausbildungsbasis der Baltischen Rotbanner Flotte in Riga. Der Ausbildungsplan war in einen theoretischen und praktischen Teil gegliedert und gewährleistete damit die Übernahme und Bedienung der neuen Technik. Diese Besatzungen waren dann auch für die Ausbildung der Besatzungen der folgenden Schiffe zuständig.
Ab Oktober 1984 bis November 1986 wurden unserer Flottille 5 Schiffe zugeführt.
Damit erreichten wir eine wesentliche Steigerung des Kampfwertes. Die Anzahl der Raketen in der Salve erhöhte sich von 48 auf 68 Raketen. Die Raketen (P21, P22) dieser Schiffe flogen bis zu einer Reichweite von 80 km und hatten damit die doppelte Reichweite der Rakete „P15".
Nach der Zuführung des zweiten Schiffes im Januar 1985 wurden die Besatzungen für die weiteren Schiffe formiert und durch die ersten Besatzungen ausgebildet. Im November 1986 war die Brigade vollständig und gefechtsbereit. Sie hat ihre Gefechtsbereitschaft nicht nur in den jährlichen Raketen-Schießabschnitten im Seegebiet vor Baltijsk bewiesen. Auch bei dem faktischen Einsatz der Artilleriebewaffnung auf See- und Luftziele im Rahmen der Erfüllung der Ausbildungsbefehle haben die Besatzungen ihr Leistungsvermögen unter Beweis gestellt.

Die RS-Boote Projekt 205 mussten bis Ende 1990 in Dienst gehalten werden um die Anzahl der vom Oberkommando der drei vereinten Ostseeflotten geforderten Schiffschlaggruppen zu gewährleisten.
Über den technischen Zustand der Boote habe ich bereits gesprochen. Um die Zielvorgabe zur Erhaltung der Einsatz- und Gefechtsbereitschaft der Projekte 205 zu erfüllen, waren eine Reihe von technischen- und Ausbildungsmaßnahmen erforderlich.
So mussten die Inhalte der Seeausbildung teilweise verringert werden, um Maschinenstunden zu sparen. Die aus der Seeausbildung ausgegliederten Ausbildungsinhalte mussten in die Lehrbasis der Flottille verlagert werden.
Der Grund dafür war die begrenzte Anzahl der Motorenstunden für die Seeausbildung. Die Laufleistung der Motoren war auf 600 Betriebsstunden ausgelegt. Danach mussten sie gewechselt werden. Deshalb waren je Boot jährlich nur eine Gesamtzahl von 100 Motorenstunden geplant. Diese wurden dann aufgeteilt zur Verwendung für Inspektionen und Übungen, für Überprüfungen der Gefechtsbereitschaft durch das Kommando bzw. Flottille und für die Ausbildung der Boote und Abteilungen im Rahmen der Brigade.

Ein erfolgreicher Waffeneinsatz verlangt aber ein umfassendes Training unter möglichst schwierigen Lagebedingungen. Das war an Land nur bedingt zu realisieren. Zur Verbesserung der Ausbildung wurde an der Schaffung eines Ausbildungskabinetts gearbeitet.
Der Hauptgedanke lag in der Schaffung eines Kabinettes zum Training des Raketeneinsatzes als Einzelboot, in der Gruppe, in der Abteilung und der Schiffsschlaggruppen (SSG`n).
Hier sollte der Kommandant mit seiner Besatzung, der ACH mit den Kommandanten, der BCH mit seiner Schlaggruppe und der FCH mit den Kommandeuren der Schiffsschlaggruppen unter möglichst gefechtsnahen Bedingungen trainieren können.
Die Grundlagen wurden durch ein Jugendneuerer - Kollektiv unter dem Titel „Taktikverfahrenstrainer auf Computerbasis“ entwickelt.
Für seine Leistungen wurde das Kollektiv auf der 29. ZMMM (Zentrale Messe der Meister von Morgen) mit dem Ehrenpreis des Ministers für Nationale Verteidigung geehrt.

Die Grundlagen für den ersten Ausbildungsplatz im Kabinett wurden bis September 1986 geschaffen. Danach wurde die Hard- und Software intensiv weiterentwickelt. Das Kabinett war im Oktober 1989 einsatzbereit. Es bestand aus 5 Kabinen, die mit dem sogenannten B-Rechner und einem Bildschirm zur Darstellung eines Funkmessbildes, dem Kartentisch zur Arbeit des Nautikers und der Funkverbindung ausgerüstet waren. Alle Abläufe wurden in Echtzeit 1:1 gefahren. Die Operationszone der Stoßkräfte der Volksmarine war auf den Bildschirmen je nach der Entwicklung der Lage als vollständiges Kartenbild oder in einzelne Handlungsgebiete darstellbar.
Davor befand sich der Arbeitsplatz des Ausbilders, von dem über den Hauptrechner und realer Funkverbindung die Daten für die Entfaltung der Einheiten zum Angriff und des Waffeneinsatzes übertragen wurden. Zur theoretischen Ausbildung war zusätzlicher Raum integriert. Die Handlungen des Gegners hat der Ausbilder vom A-Rechner eingespielt. Der Auszubildende musste die Lage an Hand der Darstellungen auf seinem Bildschirm analysieren, den Gefechtseinsatz organisieren und den Start der Raketen befehlen. Auch der Start und die Flugbahn der Raketen konnten auf dem Bildschirm sichtbar dargestellt werden und den Erfolg des Waffeneinsatzes sichtbar machen. Zur Beurteilung und Auswertung des Waffeneinsatzes stand dem Ausbilder ein Rechnerprotokoll zur Verfügung, in dem die Handlungen des Gegners und der Handlungen des Auszubildenden im Minutentakt aufgezeichnet waren.
Erkenntnisse aus dieser Arbeit flossen dann auch in die Entwicklung eines automatisierten Führungssystems in der Volksmarine ein.

Parallel zur Einführung der kleinen Raketenschiffe liefen Entwicklungen zur Schaffung eines neuen Raketenträgers auf der Basis unseres kleinen Torpedoschnellbootes Projekt 131. Das Vorhaben wurde schnell aufgegeben und entschieden, ein kleines Schiff als Artillerie und Raketenträger zum Einsatz im küstennahen Raum zu entwickeln. Das Projekt wurde als Gemeinschaftsprojekt der UdSSR, Polen und der DDR beschlossen. Die Hauptverantwortung lag in den Händen der DDR und wurde durch die Peene-Werft Wolgast umgesetzt. Schiffskörper und Funk- sowie elektronische Ausrüstung lag in den Händen der DDR. Die Artilleriebewaffnung wurde durch die VR Polen vorbereitet und die Lieferung der Raketen oblag der UdSSR.
Der SC der Flottille und ich hatten die Gelegenheit, unsere Erwartungen an die Schiffsform, das Seeverhalten, den Anforderungen an die elektronische Ausrüstung (Navigations-, Waffenleit- und funkelektronische Systeme) sowie Mitteln der Luftabwehr und des funkelektronischen Kampfes zu äußern.
Ich bin überzeugt, unsere Gedanken und Vorschläge wurden berücksichtigt.
Die Rakete war noch in der Entwicklung. Es war eine Schussdistanz größer als 120 km vorgegeben. Diese Reichweite sollte den Einsatz der Raketen aus unmittelbarer Nähe unserer Küste gegen angreifende Raketenträger der NATO aus den Richtungen Belt und Kieler Bucht auf maximale Distanz ermöglichen und die Reichweiten der Raketen „Harpoon" und „Exocet" egalisieren.
Die Anzahl von 8 Raketen in Containern, die gleichzeitig ihren Start ermöglichten, gab dem Schiff einen hohen Kampfwert. Die Raketen konnten dem Schiff in je zwei Containern zu vier Raketen zugeführt werden. Das sicherte kurze Normzeiten bei der Raketenübernahme.
Insgesamt waren für die 6. Flottille 16 Schiffe geplant, die ab 1989/1990 in kurzen Zeitabständen in den Kampfbestand übernommen werden sollten und die Außerdienststellung der Projekte 205 ermöglicht hätten.
Für die Baltische Rotbanner Flotte und Polnische Seekriegsflotte waren je 4 Schiffe geplant.
Unsere Flottille hätte im geplanten Schiffsbestand von 5 KRS Projekt 1241 RÄ und 16 Projekten 151 über 148 Raketen in der ersten Salve verfügt und mit den Startrampen unserer Küstenraketenkräfte die Anzahl der Raketen der Schnellbootskräfte der Bundesmarine in der ersten Salve egalisiert.

Kleines Raketenschiff Projekt 151

6. Flottille 6. Flottille 

6. Flottille

Länge 48,90 m   Verdrängung 347 t
Breite 8,60 m   Antriebsleistung 11910 kW
Tiefgang 2,20 m   Geschwindigkeit 35 kn
Bewaffnung 8 Raketen Typ 152 in zwei Startbehältern
Ein Vierlingsstarter für LZ – Bekämpfung im Nahbereich
FASTA – Fliegerfaust
Ein 76 mm Geschütz und eine 30 mm Kanone
Funkelektronische Ausrüstung  
Mittel des FEK  

6. Flottille

Bildunterschrift:   Zwei Einheiten wurden in die Bundesmarine als Patrouillenboot übernommen und an den Bundesgrenzschutz übergeben. Drei Einheiten wurden aus der Werft an die VR Polen verkauft und fuhren noch im Jahr 2020 nach entsprechender Anpassung der Bewaffnung und Ausrüstung in der polnischen Marine.

Mit diesem Rüstungsprogramm hätte die Volksmarine dem Bestand von 40 Raketenschnellbooten der Bundesmarine eine vergleichbare Kampfkraft entgegengesetzt.
Aber mit einem wesentlichen Nachteil.
Der Einsatz der eigenen Raketen erfolgte von beiden Schiffstypen vorrangig durch eigene Datenermittlung per Radaraufklärung.
Zur Sicherstellung der maximalen Reichweite der Raketen wurden Fühlungshalter notwendig, die in kurzen Zeitabständen Zieldaten übermittelten.
Das war ein erheblicher Nachteil in der Führung der Kräfte und des Waffeneinsatzes gegenüber den Projekten 143 der Bundesmarine.
Die Volksmarine hat ebenfalls an der Entwicklung und Einführung eines automatisierten Gefechtsführungssystems zur digitalen Übermittlung von Zieldaten für die direkte Verwendung in den Gefechtssystemen der Schiffe gearbeitet.
Das war jedoch Zukunftsmusik und konnte nicht mehr realisiert werden.

 

Gedeckte Überführung der Stoßkräfte der Volksmarine in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft

Der Chef der Flottille war im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung gleichzeitig auch verantwortlich für die Führung der Stoßkräfte der Volksmarine. Er organisierte den Einsatz und das Zusammenwirken zwischen den Schiffsschlaggruppen der Flottille, den Küstenraketen-, Marineflieger- und Hubschrauberkräften. Zur Organisation der Gefechtssicherstellung waren die Abteilungen Aufklärung, Nachrichten und des funkelektronischen Kampfes des KVM zugeteilt.
Auch die Planung und Sicherstellung des Zusammenwirkens mit Kräften der Baltischen Rotbannerflotte und der Polnischen Seekriegsflotte wurde in seiner Verantwortung umgesetzt.
Der volle Umfang der Aufgaben zum Einsatz der Stoßkräfte wurde mehrfach unter Leitung des Kommandos der Volksmarine trainiert.

Zwei Beispiele:

  1. Im April 1988 hatte der CVM die stufenweise, gedeckte Überführung der Kräfte der Volksmarine in höhere Stufen der Gefechtsbereitschaft befohlen. Dazu wurden die Führungskräfte durch den unmittelbaren Vorgesetzten per Telefon auf ihre Gefechtsstände befohlen.
    Mich holte ein Kurier nachts von zu Hause ab und brachte mich zum Gefechtsstand der Volksmarine. Hier hatte auch der Chef der Stoßkräfte seinen Führungspunkt.
    Ich meldete mich beim Chef der Volksmarine. Er befahl mir, mit Beginn des Tagesdienstes für die Flottille die erhöhte Gefechtsbereitschaft auszulösen und übergab mir einen Gefechtsbefehl. Darauf habe ich meine Führungsgruppe aus der Flottille auf den Führungspunkt befohlen und über den operativen Dienst der Flottille mit Tagesbeginn die Stufe der erhöhten Gefechtsbereitschaft ausgelöst.
    Auf der Grundlage des Gefechtsbefehls
    „Aufklärung und Bekämpfung eines in die Verantwortungszone der VM eindringenden gegnerischen Schiffsverbandes mit Ausbruch des Krieges“
    hatte ich meinen Entschluss zur Erfüllung der befohlenen Aufgabe zu fassen und dem CVM zu melden. Der Entschluss wurde bestätigt. Die Führungsgruppe übermittelte meine Gefechtsbefehle an die unterstellten und zugeordneten Kräfte. Unterstellt war mir das Küstenraketenregiment 18. Dessen Führungspunkt befand sich unmittelbar neben uns in einemseparaten Raum.
    Zugeteilt war eine Marinefliegerstaffel. Ihren Einsatz organisierte und koordinierte der Führungspunkt (FP) Marinefliegerkräfte (MFK). Mit den Führungspunkten Aufklärung, Nachrichten und FEK wurden die Aufgaben der Gefechtssicherstellung direkt organisiert und koordiniert.
    In Abhängigkeit von der Lageentwicklung wurde die Stufe der Gefechtsbereitschaft erhöht. Auf der Grundlage der Ergebnisse der operativen Aufklärung entfalteten die teilnehmenden Kräfte in die Ausgangsräume und bekämpften den Gegner mit „Ausbruch der Kampfhandlungen“.
    Befohlen waren aufeinanderfolgende Schläge nach Angaben eigener Aufklärer, die gleichzeitig auch als Fühlungshalter handelten.
    Die Luftsicherung für die Kräfte der Flottille gewährleisteten die Fla-Raketenabteilungen Barhöft, Lanken und Neuendorf. Als ein Element des funkelektronischen Kampfes (FEK) war der massierte Einsatz von Winkelreflektoren zum Schutz gegen Radaraufklärung und anfliegenden Raketen vorgesehen. Die Reflektoren kamen jedoch nicht zum Einsatz. Die Aufgabe wurde erfüllt und sehr positiv bewertet.
    Es folgte die Rückführung der Kräfte in die Basierungspunkte und Wiederherstellung der Gefechtsbereitschaft.
  2. Einzelne Elemente zum Einsatz der Stoßkräfte wurden unter dem Kommando des Chefs der 6. Flottille geübt.
    Die letzte Übung der 6. Flottille im Juni 1990 ist ein klassisches Beispiel.
    Geübt wurde der Einsatz der Schiffstoßkräfte im Zusammenwirken mit unseren Küstenraketenkräften und einer Schiffsschlaggruppe der Baltischen Rotbannerflotte.  Ein Schiffsverband der Baltischen Rotbannerflotte, der sich in unserem Verantwortungsgebiet von West in Richtung Ost bewegte, diente zur Zieldarstellung.
    Hauptelemente der Übung waren die Sicherstellung des Raketeneinsatzes auf maximale Schussdistanz nach Angaben von Fühlungshaltern und die Sicherstellung einer stabilen und gedeckten Nachrichtenverbindung zwischen den beteiligten Kräften.
    Die Gefechtsaufgaben wurden zum größten Teil mit guten und sehr-guten Ergebnissen erfüllt. Probleme traten in der Übermittlung von Daten einzelner Fühlungshalter an die Raketenkräfte auf.
    Die Übung bracht uns wichtige Erkenntnisse für die Gefechtsausbildung, für die Führung der Kräfte im Gefecht und der Sicherstellung der Nachrichtenverbindungen.
    Es war aber keine Zeit mehr, diese Erkenntnisse zu verwerten.

 

Das Jahr 1988 bildete einen Höhepunkt in zweierlei Hinsicht. 

Am 3. Mai hatte die Flottille ihren 25. Gründungstag, der sowohl in der VM als auch bei den Rüganern würdige Beachtung fand. Für die Flottille war das ein Feiertag. Dem Ereignis ist ein Buch mit dem Titel „Schnellbootsverband – gefechtsbereit" gewidmet.

Das zweite große Ereignis war der Besuch des schwedischen Verteidigungsministers, Vize-Admiral Schubak, im August. Unsere Flottille war eigentlich nicht in das Besuchsprotokoll einbezogen. Der Minister wollte aber unbedingt in die Flottille. Dem wurde entsprochen und wir haben mit meinem sehr offenen Auskunftsbericht über die Aufgaben der Flottille in unserem Verantwortungsgebiet informiert. Im Anschluss konnte er unsere Schiffe und Boote im Hafen besichtigen. Die Besatzungen standen in Paradeaufstellung an Oberdeck und gaben der Delegation einen freundlichen Empfang. VA Schuback war sehr beeindruckt und hat sich vor den Besatzungen auch so geäußert. Als krönenden Abschluss hat er zwei kleine Raketenschiffe unter meiner Führung zu einem Besuch nach Stockholm eingeladen. Als Anerkennung hat VA Schuback im Oktober einen Empfang in der Schwedischen Botschaft in Berlin gegeben und die Besuchsmodalitäten im Jahr 1990 mit uns vereinbart. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Die Gründe sind bekannt.

Das Ausbildungsjahr 1988 verlief ansonsten sehr erfolgreich. Die Anforderungen an die Gefechtsbereitschaft konnten wir sicherstellen und die Ergebnisse der Gefechtsschießen mit faktischem Einsatz von Raketen, Torpedos, Artillerie und Minen wurden überwiegend mit gut und sehr gut bewertet.
Ende des Jahres wurde die Lage in der Republik zunehmend besorgniserregend und machte uns langsam Sorgen. Wir waren veranlasst, Hilfe in der Volkswirtschaft zu leisten. Die VM half in der Braunkohle. Da waren auch unsere Matrosen dabei. Zusätzlich brauchte die Volkswerft Stralsund unsere Hilfe. Da waren wir mit einer ganzen KTS-Bootsbrigade im Einsatz.
In unseren Besatzungen ist die Stimmungslage in der Republik noch nicht auffällig.
Das Jahr 1989 beginnt zunächst im gewohnten Rhythmus.
Der CVM besuchte im Januar mit einzelnen Kommandeuren die Angehörigen der VM in Bitterfeld. Ich war dabei und wir konnten uns von dem harten Kampf der Braunkohlekumpel zur Sicherstellung der notwendigen Masse an Kohle für die Energiegewinnung überzeugen. Die Angehörigen der VM haben sich voll integriert und standen den Kohlekumpeln nicht nach. Unser Besuch und die lobenden Worte unseres CVM haben die Truppe motiviert.

Wenige Wochen danach erreichten uns beunruhigende Nachrichten über massenhafte Republikfluchten. Massendemonstrationen in Leipzig, Dresden und Berlin forderten Veränderungen in der Republik. Die verantwortlichen Kräfte für die innere Sicherheit des Staates hatten Schwierigkeiten, die Lage unter Kontrolle zu halten.
Es gab Überlegungen, die NVA unterstützend zur Unterdrückung dieser Demonstrationen einzusetzen. Das wurde in der VM auf allen Kommandeursebenen abgelehnt. Der Einsatz unserer Kräfte gegen das eigene Volk entsprach nicht unserem Verfassungsauftrag. Die Sicherung von Waffen und Munition wurde zum ersten Gebot.
In der Flottille erfüllten wir unbeeindruckt von der Entwicklung in der Republik unsere Aufgaben zur Sicherstellung der geforderten Gefechtsbereitschaft und führten die Gefechtsausbildung im erforderlichen Umfang weiter.
Die Raketen- und Torpedoschießabschnitte wurden vorbereitet und durchgeführt. Die Wertungen beim faktischen Waffeneinsatz waren auch in diesem Jahr überwiegend gut und sehr-gut.
Die Vorbereitung des 40. Jahrestages der Gründung unserer Republik lief trotz der sich anbahnenden Schwierigkeiten in der Republik auch bei uns mit ganzer Kraft. 
Nach dem 07. Oktober brachte fast jeder Tag eine Überraschung in unserem Leben.
Der Staatsratsvorsitzende wurde abgelöst und Egon Krenz zum Vorsitzenden des Staatsrates gewählt. Es folgten eine Reihe von Personalveränderungen auf höchster Ebene. Unser CVM wurde Minister für Nationale Verteidigung und der Chef der ersten Flottille wurde Chef der Volksmarine.
Es beginnt eine unruhige Zeit.
Die Regierung beschloss eine Militärreform, die nicht zu Ende geführt werden konnte.
Die Anrede zwischen den Armeeangehörigen wurde geändert. Anstelle der Anrede Genosse, sprach man sich nun mit Herr an.
Die Parteiorganisationen wurden aus den militärischen Dienststellen und Kasernen in die Standorte ausgegliedert. Damit wurden die Politorgane überflüssig und ihre Mitarbeiter aus dem militärischen Dienst entlassen.
Dafür wurde die Dienststellung Offizier für staatsbürgerliche Arbeit in den Einheiten und Truppenteilen neu geschaffen.
Wenige Wochen danach wurden die Dienststellen der Abteilung 2000 der Staatssicherheit aufgelöst, das Personal entlassen und die Dokumente befehlsgemäß gesichert und zur Archivierung vorbereitet.
Dafür wurde das Organ der Militärabwehr in der NVA gegründet. In der Flottille wurde die Planstelle für einen Offizier für Militärabwehr geschaffen.
Es gab Erleichterungen im Anwesenheitssystem und der Urlaubsgewährung.
Für die Wehrpflichtigen wurde die Dienstzeit von 18 Monate auf 12 Monate verringert.
Die Folge war ein ansteigender Personalmangel.
Eine wesentliche Veränderung: Der Armeeangehörige durfte Bart tragen. Eine erhebliche Stärkung der Persönlichkeitsrechte.
Der Dienstbetrieb wurde weiter auf der Grundlage der Ausbildungsbefehle für das laufende Jahr organisiert. An den Anforderungen der Gefechtsbereitschaft gab es trotz aller Veränderungen keine Abstriche. Die SSG 601 stellte ununterbrochen den Gefechtsdienst sicher. Da gab es auch keine Erleichterungen im Anwesenheitssystem an Bord.

Im März fand die Volkskammerwahl statt.
Danach überschlugen sich die Ereignisse.
Minister für Abrüstung und Verteidigung wurde der Pfarrer Rainer Eppelmann. Unser Minister wurde zum Chef der NVA berufen und setzte in dieser Dienststellung die Vorgaben der neuen Regierung in der NVA um.
Nach Bildung der neuen Regierung führte der Minister für Abrüstung und Verteidigung seine erste Dienstberatung mit Kommandeuren aller Teilstreitkräfte bis Divisionsebene durch und gab im Ergebnis folgende Direktive bekannt.
Die NVA wird nach dem Beitritt der DDR zur BRD in den folgenden 4 Jahren Bestand haben. In den ersten zwei Jahren ist die militärische Ausbildung weiter zu führen und danach ist die NVA abzurüsten und aufzulösen.
Mit dieser Vorgabe konnten wir leben und ich habe den Personalbestand entsprechend orientiert.
Der Personalbestand leistete einen neuen Fahneneid, der mit seinem Inhalt aber nicht den bisherigen militärischen Auftrag veränderte.

Die Monate danach waren voller Fragen und Widersprüche.
Der Besuch in Schweden wurde gestrichen. Eine Überprüfung der Gefechtsbereitschaft der Flottille durch das Kommando der Volksmarine (KVM) wurde abgesetzt und in eine Übung der 6. Flottille geändert.
Der Personalbestand an Matrosen und Maate verringerte sich aufgrund regulärer Entlassungen nach Ablauf der Dienstzeit und geringerer Zahlen in der personellen Auffüllung.
Das führte zur Entscheidung, das Personal von 4 RS-Booten auf andere Boote zu versetzen, die Boote auf Slip zu nehmen und zum sofortigen Abslippen technisch einsatzbereit zu halten.
Die Außerdienststellung von TS-Booten lief planmäßig zur personellen Sicherstellung der neu einzuführenden kleinen Raketenschiffe Projekt 151. Die ersten zwei Schiffe wurden bis September 1990 übernommen, allerdings ohne den Raketenkomplex.
Alles deutete darauf hin, dass die Vorgaben des Ministers Realität werden könnten.

Weit gefehlt.

 

Schicksalstag - der 05. September 1990

Meine Gefühle und mein Verstand wurden an diesem Tag erheblich strapaziert.
Grund dafür war die bis zum 05. September 1990 bekannte Perspektive einer eigenständigen Armee in der BRD für die nächsten vier Jahre mit dem Ziel der Abrüstung der Technik und Bewaffnung sowie der Wechsel des Personals in den Zivilberuf.
Durch den Inspekteur der Bundesmarine, VA Mann, wurde am 05.09.1990 eine völlig andere Perspektive  für die Angehörigen der 6. Flottille aufgezeigt.
Mir schlug mein Herz rasend und ich meine, für jedermann hörbar vor Wut und Enttäuschung. Diese wurde weiter genährt durch die Inaktivität unseres Chefs der Volksmarine. Er saß neben VA Mann und ließ nicht erkennen, dass er sich für den Fortbestand der 6. Flottille einsetzen wird.
Darauf meine Frage an VA Mann. „Herr Admiral, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist die 6. Flottille am 03.10.1990 nicht mehr existent.“
Seine Antwort “Herr Kapitän sie haben mich richtig verstanden.“
Dann konnte ich einen Bericht über die Gefechtsbereitschaft der Flottille geben. Darauf hat er eine Änderung seiner Entscheidung zugesagt und die Übernahme der Flottille ab 03.10.1990 in den Bestand der Bundesmarine durchgesetzt. Allerdings unter der Bedingung unsere RS-Boote bis zum 02.10.1990 außer Dienst zu stellen. Die Frist zur vollständigen Auflösung der Flottille wurde um 1 Jahr verlängert.
Bis zum 05.09.1990 hatte ich alle Forderungen an die Flottille bezüglich ihrer Einsatz- und Gefechtsbereitschaft durchgesetzt.
Wir waren mit 8 Raketenschellbooten Projekt 205 und 5 Kleinen Raketenschiffen Projekt 1241 RÄ sowie zwei kleinen Raketenschiffen Projekt 151 in den geforderten Normzeiten gefechtsbereit. 4 RS-Boot hätten kurzfristig abgeslippt werden können und nur der personellen Auffüllung bedurft.
Bis dahin war die Flottille, wenn auch mit Einschränkungen, gefechtsbereit.
Ab diesem Zeitpunkt habe ich versucht, den Personalbestand sowie die Technik und Bewaffnung in einem geordneten Zustand auf die Übernahme in die Bundesmarine vorzubereiten.
Persönlich hatte ich mich entschlossen, den Dienst als Chef der Flottille ab dem 03.10.1990 fortzusetzen, die notwendigen Grundlagen zur Abrüstung und Auflösung der Flottille sowie Voraussetzungen für den Wechsel des Personalbestandes in das zivile Leben einzuleiten.
Danach wollte ich den Dienst quittieren. Diesen Schritt habe ich mit Wirkung vom 31.12.1990 vollzogen.
Ich hoffe, ich bin so ein wenig meiner Verantwortung und Fürsorgepflicht gegenüber unserem Personalbestand gerecht geworden.

Die 6. Flottille hat in den 27 Jahren ihres Bestehens die ihr gestellten Aufgaben stets vorbildlich erfüllt. Sie leistete damit ihren Anteil zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages der Nationalen Volksarmee. Durch hohe Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft hat sie dazu beigetragen, gemeinsam mit den sozialistischen Armeen den Frieden und den Schutz der Staatengemeinschaft zu sichern. Durch hohe militärische Professionalität und seemännisches Können bei der Lösung ihrer Aufgaben gewannen unsere Besatzungen großes Ansehen sowohl in den verbündeten Flotten als auch bei unserem potentiellen Gegner.

Auf der letzten Flottillenmusterung unter unserer Flagge habe ich mich auch im Namen meiner Stellvertreter bei dem gesamten Personalbestand für die aufgeschlossene und konstruktive Zusammenarbeit bedankt und den Personalbestand ermutigt

erhobenen Hauptes
in die deutsche Einheit zu gehen.

 

Werner Murzynowski, Kapitän zur See a.D.
Chef der 6. Flottille von November 1987 bis zum 31.12.1990
Stralsund, den 26.01.2021
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Telefon: 03831 394305

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