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Zum 60. Jahrestag der Verleihung
des Ehrennamens VOLKSMARINE an die Seestreitkräfte der DDR

Hendrik Born, Vizeadmiral a.D. -  20. Oktober 2020

 

Vizeadmiral a.D. Borm
Vizeadmiral a.D.
H. Born

Dem 60-sten Jahrestag der Verleihung des Namens Volksmarine an die Seestreitkräfte der DDR angemessen, sollten wir nun schon aus historischer Sicht prüfen, inwieweit dieser Ehrenname zu Recht getragen wurde und inwieweit die Reduzierung dieses Namens auf eine angebliche Meuterei berechtigt ist.

Zunächst einige Worte zur Volksmarinedivision1, die in einem kleinen Zeitfenster von November 1918 bis Anfang 1919 in Berlin agierte:

Die Aktionen der Roten Matrosen in Berlin mussten scheitern. Die am 11. November aus den Reihen der Roten Matrosen formierte Volksmarinedivision (VMD), geführt vom ehemaligen Marineflieger, dem Obermaaten Paul Wieczorek, stellte sich in ihrem Glauben an die reine Revolution in den Dienst des linken Polizeipräsidenten von Berlin, Emil Eichhorn, und der von rechten SPD-Funktionären beherrschten Organe der Übergangsregierung.
Neben der Reichskanzlei, nun von Ebert geführt, hatte sich der Rat der Volksbeauftragten am 10.11. aus SPD und USPD als revolutionäre Übergangsregierung gebildet, der Ebert ebenfalls vorstand. 
Die Oberste Heeresleitung (OHL) in Kassel, nun geführt von Groener als Nachfolger von Ludendorf, sowie alle anderen Strukturen der bisherigen Regierung, einschließlich des Reichswehrministeriums  arbeiteten unangetastet weiter. Der Rat der Volksbeauftragten  setzte u.a. den rechten SPD-Abgeordneten Wels als Stadtkommandanten ein, dem formal die VMD unterstellt war. Dieser nutzte seine Position, um diese unwillkommene Schar  so schnell wie möglich zu liquidieren. Später schlossen Ebert, Wels u.a.  mit dem Chef der OHL, Groener, einen Pakt, um geschlossen gegenüber linksradikalen Gruppen vorzugehen.

Dazu kam, dass die VMD ab dem 28. November zeitweilig von einem Graf Hermann Wolff-Metternich, Oberleutnant der Reserve und  ehemaliger Mitarbeiter der Nachrichtenabteilung des Auswertigen Amtes, kommandiert wurde. Um diese Position zu erreichen, setzte er erhebliche  finanzielle Mittel ein. Zitat eines Matrosen: Er hat den Kameraden sehr viel Gutes zugeschustert. Später befreite man sich von Metternich. Bei einem Versuch der erneuten Übernahme der Führung durch einen ehemaligen Kapitänleutnant der Marineflieger aus Cuxhaven, Brettschneider, erschoss dieser Wieczorek und wurde daraufhin von Matrosen mit einem Gewehrkolben erschlagen. Paul Wieczorek hatte die klarsten politischen Vorstellungen zur Weiterführung der Revolution.

Die VMD wurde von den zeitweiligen Machtstrukturen der SPD namentlich von  Wels und selbst von der SPD-Presse, dem Vorwärts, verleumdet. Man versuchte sie auf kaltem Wege durch Nichtzahlung von Gehältern u.a. zu beseitigten. Als das nicht gelang, setzten die rechten SPD-Führer auf noch intakte Fronttruppen, um die Matrosen aus ihrem Quartier, dem Marstall, zu vertreiben.

Nach einer Vereinbarung von Ebert, Scheidemann, Groener  und dem Reichswehrminister  Scheuch gingen diese Truppen  am 24. 12 1918 von  Potsdam aus gegen die Matrosen im Marstall vor. Dabei setzten sie auch Geschütze ein. Der Stadtkommandant Wels hatte  vorher den Matrosen vorsorglich befohlen, ihre schweren Waffen abzugeben. Trotzdem gelang es den Matrosen diesen Angriff zurückzuschlagen, weil die Arbeiterschaft in Berlin sich spontan an der Verteidigung des Marstalls beteiligte. Das Foto von dem bei der Verteidigung eingesetzten Maschinengewehr auf dem Dach des Marstalls sollte lange Zeit als Beweis für eine meuternde Matrosentruppe herhalten. Dabei war die VMD die disziplinierteste bewaffnete Einheit zu der Zeit in Berlin. Man kann sagen diszipliniert bis hin zur Selbstaufgabe.
Die Übermacht der Truppen wurde gebrochen, indem die Arbeiter Berlins sich spontan auf die Seite der Matrosen stellten und die Truppen plötzlich von der Arbeiterschaft eingekesselt wurden. Die Truppen zogen sich zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Matrosen gemeinsam mit der Arbeiterschaft die volle militärische Kontrolle über Berlin. Diese Chance wurde von den politisch unerfahrenen Matrosen nicht erkannt und nicht genutzt. Im Gegenteil man ließ sich auf Verhandlungen mit der rechten SPD-Führern und  Vertretern der Armee ein und  stimmte einer schrittweisen Auflösung zu. Viele dieser Matrosen beteiligten sich dann an den weiteren bewaffneten revolutionären  Kämpfen in Deutschland.

Es zeigte sich, dass bereits bei der Gründung derVMD die Matrosen  zwar der Revolution treu ergeben waren, es objektiv aber nicht verstanden, die Interessen der Revolution voranzubringen. Das lag vor allem daran, dass sie politisch unterschiedlich zusammengesetzt waren, naiv den angeblichen Führern der Revolution vertrauten und so der Demagogie der rechten SPD-Führer erlagen.
Unabhängig davon ist es mehr als legitim, dass einzelne Kämpfer der VMD wie Paul Wieczorek in der Volksmarine  als Geber von Traditionsnamen geehrt wurden.

Wenn wir also schwerlich unseren Namen Volksmarine von der VMD herleiten können, was  dann? Zunächst ist es logisch, sich auf den Namen Volksarmee zu beziehen. Doch es gibt durchaus einen historisch unbestreitbaren Grund, wenn wir einen Traditionsbezug zum Matrosenaufstand im November  1918 in Kiel herstellen.

Im Weiteren beziehe ich mich auf eine im Mai von ARTE ausgestrahlte NDR-Dokumentation  1918. Aufstand der Matrosen von Jens Becker:
Hier hat man szenisch die Ereignisse in Kiel 1918 nachgestellt und Kommentare von Björn Engholm, SPD-Bundesvorsitzender von 1991 bis 1993, Konteradmiral Kai-Achim Schönbach, vormaliger Kommandeur der Offiziersschule der Deutschen Marine  und  Sara Wagenknecht eingespielt. Diese Dokumentation ist erstaunlich objektiv und würdigt die Aktionen in Kiel als  revolutionären Akt der Matrosen und der Arbeiterschaft, die zunächst  Norddeutschland, später Berlin und ganz Deutschland erfasste und letztendlich zur Errichtung der Weimarer Republik führte. Im Folgenden zitiere ich Teilnehmer an dieser Dokumentation.

Wenn man die Sendung analysiert, scheint, dass auch die Macher dieser Dokumentation keinen Zweifel an der Berechtigung der Aktion in Kiel und ihren enormen Beitrag zur Entstehung der Weimarer Republik  hegten. In der Tat,  diese Leistungen der Kieler Matrosen kann man durchaus als traditionswürdig einschätzen? Der Knackpunkt, vor allem bei der Deutschen Marine  ist, dass eine Meuterei nicht traditionswürdig sei.

Konteradmiral  Schönbach:
Die Frage ist gestellt: Gibt es gute Gewalt und ich sage als Soldat  und Bürger Ja, wenn Gewalt  tatsächlich die einzige Möglichkeit ist, ein verbrecherisches, ein selbst militärisches starkes  militantes Regime zu stürzen  und es notwendig erscheint für die Bevölkerung, es zu tun, ja dann ist Gewalt eine Option. Allerdings kann die Deutsche Marine eine  Meuterei nicht gut finden, allerdings erkennt sie an, dass die Bedingungen eine solche hervorrufen mussten.
Eine für einen hohen Offizier der Deutschen Marine bemerkenswerte Aussage.
Noch Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges bewertete man die Tat Stauffenbergs  kontrovers.  In Offizierskreisen galt er teilweise als Eidbrecher oder gar als Verräter.

Waren die Ereignisse 1918 in Kiel eine Meuterei?

ARTE:
Aus der Marinemeuterei entwickelte sich schnell etwas Größeres-eine Volksbewegung.

Kommentar Engholm:
Es ist eines der unterschätztesten aber zugleich bedeutendsten Ereignisse in der neueren Geschichte der Deutschen.

Im Gegensatz zu den Ereignissen im Sommer 1917 in  Wilhelmshaven  war der Aufstand1918 in  Kiel bei weitem  keine Meuterei.  Es war ein politischer Aufstand mit klaren Forderungen und dies  im Schulterschluss mit einer mehr als 33.000 Mann starken Arbeiterschaft zunächst in Kiel und später  in fast allen norddeutschen Städten.  Mit dem Generalstreik am 5. 11. 1918 in Kiel hatten sich die Arbeiter definitiv der Revolution angeschlossen

An anderer Stelle erkennt Admiral Schönbach an, dass es keine Meuterei, sondern ein Aufstand, war und dass dieser Aufstand eine Republik auf den Weg gebracht hat:
Kommentar Admiral Schönbach:
Noske wurde wie ein Heilsbringer  von 10.000enden am Kieler Hauptbahnhof begrüßt. Es ging dort auch darum, die vielen Radikalen, die Räte, die  mit Sicherheit …alles andere waren als lupenreine Demokraten …. sie wollten alle der Sozialdemokratie als stärkste Macht  die Gelegenheit geben, diesen Aufstand zu beruhigen, die Gewalttätigkeiten möglichst im Zaume zu halten und damit eine neue in  diesem Falle eine Republik auf den Weg zu, bringen, was dann auch geschah.
Im Beginn des o.g. Zitates wird  Bezug genommen auf die Rolle des Reichstagsabgeordneten Noske, der nach Kiel kam, um sich an die Spitze der Revolution zu setzen und diese im Sinne der rechten SPD Führung zu lenken. Später hat er als SPD Reichswehrminister auf Arbeiter schießen lassen.

Sara Wagenknecht:  Ich teile die Einschätzung von Sebastian Haffner2:
Es war eine sozialdemokratischer Revolution, die von Sozialdemokraten niedergeschlagen wurde

Wenn wir den Namen Volksmarine als das deuten, was der Name aussagt: Eine Marine aus dem Volk für das Volk,  ist es für uns legitim, sich in unserem Traditionsverständnis auf die Matrosen von Kiel zu berufen.
Diese haben ein volksfeindliches Regime gestürzt indem sie sich mit dem Volk, vor allem mit der Arbeiterschaft, verbündeten. Sie haben  die revolutionären Ereignisse in Kiel angeführt und mit der Machtübernahme am 5.11. in Kiel entscheidend an der Entstehung einer Republik beigetragen - eindeutig eine historisch fortschrittliche Leistung in der deutschen Geschichte, wie von Engholm betont.
So war es folgerichtig, dass wir Karl Apelt, der gemeinsam mit Lothar Popp und Hermann Knüffken die Revolution in Kiel anführte, zur Flottenparade anlässlich der Verleihung des Namens Volksmarine an die Seestreitkräfte der DDR am 3. November 1960 einluden und ihn und weitere Teilnehmer am Kieler Matrosenaufstand ehrten.

Im Grunde wird diese Leistung heute  in der deutschen Geschichtsschreibung  nicht in Frage gestellt. Sodass wir unseren traditionellen Bezug auf den Aufstand die Kieler Matrosen selbstbewusst vertreten können.
Zum Schwur, wie ernst wir es mit unserem Namen Volksmarine hielten, kam es in der DDR 1989/90 als wir in einer äußerst kritischen Phase der zutiefst diskreditierten SED den Rücken und dem Volk das Gesicht zukehrten.

Der Unterschied zur Betrachtung des Aufstandes der Matrosen von Kiel zu der der Deutschen  Marine besteht darin, dass man dort die moralische Berechtigung an diesem Aufstand  anzweifelt,  indem man sich auf den Begriff der Meuterei bezieht.
Das sollten wir der anderen Marine einfach zugestehen. Unserer beider Herkunft und Geschichte  sollten wir gegenseitig respektieren und unsere marinegeschichtlichen Betrachtungen in beiden deutschen Staaten auf Augenhöhe austauschen. So wie es schon seit Ende der 90iger Jahre auf allen Ebenen in Form von Mitwirkungen im Deutschen Marinebund, in der Marine-Offiziers-Vereinigung, in Marinekameradschaften und sogar auf den Historisch Taktischen Tagungen der Deutschen Marine 2017 und 2018 der Fall  war.
Es erscheinen regelmäßig  Beiträge zur Geschichte der Volksmarine in den gängigen maritimen Publikationen. Auch mein im Oktober 2018 publizierte  Buch Es kommt Alles ganz Anders wird als „ein wertvoller Mosaikstein, deutsche Geschichte aus unterschiedlicher Perspektive“ vom Stellvertretenden Inspekteur der Deutschen Marine und Befehlshaber der Flotte und Unterstützungskräfte, Vizeadmiral  Brinkmann, in seinem Geleitwort  eingeordnet. Erfreulich ist auch, dass die maritimen Museen bemüht sind, unsere verschiedenen Wege und Ansätze beim Aufbau und im Dienst beider deutschen Flotten so objektiv wie möglich darzustellen.
Insofern habe ich die Aussagen von Admiral Schönbach nicht angeführt, um ihn sozusagen vorzuführen. Im Gegenteil, ich  betrachte seine klare Positionierung als bemerkenswert progressiv und teilweise als mutig.
Den Mut sollten auch wir aufbringen und unseren  Bezug zum Traditionsnamen Voksmarine neu bewerten.

Eine unerwartete Bestätigung dafür ist das Vorhaben der Hansestadt Bremen, eine neue jährliche zentrale Veranstaltung zum Gedenken an die Novemberrevolution 1918/19 durchzuführen.3

Unbestritten ist, dass ein Großteil der Arbeit zur Bewahrung des humanistischen Erbes und der Kampf gegen Verfälschung der Geschichte der NVA und der Volksmarine von den Mitgliedern des Verbandes zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR e.V. geleistet wurde und wird. Ich habe noch einmal in die Satzung des Verbandes geschaut. Dort heißt es im Punkt (1): …. unter kritischer Betrachtung der Geschichte der NVA will der Verband aus dem revolutionären und humanistischen Erbe das Bewahrenswerte und Pflegewürdige herausarbeiten, es vor Entstellungen und Verfälschungen schützen und damit zur Legitimation des Soldat seins in der DDR beitragen.
Vielleicht leistet dieser Beitrag einen kleinen  Anteil dazu. 

 

Quellen:
1 Kurt Wrobel; DIE VOLKSMARINEDIVISION, Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung, Berlin 1957

2 Sebastian Haffner * 27. Dezember 1907 in Berlin; † 2. Januar 1999  war ein deutsch-britischer JournalistPublizist und Schriftsteller.
1969 erschien sein Buch:  Die verratene Revolution-Deutschland 1918/1919.

3 Artikel Weser Kurier vom 24. 7. 2020

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