Zwei denkwürdige Ereignisse

(von Oberst a.D. Frithjof Banisch)


Vor wenigen Wochen trafen sich an vielen Orten, vor allem in den neuen Bundesländern, Frauen und Männer aus innerer Verbundenheit zueinander und sie erinnerten sich an gemeinsame Erlebnisse im Verlaufe ihrer Dienstzeit.
Die Gespräche drehten sich auch um die Familien, gemeinsame Freunde und Bekannte, die leider nicht unter ihnen weilten, und auch um jene, die beim letzten Treffen noch anwesend waren und bedingt durch ihr Alter und den angegriffenen Gesundheitszustand heute nicht mehr an solchen Treffen teilnehmen können.

Die, von denen hier die Rede sein soll, dienten oder arbeiteten viele Jahre in den Reihen der Grenz-polizei, der Deutschen Grenzpolizei und in den Grenztruppen der NVA der DDR, später in den Grenztruppen der DDR, um korrekt zu sein.
Die 70-ste Wiederkehr des Tages der Bildung der Grenzsicherungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland an diesem 1. Dezember 1946 ist ein würdiger und zugleich ein denkwürdiger Anlass für diese Treffen. Die Älteren unter Ihnen kamen einst aus den unterschied-lichsten sozialen Schichten und auch ihre ursprünglich erworbene Bildung konnte unterschiedlicher nicht sein, angesichts der Lebensumstände in ihrer Kindheit und Jugend vor dem Krieg. Das unmittelbare Erleben der Zeit des Faschismus und des bisher schlimmsten Krieges aller Zeiten, das Begreifen der ungeheuren Menschenverachtung in dieser Zeit, der Verlust der Heimat für so viele Menschen, die materiellen, moralischen und geistig-kulturellen Folgen prägten diese Generation in besonderer Weise.
Beim Eintritt in die Reihen der Deutschen Grenzpolizei spielten oft Motive des einfachen Broterwerbs eine verständliche Rolle. Und natürlich war da der Wunsch, gemeinsam mit anderen nun an einer guten Sache zu arbeiten. Es ging um die Stabilisierung einer im Entstehen gegriffenen neuen Ordnung, auch an der Demarkationslinie zwischen östlichen und westlichen Besatzungszonen und später dann an der Staatsgrenze der DDR. Es ging um Sicherheit beim Aufbau antifaschistisch-demokratischer Gesell-schaftsstrukturen, die bessere Lebensverhältnisse im Frieden und ohne Ausbeutung schaffen sollten. Heute sind noch erfreulich viele dieser Generation unter uns und sie haben ihre Erlebnisse und ihre gesammelten Erfahrungen beim Dienst an der Staatsgrenze und ihr erworbenes Wissen und ihre Fertigkeiten an die Jüngeren weitergegeben.
Den etwas später Geborenen waren die unmittelbaren Schrecken des Krieges erspart geblieben. Dennoch waren ihnen die Folgen täglich gegenwärtig. Sie sahen die Zerstörungen in den Städten und vor allem an den Menschen mit ihren körperlichen Verstümmlungen und hörten deren Erzählungen über das Erlebte und das böse Erbe danach. Sie wuchsen mit Flüchtlingskindern auf oder waren selbst Betroffene. Dieser Generation waren dann schon Möglichkeiten einer soliden Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern in der DDR zugänglich. Der Ruf: „Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus!“ war vielen Menschen der Generation der Nachkriegskinder ein gewichtiges Motiv, sich in eine menschlichere Gesellschaft einzubringen und dort auch als Grenzer Dienst an der Waffe zu leisten.

Die Auseinandersetzung der Systeme hatte längst begonnen und Bestrebungen der UdSSR, Deutschland mit seiner Geschichte und der exponierten geostrategischen Lage aus dem Spannungsfeld heraus zu halten, sollten auch an Adenauers „Lieber ein halbes Deutschland ganz, als ein ganzes Deutschland halb!“ scheitern.
Die damals in der UdSSR führenden Politiker und Militärs nutzten die territorialen Ergebnisse des letzten Weltkrieges und sicherte ihrem geschundenen Land folgerichtig den Einfluss mit dem über Allem stehenden Ziel, nie wieder die Folgen eines 22. Juni 1941 erleben zu müssen. Der denkwür-dige Tag des deutschen Überfalls auf die Völker der UdSSR, dessen 75-ste Wiederkehr in diesem Jahr begangen wurde, steht also mit unserem 70'sten Jubiläum in einem direkten Zusammenhang.
Die Politikeliten und Militärs der USA und Großbritanniens nutzte die Chance des von ihnen besetzten Teils von Europa als wirtschaftlichen Absatzmarkt der Zukunft für sich, und zugleich den kontinentalen Brückenkopf als Standbein ihrer Streitkräfte für zukünftige Auseinandersetzungen und mit Westberlin einen idealen Stör- und Horchposten in Mittel- und Osteuropa.
In diesem Widerspruch der Interessenlagen, mit all seinen oft und rasch wechselnden Einflüssen, entstand in Folge des Krieges die territoriale Trennlinie mitten durch Deutschland. Nun bemühten sich Menschen der Vorkriegs-, der  Kriegs- und frühen Nachkriegsgeneration im deutschen Osten, zunächst unter Führung und mit sowjetischen Einheiten, um gesicherte Demarkationslinien und später um eine zuverlässig geschützte Staatsgrenze im Interesse der Koalition und des Friedens in Europa. Gemeinsam mit der herangewachsenen DDR-Generation von Grenzern gelang das 44 Jahre lang gemeinsam. Also Dank der Frauen und Männern aus drei Generationen, insgesamt also ca. 500.000 Grenzern. Sie waren zugleich die militärische Vorhut und handelten ununterbrochen nach Raum und Zeit, gestützt auf die NVA, die GSSD und die anderen Kräfte des Zusammenwirkens und der Zusammenarbeit und in deren Sicherheitsinteresse, das sollten wir nicht vergessen!
Als es politischen Kräften in beiden bisher widerstreitenden Lagern auf europäischem Boden glückte, den Weltmachtambitionen der USA-Eliten neuen Spielraum zu gewähren und einstige Verbündete der UdSSR durch provozierte gesellschaftliche Umbrüche zu demontieren, führten die Sprach- und Orien-tierungslosigkeit in der DDR-Politik zur chaotischen Öffnung der Grenzübergänge zu Berlin (WEST) und später zur BRD. Vor den im Dienst befindlichen bewaffneten Grenzern, ob am Brandenburger Tor, der grünen Grenze oder den Militärs in Führungsverantwortung, also vor all den als „Todes- und Mauer-schützen“ mit ihrem „Schießbefehl“ Verleumdeten, stand eine Entscheidung... Es fiel kein Schuss !!! Später dann erübrigte sich eine Sicherung der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin und der BRD, denn der noch Staat DDR selbst gab seine Souveränität auf und erlebte eine feindliche Übernahme mit allen Konsequenzen, bis hin zur politischen Strafjustiz der Sieger. Und das besonders gegen DDR-Militärs und Grenzer aller Dienstgrade.

Bereits wenige Monate nach dem Vollzug der deutschen Einheit und nach der Zerschlagung der stärks-ten antiimperialistischen Kräfte in der Weltarena, einst im Warschauer Vertrag vereint, entfesselte man, auch mit deutscher Hilfe, wieder Kriege im Interesse der grenzenlosen Freiheit des Kapitals, auch in Europa. Das nicht packt gebundene Land antiimperialistischer Orientierung, Jugoslawien, gibt es heute nicht mehr. Es wurde zuerst zerteilt, um darüber zu herrschen und sich dauerhaft mit Streitkräften festzusetzen. Weitere Staaten mit der gleichen politischen Grundorientierung der Paktfreiheit, wie der Irak und Libyen wurden mit erlogenen Kriegsanlässen Opfer der Supermacht und deren Verbündeter. Dieses Schicksal blieb bisher dem Iran erspart. So genannte bunte Revolutionen mussten über Grenzen getragen werden und ein „Arabischer Frühling“ sollte für Freiheit sorgen. Dafür stehen besonders deutlich die Ereignisse in Polen, später im Baltikum, dann in Serbien und Georgien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Syrien, in Staaten Afrikas, Lateinamerikas und aktuell die in der Ukraine. Den Antikommu-nismus, bisher tief in die Köpfe von Millionen Menschen als Feindbild implantierter, walzt man nun in weitere Feindbilder aus. Russenhass in mannigfaltigen Erscheinungsformen wird im Westen nach Kräften befördert, selbst gegen eigene Wirtschaftsinteressen. Deutsche Politiker vergehen sich aus Opportunismus und US-Hörigkeit am eigenen nationalen Interesse und an den Lehren der Vergan-genheit, und auch an ihrem Wahlvolk.
Das Phänomen „Internationaler Terrorismus“, der durch die Kriege, deren Folgen und die ungleiche Verteilung des Zugangs zu den Reichtümern dieser Erde gezüchtete wird, ist für die Leute zum sichtbaren Ersatzfeindbild geworden.
Kriege und Not führen zu Fluchtbewegungen in bisher nicht gekanntem Umfang und erschüttern West- und Mitteleuropa; nach Bankenkrise und Eurokrise ist das wohl nicht ganz ungewollt.
Frauen und Männer der hier am Anfang geschilderten drei Generationen von Grenzern sind heute im Herbst oder vor der Vollendung ihres Lebens. So mancher Mitstreiter ist nicht mehr unter uns.
Wir haben die 70-ste Wiederkehr des Tages der Gründung der Grenzsicherungskräfte der SBZ und der DDR in würdiger Weise begangen. Zugleich erinnern wir an das andere, das denkwürdige Datum, nämlich die 75-ste Wiederkehr des 22. Juni 1941, das die Völker in weiten Teilen Osteuropas so eindrucksvoll begingen, denn die können den damals über sie gekommenen mörderischen Krieg nie vergessen! Auch auch eingedenk dessen war unser Grenzregime so wie es war!
Wir lernten den Frieden wertschätzen, um den wir uns einst gemeinsam mit anderen Menschen als Grenzer erfolgreich bemüht haben. Gesicherte Grenzen bedeuteten für uns damals gesicherter Frieden in Europa.

Heute stehen NATO - Panzer an den Grenzen Russlands und der Aufruf „Soldaten für den Frieden“, den schon viele Grenzer unterschrieben haben, ist brennend aktuell, denn es sind Kinder und Enkel da, die Krieg und seine Folgen nie erleben sollten!

Frithjof Banisch, Oberst a.D.
im Oktober 2016

Unsere Webseite verwendet für die optimale Funktion Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.