22.07.2025
Unbekannte Aspekte der deutsch–russischen Beziehungen
- Teil 2 -
Verschwiegenes und Neues zu sogenannten Hitler- Stalin-Pakt 1939
1938/39 – die UdSSR in Gefahr
Dieser Nichtangriffsvertrag wurde schon einen Tag nach seinem Abschluss, mehr und zunehmend aber seit 1945, vor allem nach dem Untergang der Sowjetunion durch politisch festgelegte Karrierehistoriker, mainstreamhörige Journalisten und inkompetente, für ihr Amt ungebildeten Politiker einer Verleumdungskampagne unterworfen.
Von Fakten und Tatsachen nicht gedeckt, wurden ihre Kernaussagen immer abenteuerlicher:
Die UdSSR hätte sich hierbei für Hitlerdeutschland entschieden, weil es auch eine Diktatur gewesen wäre, die Bündnisangebote des Westens ausgeschlagen, da es ihr um territorialen Gewinn ginge, der nur mit Hitler zu realisieren war, beiden hätten Osteuropa aufgeteilt, die UdSSR wäre mit Hitler verbündet (Bündnis, Pakt, Allianz), beide hätten gemeinsam Polen zerschlagen und mit dem Vertrag Hitler erst seinen Krieg beginnen können, d.h. die Sowjetunion wäre am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges (möglicherweise) der Hauptschuldige.
Hierzu lässt sich Folgendes sagen:
Mit der Machtübertragung an Hitler hatte der Westen in Deutschland endlich seinen Sturmbock gegen die Sowjetunion, doch zunächst mussten die Nazis andere Prioritäten setzen.
Die antisowjetische Propaganda kanalisierte sich vorwiegend gegen die KPD und SPD. Dann mussten sich die Nazis politisch bis 1935 konsolidieren.
Zwar hatten die Nazis mehr als die Weimarer Republik ihren antikommunistischen Charakter durch die Zerschlagung der Arbeiterbewegung unter Be-weis gestellt, doch die faschistische Propaganda richtete sich erst einmal gegen das Versailler System, denn damit hatte die NSDAP auch ihre Wahler-folge zu verdanken.
Zur Zerschlagung des Versailler Systems, das von westlicher Vorherrschaft gekennzeichnet war, musste außenpolitisch der Westen zurückdrängt und sein Bündnissystem in Osteuropa unwirksam gemacht werden. Zugleich musste sich Deutschland völlige Souveränität verschaffen, um sich politische, wirtschaftliche und militärische Handlungsfreiheit zu ertrotzen. Daher trat 1933 Deutschland aus dem Völkerbund aus.
Für die Sowjetunion bestand vorerst keine unmittelbare Bedrohung. Deutschland hatte auch keine gemeinsame Grenze zum Sowjetland.
Das Neutralitätsabkommen mit Berlin von 1926 war noch aktuell und mit den baltischen Staaten, Finnland und Polen gab es Nichtangriffsverträge. Vorerst richteten sich die deutschen Vorstöße und Verstöße ausschließlich gegen die Westmächte, keine davon gegen die UdSSR.
Es schien so, als ob die antiwestliche Außenpolitik der Nazis der Nazis der UdSSR jetzt in die Hände spielen würde, denn bisher war die größte Gefahr für die UdSSR allein vom kollektiven Westen ausgegangen.
Die junge sowjetische Diplomatie war aber weitblickend genug, zu erkennen, dass die deutschen Vorstöße gegen das Versailler System, das die UdSSR selbst auch ablehnte, vorrangig dazu diente, es zu zerschlagen, um sich so besser gegen die Sowjetunion in Stellung zu bringen.
Führende westliche Politiker sahen das ebenso und ließen deshalb Deutschland gewähren (Appeasement – Politik).
Statt die weitere Entwicklung in diese Richtung aus scheinbar sicherer Dis-tanz abzuwarten, trat die UdSSR dem Völkerbund bei, um ein System der kollektiven Sicherheit, im Grund genommen gegen Deutschland, zu initiieren. Dadurch kam es zu einer enormen außenpolitischen Aufwertung der UdSSR in Europa, zu Bündnisverträgen mit Frankreich, der ČSR und völkerrechtliche Anerkennung durch einige Staaten.
Die Nazis indes hielten an ihrem Kurs fest: Ein durch Schulden finanziertes enormes Rüstungsprogramm, ähnlich dem der BRD heute, Wiedereinführung der Wehrpflicht, ein mit den Briten abgesprochenes Flottenprogramm und die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes, den „Anschluss“ Österreichs. Das verstieß massiv gegen Friedensverträge von 1919 und Abkommen, die in der Weimarer Republik jüngst erst abgeschlossen worden waren.
Die Westmächte sahen dem mit marginalen Protesten zu.
Mit dem Münchener Abkommen, das den Nazis ein Drittel des ČSR – Territoriums überließ, hatte die Appeasement – Politik ihren Höhepunkt erreicht. Die bisherigen Erfolge sowjetischer Außenpolitik waren damit hinfällig.
Schlimmer noch: Die Briten schlossen als „Demokraten“ im September und die Franzosen im Dezember 1938 mit der Nazidiktatur Nichtangriffserklärungen ab, das was sie später Moskau vorwerfen sollten. Diese Tatsache wird heute verschwiegen.
Dadurch wurde die Bildung eines kollektiven Sicherheitssystems unmöglich geworden:
Im Falle eines Krieges stände die UdSSR allein gegen die Nazis. Zur Jahres-wende 1938/39 war die UdSSR isoliert und in einer äußerst gefährlichen Lage.
Bis März 1939 verschlechterte sich deren Lage weiter. In Spanien siegten die Faschisten über die Linken, Deutschland annektierte das Memelland und drang im Baltikum vor, die restliche ČSR wurde vertragswidrig von den Deutschen besetzt, in der Slowakei bildete sich ein mit Deutschland verbündeter faschistischer Staat heraus.
Nun existierte ein breiter Streifen durch Grenzen verbundenen faschistischer Staaten und ihrer Verbündeten: Deutschland, Italien, das okkupierte Tschechien, das annektierte Österreich, die Slowakei und Ungarn. Europa war geteilt, die potenziellen Verbündeten Polens, Rumäniens, Griechenlands und Jugoslawien waren durch dieses breite geographische Band voneinander getrennt. Militärische Hilfe hätten die westlichen Länder zwar leisten, doch ohne die Militärmacht Polens und vor allem der UdSSR kaum mit Erfolg.
Die Rolle Polens
Bis heute wird die Rolle Polens in diesem Zusammenhang unterschiedlich bewertet.
Die sozialistische Geschichtsschreibung warf den Polen vor, aus klassenegoistischen Gründen und verbohrtem Antisowjetismus ein Bündnis mit der UdSSR ausgeschlagen zu haben. Das ist faktisch zwar richtig, doch kein Grund den Polen allein direkt oder indirekt eine Mitschuld am Ausbruch des Krieges anzulasten, wie es auch in westlichen Publikationen zu lesen ist.
Hier wird die polnische Vorgeschichte wissentlich ausgeblendet!
Der polnische Staatsführer Marschall Piłsudski konnte nach seiner erneuten Machtübernahme 1926 feststellen, dass parallel mit dem Wiederaufstieg Deutschlands Frankreich als militärischer Bündnispartner Polens sich immer mehr seinen Verpflichtungen zu entziehen trachtete. Er wusste, dass die Deutschen ihre verlorenen Ostgebiete wiederhaben wollten, wie es schon vor 1933 offiziell artikuliert worden war. Zugleich war ihm bekannt, dass die UdSSR Interesse an ihren an Polen 1920 verlorenen Westgebieten hatte. Doch gegen beide wollte er keinen Krieg führen.
So entwickelte er seine außenpolitische Linie des gleichen Abstandes zu Berlin und Moskau. Mit keinen der beiden sollten Bündnisse geschlossen, doch bessere Beziehungen entwickelt werden. Damit wollte er auch den prosowjetischen Stimmungen in seinen ukrainischen und belorussischen Gebieten den Wind aus den Segeln nehmen. Diese Politik hatte über Jahre Erfolg. 1932 wurde mit Moskau ein Nichtangriffsvertrag abgeschlossen, die Beziehungen entwickelten sich gut und waren wesentlich besser als heute. Es kam sogar zu einer gewissen Annäherung.
Mit den Deutschen schloss Polen 1934 eine Nichtangriffsdeklaration ab, kein Nichtangriffsvertrag, wie heute behauptet wird. Das diente den Nazis auch zur Demonstration ihrer angeblichen Friedensliebe. Aus Sicht sozialistischer Historiker und nicht nur von ihnen, sollte diese Vertrag der Täuschung der Polen dienen. Das hat sicher auch eine Rolle gespielt, doch gerade das ist den Nazis nicht gelungen: Die Polen blieben immer wachsam.
Tatsächlich aber ging es den Nazis darum, Polen als militärischen Bündnispartner gegen die UdSSR zu gewinnen. Hierfür investierten die Nazis viel propagandistischen Aufwand, denn Polen galt bisher als Feind. Es kam letztlich zu einer unerwarteten Annäherung und regen Besucherdiplomatie. Kein anderes Land verfügte über dermaßen bedeutende Kontakte; führende Nazis wie Göring, Himmler, Geheimdienstler und Generäle waren polnische Staatsgäste. Dem gegenüber traten die Kontakte mit den Sowjets zurück.
Ende 1938 sah es für die Sowjets so aus, als ob Polen sich den deutschen Wünschen fügen würde. Berlin verlangte nun von den Polen im wesentlichen die verlorenen Gebiete vor dem Ersten Weltkrieg zurück und versprach ihnen dafür bei einem gemeinsamen Kriegseinsatz gegen die UdSSR einen Großteil der Ukraine.
Für die Sowjets hätte dieses neue Bündnis besonders gefährlich ausfallen können, da sie die Polen als tapfere, hoch antisowjetisch motivierte Soldaten kannten und 1920 nicht besiegen konnten. Zudem wären polnische Soldaten viel besser als die deutschen mit den geographischen und klimatischen Verhältnissen Osteuropas zurechtgekommen. Die polnische Armee war zwar nicht besonders modern ausgerüstet, doch schlagkräftig genug und seit Jahren auf einen Krieg mit der UdSSR ausgerichtet worden.
Polen hätte bis zwei Millionen Soldaten mobilisieren können, mehr als die anderen Verbündeten Deutschlands 1941. Polen hätte so ein Drittel aller faschistischen Streitkräfte stellen können.
Doch diese Rechnung ging nicht auf!
Polen hatte sich zwar an der Zerschlagung der ČSR beteiligt, doch weiter ging seine Zusammenarbeit mit den Nazis nicht. Piłsudski und sein Außenpolitiker Józef Beck lehnten einen gemeinsamen Ostfeldzug ab und hielten eisern an ihrem formalen Bündnis mit Frankreich und dem Nichtangriffsvertrag mit der Sowjetunion fest.
Die Gründe für deren Absage an die Deutschen hatte moralische, doch vor allem politische Gründe. Es war nicht die Furcht vor der Roten Armee, gegen die Polen 1920 in der Ukraine eine Niederlage erlitten hatte, sondern vor der eigenen Bevölkerung.
Die Deutschen forderten ihre ehemaligen Ostgebiete, die Polen erst vor 20 Jahren für sich erkämpft hatte. Hier waren die deutschfeindlichen nationalistischen Nationaldemokraten stärkste Partei, die mitgliederstärkste Polens überhaupt. Denen hatte sich das Regierungslager in den letzten Jahren angenähert. Ein Bündnis mit den Deutschen hätte einen Machtwechsel mit ungewissen Ausgang bedeutet. Die Nationaldemokraten waren auch von Anfang an gegen den eroberten Erwerb ukrainischer und belorussischer Gebiete, da-für an zusätzlichen deutschen Gebieten interessiert.
Gerade der ostslawische Charakter dieser Gebiete, die immerhin die Hälfte des damaligen polnischen Staatsgebietes ausmachte, bewog die Herrschen-den, ein Bündnis mit der UdSSR abzulehnen. Dabei konnten sie sich auf die überwiegende Mehrzahl der Polen stützen, die jetzt noch den Sieg über die Rote Armee vor Warschau 1920 zelebrierte.
Diese Gebiete waren das Armenhaus Polens mit mehrheitlich Belorussen und Ukrainern. Die Westmächte hatten schon 1920 Polen vor der Inbesitznahme dieser Gebiete gewarnt, denn sie kannten als Kolonialmächte die Probleme mit unterdrückten Mehrheiten. Tatsächlich bildete sich hier ein enormes Sicherheitsrisiko heraus, dessen Polen nie Herr werden konnten: Hier gab es die stärksten linksorientierten Bauernbewegungen, kommunistische Partisanen und nationalistische Terroristen. In Westbelorussland überwogen pro-sowjetische Auffassungen, war das Zentrum der kommunistischen Bewegung ganz Polens, in der Westukraine neben ihnen noch eine extrem nationalistische Bewegung, die gezielt die Tötung von Staatsbeamten betrieb. Aus diesen Territorien kamen mehr kommunistische Abgeordnete als aus den ethnisch–polnischen.
Pazifizierungsaktionen von polnischen Militär und Polizei vertieften den Hass der Bevölkerung gegen die polnischen Herren, die zumeist Großgrundbesitzer und Beamte waren.
Die Befürchtungen Warschaus sollten sich als richtig erweisen: Nach dem deutschen Angriff auf Polen und dem Ausbleiben westlicher Hilfe riefen ukrainische Nationalisten zum Aufstand auf, bei dem zurückweichenden polnischen Truppen angegriffen und staatliche Strukturen beseitigt wurden.
Als die Rote Armee am 17. September in diese Gebiete einmarschierte, wurde sie von der Bevölkerung enthusiastisch begrüßt. In der Westukraine schlossen sich nun die Linken dem Aufstand an und in Westbelorussland erhoben sich auch die Linken zu einem Aufstand und unterstützten den sowjetischen Vormarsch.
Dieser ostslawische Aufstand wird heute entweder verschwiegen, herunter-gespielt oder völlig unberechtigterweise den Juden angelastet.
Andererseits gab es unter den Polen keine ernstzunehmende legale politische Gruppierung, die ein Bündnis mit der Sowjetunion anstrebte. Auch in diesem Falle hätte ein Bündnis mit Moskau auch zum Sturz der Regierung geführt.
Das war also ausgeschlossen.
Im Gegenteil: Polen schwelgte propagandistisch noch über den Sieg über die Rote Armee im Sommer 1920, fühlte sich stark und kampfbereit. Unter der polnisch – ethnischen Bevölkerungsmehrheit (65%) gab es 1939 eine politisch–moralische Einheit zwischen Volk und Regierung gegen die deutsche Bedrohung, wie sie nie wieder erreicht werden sollte.
Die Verteidigungsbereitschaft des polnischen Volkes und dessen Siegesgewissheit stand im Sommer 1939 scheinbar auf realen Grundlagen. Man war mit Frankreich verbündet, das 15 Tage nach einem deutschen Überfall auf Polen eine Offensive gegen Deutschland beginnen sollte, dazu noch britische Sicherheitsgarantien. Die Polen rechneten in diesem Falle damit, sich erfolgreich zu verteidigen, bis die alliierte Offensive im Westen greifen würde.
Das war nicht unrealistisch!
Da die Polen darauf vertrauten, immerhin besaß der Westen damals noch ein statistisches Übergewicht gegenüber den Deutschen, hätten sie möglicher-weise auch keine sowjetische Hilfe benötigt.
Es war also nicht die vielzitierte klassenpolitische Arroganz der Polen gegenüber der UdSSR, sondern der Verrat des Westens an seinen Verbündeten im Osten, die das polnische Volk und auch die Europäer in die Katastrophe stürzen sollten.
Dr. Holger Michael
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