Leserbrief von Herrn Dr. med. Andreas Prokop an die Leipziger Volkszeitung
(wurde verkürzt in der LVZ abgedruckt)

 

Sehr geehrte Redaktion,

der 70. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus und des Endes des 2. Weltkrieges in Europa ist Anlass dieses Briefes.
Ich wurde wenige Jahre nach dem Krieg in Leipzig geboren, spielte als Kind in den Trümmern. Meine Eltern haben durch diesen Krieg ihre Jugend verloren. Vater mit 17 eingezogen, mit 18 in Frankreich in Kriegsgefangenschaft geraten. Als Jugendlicher hat er getötet; es hat ihn nie mehr losgelassen, hat immer wieder daran denken müssen, wer der Brite war, den er erschoss. Er hat sich immer schuldig gefühlt und fand es gerecht, dass er in britischer Gefangenschaft fast gestorben wäre. Meine Mutter, im Februar 45 ausgebombt,war gerade 18 als der Krieg zu Ende war. Meine Eltern haben mich gelehrt: Alles dafür tun, dass der Friede erhalten bleibt. Ich hatte das große Glück, 63 Jahre im Frieden zu leben. Um so schlimmer finde ich, dass es seit dem Ende des "Kalten Krieges" soviel "Heiße Kriege" auf diesem Globus gibt. Warum ist das so? Es wird verdient, Märkte geschaffen, Rohstoffe erbeutet, Menschen getötet. Wo bleibt der Widerstand? Wo sind die Rufer "Schwerter zu Pflugscharen"?

Als Mahnung hier die Tagebuchaufzeichnungen meiner Mutter vom 8. Mai 1945.
"Donnerstag, am 8. Mai
Nun will ich endlich anfangen, das neue Tagebuch zu beschreiben. Höchste Zeit ist es. Aber es ist ja auch so schwer, sich eine ungestörte Minute, die man zu jeder Aussprache braucht, zu verschaffen. Heut ist es bereits 9.30 h abends. Kaum daß ich noch sehen kann. Ein arbeitsreicher Tag liegt heute - genau wie gestern - hinter mir. Ich war heute nahezu in Delitzsch (Rackwitz) und habe Kartoffeln gebettelt. Gestern aus KZ Thekla 12 Ztr. Zement geholt.

Die deutsche Wehrmacht hat heut nacht kapituliert. Nun ist unsre Niederlage gewiß. Nichts kann uns mehr retten. Dieses Ende nach all den glanzvollen Siegen! O, hat eines Menschen Seele Raum für alle die Eindrücke die angesichts dieser Tatsache gespensterbleich und mit riesenhafter Gewalt unser Herz durchwühlen? Was haben wir gelitten in diesen schrecklichen Kriegsjahren! Kaum zu ertragen dünkt es uns manchmal und auch heute scheint mich die ungeheure Last unsres schweren Kriegsschicksals zermalmen zu wollen."

Das sind die Worte einer 18jährigen, die 6 Jahre Krieg hinter sich hatte. Meine Eltern haben nach dem Krieg ein Land mit aufgebaut im Bewusstsein, alles zur Erhaltung des Friedens zu tun. Sie starben vor über 30 Jahren.

Es macht mich betroffen, wie derzeit wieder auf Aufrüstung, Waffengewalt und Krieg gesetzt wird.

 
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Andreas Prokop
Dr.-Zieger-Str. 11
04720 Döbeln

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