Nachdenkliches am "Tag der deutschen Einheit"

von Fritz Greulich

Nun ist das Ziel erreicht!?
Mit der DDR hat auch die Nationale Volksarmee aufgehört zu existieren.
Die Sowjetarmee zieht bald vollständig ab.Das "sozialistische Militärbündnis", der "Warschauer Vertragt" ist handlungsunfähig. Was uns bleibt, das ist eine intakte, wenn auch leicht reduzierte Bundeswehr. Das ist eine modern gerüstete, wenn auch in einigen Stäben und Einheiten gesundgeschrumpfte "NATO". Aber das ist ja wohl etwas ganz anderes. Der Bundeswehrpanzer "Leopard", der beste Panzer der Welt, wie er in einschlägigen Prospekten gepriesen wird, ist schließlich umweltfreundlich: Er fährt bleifrei. Und auf Gummiketten. Die Kanone ist lediglich eine Attrappe. Der Lärm des NATO-"Tornado" ist viel erträglicher als der der russischen MIG. Er ist nämlich demokratischer.

Zum Glück: Nie wieder werden junge Männer zur Wehrpflicht in die NVA gezwungen. Dafür dürfen unsere Söhne in die Bundeswehr einrücken. Für sehr guten Sold, für die stabilste Währung der Welt. Nie wieder wird - Gott sei's gedankt - der so verpönte, zuletzt regelrecht gehaßte "Beauftragte für militärische Nachwuchssicherung" den Pädagogen und Schülern "auf den Geist" gehen. Dafür kommt bald der adrette, nette, freundliche Jugendoffizier der Bundeswehr zu einem selbstverständlich unverbindlichem Gespräch in unsere neue demokratische Schule, um den jungen Leuten einen "krisensicheren Arbeitsplatz" beim "Bund" zu empfehlen. Das ist ja natürlich etwas ganz anderes, gänzlich unmilitärisches.  Endlich kann man freiatmend ausrufen: Die NVA ist tot, es lebe die Bundeswehr.

Ganz ernsthaft:
Viele Menschen bei uns haben für die Abschaffung alles Militärischen gestritten. Für totale Abrüstung. Gegen die Zwangsrekrutierung durch
allgemeine Wehrpflicht. In den Kindergärten und Schulen wurde nach der Wende militärisches Spielzeug zerschlagen, leider nur russisches und NVA-isches. Aber immerhin.
Der dies schreibt, hat seit 1952 in der KVP und danach in der NVA Dienst getan. In der ehrlichen Überzeugung, damit der Festigung und
Erhaltung des Friedens zu dienen. Auch, wenn uns heute manche anders beurteilen: Wir haben die Waffe in die Hand genommen, mit der festen Absicht, einen Krieg in Europa verändern zu helfen. Das ist die Wahrheit, nichts als die reine Wahrheit.

Nicht erst jetzt, sondern spätestens seit der "Politik des Neuen Denkens" eines Michail Gorbatschow reifte die Erkenntnis, daß Krieg kein
Mittel der Politik mehr sein kann und darf. Das habe ich, wie viele andere, in allen militärpolitischen Vorträgen, Gesprächen und Artikeln
mit Leidenschaft vertreten. Tausende Zuhörer, könnten das, wenn sie es nur wollten, bestätigen.

Und wir haben nicht nur über Abrüstung geredet. Wir sind einseitige Schritte dazu gegangen, auch diese historische Wahrheit kann keiner
wegreden. Wir haben unseren militärischen Beruf im Gegensatz zu anderen immer in Frage gestellt. Aber ich bin - heute wie schon seit vielen Jahren - dafür, - alle Waffen zu Pflugscharen umzuschmieden, auf paritätische Weise bis zu Null abzurüsten, zu politischen Sicherheitsstrukturen zu gelangen. Weil es in Europa und der Welt hoch gerüstete Armeen gibt, besteht die Gefahr weiter, daß Kriege ausbrechen. Daß die Menschheit vernichtet werden könnte.

Deshalb muß nicht nur die NVA weg und die Sowjetarmee, sondern auch die Bundeswehr und die NATO insgesamt. Und deshalb haben die Friedenskräfte und Bürgerbewegungen ihr hehres Ziel, eine Welt ohne Waffen, noch lange nicht erreicht.