da hat es wirklich mal einen Rumms gegeben.
30 Minuten hat der neue US-Vice-Präsident auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesprochen und das politische (West)Europa läuft Amok.
Interessant ist, dass im Kontext der Münchner Sicherheitskonferenz plötzlich wieder Personen zu Wort kommen, die der politische Mainstream und die deutschen Leitmedien doch schon längere Zeit zum Schweigen verurteilt hatten.
Hab da kürzlich ein sehr interessantes Interview mit Brigadegeneral a.D. Vad gelesen.
Na und der angefügte Beitrag ist auch einfach Klasse.
Von der Schulenburg ist ein außerordentlich erfahrener und international hoch anerkannter Diplomat. Präzise analysiert er die aktuelle Situation um die Ukraine und hält der Brüsseler und Berliner Bürokratie schonungslos den Spiegel vor.
Alleine dieser eine Absatz ist mehr als ein I-Tüpfelchen des Artikels:
Die Ukraine-Friedensverhandlungen sind im Grunde gelaufen, sagt der Diplomat und BSW-Europaabgeordnete Michael von der Schulenburg. Ein Gespräch über die Interessen Russlands und der USA, den Betrug der Ukraine und Europas hohen Preis
Von Sebastian Puschner
15.02.2025
Michael von der Schulenburg war an vielen Orten der Welt als Diplomat und Mitarbeiter der Vereinten Nationen im Einsatz – in Afghanistan, im Irak, im Iran oder in Sierra Leone etwa. Stets ging es um die Beendigung von Krieg und die Herstellung oder Bewahrung von Frieden.
Drei Wochen vor Russlands Invasion in der Ukraine schrieb er am 2. Februar 2022: „Auch wenn es höchst unwahrscheinlich ist, dass die USA auf eine russische Invasion mit einem militärischen Gegenangriff reagieren würden, würde eine russische Invasion den USA und der NATO die Rechtfertigung dafür liefern, eine große Anzahl von Militär und schwerem Gerät in die unbesetzte West- und Südukraine zu verlegen. Auch bisher ‚neutrale‘ Staaten wie Finnland und Schweden könnten beschließen, der NATO beizutreten.“ Andererseits, so von der Schulenburg damals, sei kaum zu erwarten, „dass die NATO in einem bewaffneten Konflikt in der Ukraine, einem viel größeren Land, dessen größter Nachbar, Russland, sich ihr entgegenstellt, besser abschneidet“ als in Afghanistan oder Libyen. „Sie stünde erneut vor dem Problem, ob sie in erster Linie ein Verteidigungsbündnis, eine Interventionstruppe oder gar eine globale Polizeitruppe ist. Die Mitgliedsstaaten würden sich schwertun, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Das Scheitern der NATO wäre fast unvermeidlich.“
Seit dem vergangenen Jahr ist Michael von der Schulenburg Abgeordneter des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Europäischen Parlament. Schon zuvor war er als scharfer Kritiker der deutschen und der europäischen Politik im Ukraine-Krieg aufgefallen und warnte immer wieder vor deren Fortsetzung.
der Freitag: Herr von Schulenburg, haben Sie in Ihrer langen diplomatischen Karriere schon einmal so etwas schnell Umstürzendes erlebt, wie es sich gerade in Bezug auf den Ukraine-Krieg vollzieht?
Michael von der Schulenburg: Ich war ja viel im Iran und Irak, die Waffenstillstandsverhandlungen zum Ersten Golfkrieg fanden in meinem Haus in Teheran statt. Ich hatte in der Zeit meine Frau geheiratet, während die Missiles zwischen Bagdad und Teheran hin- und herflogen. Da wurde auch lange immer erzählt, man werde den Krieg ganz bestimmt noch gewinnen. Dann ging es ganz schnell: Dass Khomeini eines Tages umfallen und plötzlich entscheiden würde, die Waffenstillstands-Resolution des UN-Sicherheitsrates anzunehmen, stand in dem Moment nicht zu erwarten. Das Agieren der USA in Bezug auf den Ukraine-Krieg erinnert mich aber eher an Dynastien im 18. Jahrhundert, wenn eine neue Königin oder ein neuer König kommt und plötzlich etwas ganz Grundlegendes ändert.
Sie meinen, König Donald Trump, der Zweite, löst König Joe Biden, den Ersten ab?
Ja, das Ganze ist doch nur erklärbar mit den unterschiedlichen Sichtweisen, was die internationalen Interessen der USA sind. Joe Biden war ein Neocon, der die unilaterale Welt dadurch absichern wollte, dass er diese Brücke zwischen Asien und Europa kontrolliert. Das haben die USA seit George Bush Junior so gemacht. Plötzlich kommt da jemand und sagt: Nee, das ist gar nicht unser Interesse. Ich habe das ja in Afghanistan erlebt, kenne die dort Beteiligten wie den afghanischen Verhandlungsführer vor dem US-Abzug und den damaligen Präsidenten Aschraf Ghani: Die Amerikaner sind zu dem Schluss gekommen, dass sie mit dieser Regierung – die sie ja selbst eingesetzt haben und die nicht wirklich frei gewählt worden war – den Krieg nicht gewinnen können. Dann fingen sie an, mit den Taliban zu verhandeln. Präsident Ghani erfuhr davon aus der Zeitung, wie die Deutschen. Die Amerikaner sind da ganz egoistisch, sagen, jetzt ziehen wir einen Schlussstrich, das ist uns zu teuer, da wird nichts mehr draus. Ich glaube, das ist in der Ukraine auch passiert: Der Umschwung fing schon unter Biden an, als die Ukrainer dummerweise die Nuklearanlagen der Russen anzugreifen begannen. Das war dann zu viel und sie wussten, dass man den Ukrainern nicht trauen, mit ihnen den Krieg nicht gewinnen kann, ohne einen Weltkrieg zu riskieren. Das ist einfach umgeschlagen, von einem Tag zum anderen. Und jetzt sind die Ukrainer die großen Verlierer. Die Deutschen auch.
Manch ein Beobachter sagt, die USA hätten von Anfang an nicht das primäre Interesse oder den Glauben gehabt, diesen Krieg militärisch gewinnen zu können.
Nein, nein, das glaube ich überhaupt nicht. Ich war ja in den Verhandlungsprozess in Istanbul 2022 in gewisser Weise involviert – dieser Prozess wurde von den Briten und den Amerikanern abgeschossen, ganz eindeutig. Die haben damals gedacht, es ist ganz leicht, die Russen zu besiegen. Sie dürfen nicht vergessen, wie schon vor dem Krieg über Russland geredet wurde, in deutschen Medien wurde geschrieben, Russland sei kein Land, sondern eine Tankstation, oder die Berichte über die Schwerfälligkeit der russischen Armee: Man dachte doch, dass man das ganz leicht gewinnen kann. Russland hat ja auch eine Weile gebraucht. Aber dass das dann so umgeschlagen ist, ist auch Resultat dessen, dass man die Ukraine überschätzt hat.
Inwiefern waren Sie in den Istanbul-Verhandlungsprozess involviert?
Ich rede da eigentlich nicht so gern drüber, denn mich hatte eine britische NGO gebeten, da aufgrund meiner Erfahrung mitzumachen. Die haben beide Seiten, die russische Delegation und vor allem die Ukrainer, beraten. Ich bin dann ausgestiegen, weil ich das Gefühl hatte, dass das eine sehr spezielle NGO ist, mit der ich wohl eher doch nicht so gern zusammenarbeite. Aber ich kenne die Vertragsentwürfe – wenn man aus Perspektive der UNO darauf schaut, dann gibt es seit dem Zweiten Weltkrieg kein einziges anderes Beispiel, dass Länder in einem Krieg, wer auch immer ihn angefangen hat, sich innerhalb eines Monats auf die wichtigen Punkte für einen Friedensvertrag geeinigt haben. Bei der UNO werden alle derartigen Friedensverträge registriert, wenn Sie dort Kollegen fragen, die werden Ihnen sagen: Wie schnell und in welcher Qualität sich die Russen und die Ukrainer geeinigt haben, so etwas haben wir noch nie gesehen. Die Ukrainer haben damals keinen Quadratmeter Land aufgegeben. Sie haben nur zugegeben, dass Russland für 15 Jahre die Krim kontrollieren kann, bevor man das diplomatisch löst. Das wäre natürlich darauf hinausgelaufen, dass die Krim russisch bleibt, aber alle anderen Gebiete nicht. Putin hat das akzeptiert, Selenskyj hat das akzeptiert, beide Seiten hatten das paraphiert, wie man es tut, bevor man einen Friedensvertrag macht. Das wäre eine tolle Sache gewesen, eine neutrale Ukraine in den Grenzen von 1991, mit Ausnahme der Krim. Die Ukraine hätte von der Neutralität sehr profitiert, hätte als eine Brücke zwischen der EU und den BRICS-Staaten fungiert, was wirtschaftlich sehr positiv hätte sein können. Das ist nun vertan, das wird nicht mehr passieren und das ist unsere Schuld. Die Schuld für die Torpedierung dieser zehn Punkte von Istanbul liegt allein beim Westen, der wollte den Krieg weiterführen.
An der Stelle werden Ihnen Kritiker entgegnen, es habe an Butscha gelegen.
Butscha hat überhaupt keine Rolle gespielt. Das war eine Propaganda-Geschichte. Außerdem verhandelt man Friedensverträge ja, um zu stoppen, dass Menschen sich umbringen, um etwas wie Butscha zu verhindern. Und sobald man wirklich verhandelt, wird nie über Schuld gesprochen, nicht über Butscha, nicht über ukrainische Attacken im Donbass früher. Sonst könnte man nicht verhandeln, sondern würde versuchen, Geschichte aufzuarbeiten. Aber man will ja eine Lösung haben. Unsere Zeitungen sind voll von Moral, aber Kriege drehen sich nicht um Moral, sie drehen sich um Interessen. In der UNO sagten wir immer, wenn eine Partei von Moral spricht, dann läuft es auf Krieg hinaus, und wer von Interessen redet, der sucht eine Lösung. Friedensverhandlungen sind so, das ist knallhart.
Inwiefern liegt es angesichts der für Russland vorteilhaften Lage auf dem Schlachtfeld denn überhaupt in dessen Interesse, Friedensverhandlungen zu führen?
Allgemein will der, der gewinnt, gern verhandeln, und der, der verliert, will eigentlich nicht, solange er es aushalten kann. Jemand, der auf der Gewinnerseite ist, möchte das absichern. Man hat einen Krieg nicht gewonnen, so lange man keinen Frieden hat. Russland ist daran sehr interessiert. Außerdem wird Trump den Russen alles geben, was sie wollen.
Donald Trump wird Ursula von der Leyen den Arm umdrehen, sie auf eine schnelle EU-Aufnahme der Ukraine festnageln und Europa den Wiederaufbau bezahlen lassen
Er hat ihnen im Grunde ja schon alles gegeben.
Ja. Aber das russische Interesse war ja auch immer klar. Wenn man verhandelt, schaut man, ob alle Parteien sich rational verhalten. Der Rationalste ist Putin, weil er genau weiß, was er will und sich dementsprechend verhält. Bei Verhandlungen Leuten gegenüberzustehen, die gar nicht genau wissen, was sie wollen und sich nicht klar verhalten, ist immer schwierig. Putin will keine NATO und keine Amerikaner in der Ukraine, er will den Zugang zum Schwarzen Meer über die Krim sichern und es geht um diejenigen in der Ostukraine, die Russisch sprechen und um die 70 Prozent pro-russische Parteien gewählt haben. Das Interessante jetzt finde ich, dass Trump nicht erwartet, dass es eine Waffenpause gibt, bis alles unterschrieben ist. Das ist eigentlich üblich. Ich kann Ihnen auch sagen, warum: Das spielt für die Russen, die im Vormarsch sind. Das richtet sich gegen die Ukrainer. Er spricht auch schon von den vier Oblasten, also von Gebieten, die zum Teil gar nicht erobert sind, die unter russische Kontrolle kommen. Das ist interessant, denn wir spekulieren in Deutschland, ob wir da Soldaten hinschicken, um die Waffenstillstandslinie zu sichern. Das wird natürlich nicht passieren. Vielleicht gibt es ein paar UNO-Beobachter, aber mehr wird es nicht sein.
Keine Peace Inforcement Mission, nichts, an einer mehr als 2.000 Kilometer langen Grenze?
Können Sie sich vorstellen, dass die Russen zulassen würden, dass nach drei Jahren Krieg Soldaten aus NATO-Staaten dort stehen? Eine UN-Mission in einem Land, das 6.000 Nuklearwaffen hat? Wie stellen Sie sich das vor? Dass Indien da seine Soldaten hinschicken will? Dass deutsche Soldaten dort akzeptabel wären? So etwas findet statt in kleineren Ländern, die von außen unter Druck gesetzt werden, das zu akzeptieren.
Wie wird dieser Verhandlungsprozess dann jetzt aussehen?
Der ist doch schon gelaufen.
Ja?
Sicher. Die Ukraine hat seit 2014 in ihrer Verfassung stehen, dass sie NATO-Mitglied werden will. Das wird nicht passieren. Die Entscheidung dazu läuft also jetzt über die NATO, weil man den Ukrainern nicht traut. Russland hat seine Ziele erreicht und Putin wird sich nicht weitere Kriegstote leisten wollen, das ist für ein Land mit rückläufigen Bevölkerungszahlen auch eine große Last. Was soll er mehr wollen? Ich kann mir nichts vorstellen.
In Deutschland denken wir ja gern, wenn wir wieder nett zu den Russen sind, dann kommen sie gleich wieder, uns zu umarmen, weil sie doch die Deutschen so gern haben. Ich glaube, das wird nicht passieren diesmal
Was ist mit den viel beschworenen BRICS-Staaten?
Die spielen eine große Rolle. Die BRICS-Staaten haben sich auf die russische Seite gestellt – das Treffen im russischen Kasan mit 22 Regierungschefs, deutlicher kann man es kaum zum Ausdruck bringen. Die wollen natürlich auch keine Ausweitung der NATO. Das Interessanteste ist die Türkei, die jetzt ein assoziiertes BRICS-Mitglied ist – die will ja nun auch nicht die Amerikaner im Schwarzen Meer. Das ist einfach Interessenpolitik. In Deutschland denken wir ja gern, wenn wir wieder nett zu den Russen sind, dann kommen sie gleich wieder, uns zu umarmen, weil sie doch die Deutschen so gern haben. Ich glaube, das wird nicht passieren diesmal. Denn Russland hat eine Alternative. Vorher waren wir die, die Technologie und Industrie hatten, die hatten die Rohstoffe, und das passte so schön zusammen. Aber jetzt haben sie die BRICS-Staaten, die Gaspipeline nach China ist fertig und sicher werden sie bald auch eine nach Indien haben. Russland hat sich in Richtung der Wachstumsregionen in Asien ausgerichtet, wo inzwischen mehr Innovationen angemeldet werden als in der G-7-Gruppe. Und wir werden einen unglaublichen Preis für all das zahlen. Trump wird Ursula von der Leyen den Arm umdrehen, sie auf eine schnelle EU-Aufnahme der Ukraine festnageln und Europa den Wiederaufbau bezahlen lassen. Wissen Sie, was wir dann plötzlich hören werden?
Hier im Europäischen Parlament wurde gerade über Russland debattiert – kein einziger Redner außer mir hat Trump auch nur erwähnt! Dass die verhandeln werden, was das für uns bedeutet – kein einziger! Man kann das EU-Parlament eigentlich dichtmachen, das wird keiner merken
Was?
Plötzlich werden wir eine Geschichte nach der anderen hören, wie korrupt die Ukraine ist, und plötzlich waschen wir uns die Hände in Unschuld und sagen: Es tut uns furchtbar leid, wir hätten es ja gern gemacht, aber so … Die Ukraine wird das betrogene Volk sein. Es wird Geberkonferenzen geben, die irrsinnig hohe Geldbeträge aufrufen werden, die dann aber später niemand bezahlt. Das kenne ich von Afghanistan, vom Irak. Wir Europäer sind Maulhelden. Hier im Europäischen Parlament wurde gerade über Russland debattiert – kein einziger Redner außer mir hat Trump auch nur erwähnt! Dass die verhandeln werden, was das für uns bedeutet – kein einziger! Man kann das EU-Parlament eigentlich dichtmachen, das wird keiner merken. Keiner von denen hier hat je einen Krieg erlebt, keiner von denen hat einen Sohn im Krieg. Es ist zutiefst beschämend. Diese Europäische Union hat als Friedensprojekt angefangen. Dann kommt ein Krieg – und bis heute gibt es keinen Friedensvorschlag von Europa dazu. Nichts. Das letzte dazu verabschiedete Dokument war 13 Seiten lang. Da steht nichts von Diplomatie und Verhandlungen drin, nichts. Das ist ein Bruch des Völkerrechts. Die UNO-Charta sagt, wir sollen Kriege verhindern, indem wir verhandeln. Und wenn sie da sind, so schnell wie möglich verhandeln, um sie zu beenden. Das haben Russland und die Ukraine getan. Wir aber machen Resolutionen und fordern, dass Taurus-Marschflugkörper auf Russland gerichtet werden. Und in Deutschland denkt Friedrich Merz, er kann mit Taurus ein Land mit 6.000 Nuklearwaffen erpressen. Wenn einer mit solchen Gedankengängen Regierungschef wird – unglaublich …
Was würden Sie denn tun als Kommissionspräsident oder Kanzler?
Einfach erklären, dass man fehlgegangen ist und es jetzt anders macht. Natürlich müssen wir unterstützen, was Trump tut. Und Leute wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die Außenbeauftragte Kaja Kallas oder Annalena Baerbock in die Wüste schicken. Überlegen, ob wir wirklich so viele Milliarden für Rüstung ausgeben wollen, ob wir ernsthaft diesen Blödsinn glauben, dass Russland uns angreifen wird.
Das hieß es vor dem Angriff auf die Ukraine 2022 auch.
Nein, nein, nein! Dass Russland ab einem bestimmten Punkt militärisch aktiv werden würde, haben viele Leute schon sehr lange gesagt, in den USA, denken Sie nur an George F. Kennan. In jedem Fall sollten wir endlich verstehen: Kriege drehen sich um Interessen und Amerika hat jetzt sein Interesse verloren, wir sitzen plötzlich in der Spalte und können dafür bezahlen. Jetzt müssen wir mal unsere Politik verändern. Russland wird sich nicht verändern. Wir müssen uns verändern. Sie müssen sich mal überlegen: Ein Ergebnis dieser Verhandlungen wird sein, dass Russland die gesamte Grenze von der Barentssee ganz oben bis runter zum Schwarzen Meer kontrolliert. Die kontrollieren jetzt den Zugang nach Asien für uns. Und dabei ist doch dieser transasiatische Weg, verglichen zum transatlantischen Weg, für uns noch wesentlich wichtiger – wegen der Rohstoffe, wegen der Märkte, wegen der Dynamik. Und wir schneiden uns das ab! Dann applaudieren wir uns selbst dafür und setzen noch einen drauf mit unseren Sanktionen. Wie kommen wir von unseren Sanktionen runter? Die haben wir ja der EU überlassen. Aber die EU kann ja nichts mehr entscheiden – nur ein Land stimmt gegen die Aufhebung, und wir haben die Sanktionen auf ewig. Blöder können wir doch gar nicht sein. Vernunft würde sich sehr empfehlen, es in der Außen- und Sicherheitspolitik mit der Realität zu versuchen und nicht mit irgendwelchen ideologischen, moralistischen Argumenten. Aber das sagen Sie mal einer Frau Baerbock. Sie hat wohl ein anderes internationales Recht studiert als ich.
Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, dass es zwischen Deutschland und Russland in absehbarer Zeit ein friedliches, ein prosperierendes Verhältnis geben kann?
Erst müssen die Deutschen von ihrem hohen moralischen Ross auf den harten Boden der Realität fallen. Natürlich müssen wir unser Verhältnis zu Russland wieder aufbauen. Ich warne nur: Wir brauchen das mehr, als Russland das jetzt braucht. Wir müssen dieses ganze Moralische, dieses ganze Überhebliche, das von oben Heruntergucken loswerden – da ist ein Botschafter wie Alexander Graf Lambsdorff in Moskau genau der falsche Mann. Das ist jetzt eine neue Zeit. Die EU wird 2050 nur noch 4,5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, unser Anteil an der Weltwirtschaft wird – den Krieg nicht einmal eingerechnet – auf neun Prozent sinken. Und dann erlassen wir Sanktionen und sagen anderen Staaten, wenn ihr die nicht mitmacht, werdet ihr auch sanktioniert? Wir haben gar nicht mitbekommen, dass wir nicht mehr in der Mitte der Welt stehen. Für diese Überheblichkeit werden wir bezahlen.
Wie bewerten Sie die Aussicht der Ankündigung Donald Trumps, mit China und Russland über – vor allem auch atomare – Abrüstung zu verhandeln?
Ich denke, dass die Aussichten dafür gut sind. Für China ist ein Frieden mit Russland erst einmal positiv, da es eine militärische Ausweitung der USA und der NATO in die Ukraine und an das Schwarze Meer – also in seinem Rücken – absolut nicht wollte. Auch wird Taiwan aus dem Ukraine-Fiasko eine Lehre ziehen – dass es sich letztlich nicht auf die USA verlassen kann – und in Zukunft moderater auftreten. Trump hatte den chinesischen Vizepräsidenten zu seiner Amtseinführung eingeladen. Ich denke daher, dass die Zeit für China günstig ist, mit den USA über gemeinsame Sicherheit zu reden. Auch wäre eine Konstellation USA – China – Russland nicht erdrückend für China: Man würde auf Augenhöhe verhandeln.
Michael von der Schulenburg, Jahrgang 1948, leistete 1967/68 seinen Militärdienst in der DDR und floh 1969 mit seinem Zwillingsbruder über die Ostsee in den Westen. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und Philosophie an der Freien Universität Berlin und begann 1978 seine Laufbahn beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP).
Seither hat er in vielen Ländern und Funktionen für die OSZE, vor allem aber für UN-Organisationen gearbeitet, zwischen 1987 und 1989 etwa als Deputy Resident Representative des UNDP im Iran und zwischen 2008 und 2012 als Repräsentant der UN und des UN-Generalsekretärs in Sierra Leone, wo er nach dem brutalen Bürgerkrieg die weltweit erste integrierte Peacebuilding-Mission aufbaute.
Von der Schulenburg ist Autor des Buches On Building Peace – Rescuing the Nation-state and Saving the United Nations und seit 2024 Mitglied des Europäischen Parlaments für das Bündnis Sahra Wagenknecht.