09.11.2024

Gedanken eines Zeitzeugen zum 09.11.1989

 

In diesem Jahr jährt sich der als Mauerfall oder Grenzöffnung bezeichnete Tag zum 35. Mal.

Mit einer beachtlichen Zahl von Sendungen und anderen Beiträgen in unseren Medien wird dem Kapitel Grenze Rechnung getragen. Zu Wort kommen ehemalige Schleuser, Flüchtlinge, Bewohner des Grenzgebietes. Gezeigt wird die furchterregende Grenze, ihre Sperr.-u. Signaleinrichtungen, Bauwerke und Minen. Für den Unkundigen entsteht der Eindruck, dass das immer so war und das Ende durch die Kraft des Volkes am 09.11.1989 herbeigeführt wurde.

Wen mehr als dieses Klischee interessiert, für den lohnt sich ein Blick in die Geschichte, die ich seit 1970 selbst an dieser Grenze erlebt habe. Eine Zeit des Kalten Krieges, der Hochrüstung auf beiden Seiten, ohne gegenseitige Anerkennung oder diplomatische Vertretung, ohne jeglichen Kontakt über die Grenze. In dieser Situation wurden die seit 1961 bestehenden Minensperren erneuert, Grenzsignalzäune und Beobachtungstürme schrittweise erneuert oder errichtet.

Von vielen unbemerkt erfolgte im August 1972 eine wesentliche Verringerung der Sperrzone. Größere Ortschaften, im Süden z.B. die Kreisstadt Sonneberg, wurden aus dem Grenzgebiet herausgenommen, insgesamt entlang der gesamten Grenze zur BRD betraf diese Erleichterung fast 50% der Bewohner des Grenzgebietes. Im Juni 1973 wurden neue, zusätzliche Grenzübergangsstellen geschaffen, die den Personenverkehr über die Grenze deutlich erleichterten, wenn dies auch vorerst überwiegend nur Rentner betraf. An den Grenzübergangsstellen bestanden nunmehr Grenzinformationspunkte, die einen Informationsaustausch zwischen den Angehörigen der Grenzsicherungskräfte der BRD und der DDR auf kurzem Wege ermöglichten. Eine Kommission markierte erstmals die Grenzlinie und kennzeichnete sie unmissverständlich. Waren doch bis dahin nur durch die DDR einseitig gesetzte Grenzsteine und uralte Grenzsteine aus den Zeiten der Fürstentümer vorhanden. All das gipfelte sicher in der 1975 in Helsinki stattfindenden Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit der richtungweisenden Schlussakte und der gegenseitigen Einrichtung ständiger Vertretungen in Bonn und Berlin, die diplomatische Anerkennung der DDR durch über 100 Länder!

Geblieben ist das umfassende Wirtschaftsembargo gegenüber der DDR und der Alleinvertretungsanspruch der BRD für alle Deutschen ebenso wie das Wettrüsten. Ein deutliches Entspannungssignal setzte die DDR mit dem vollständigen Abbau der sogenannten Selbstschussanlagen am Grenzzaun bis Herbst 1984 und dem Beräumen aller erdverlegten Minen bis September 1985.

Das Grenzregime und die Bedingungen für die Bewohner des Grenzgebietes waren also durchaus nicht statisch, unveränderlich. Sie waren unmittelbar an den Willen beider Seiten gebunden, mehr Normalität gegenseitig zu erreichen.

Eine 1988 verkündete, neue Militärdoktrin der Staaten des Warschauer Vertrages beinhaltete das eindeutige und einseitige Versprechen, nie einen anderen Staat zuerst anzugreifen.
Einseitige Abrüstungsmaßnahmen der Staaten des Warschauer Vertrages verringerten die Streitkräfte und Rüstungen ihrer Armeen deutlich. Eine Initiative, die durch die BRD und andere Nato-Staaten nicht erwidert wurde.

1988 beginnende und bis 1989 ausufernde Proteste gegen die Staatsgewalt in der DDR führten schließlich zu deren Ende und zur Öffnung der Grenze zur BRD und deren Behandlung wie eine Grenze zwischen den einzelnen Bundesländern. Mit dem Blick auf die D-Mark waren auch alle Bemühungen einer Erneuerung in der DDR gestorben. Wünsche und Träume der DDR-Friedensbewegung, Frieden schaffen ohne Waffen oder Schwerter zu Pflugscharen schmieden, gingen im Konsumrausch unter. Die von vielen erstrebte Wiedervereinigung war passe. Es wurde ein Anschluss in dem nur noch der Sieger das Sagen hatte.

Mit dem Blick auf heute möchte ich sagen, dass es doch möglich ist, selbst in schwierigsten Zeiten Lösungen zu finden, die die gegenseitige Vernichtung verhindert, wenn nur die notwendige Vernunft dazu da ist. Das würde ich mir wünschen!

H. Prauß, Oberst a.D.

 

 

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