16.02.2023

 

Zu strategischen Entwicklungen in Russland

 

Der angehängte Artikel, den mir ein Freund aus dem militärmedizinischen Dienst übersandte, fasst die wesentlichen, strategischen Folgen des Ukrainekrieges für Russland und seine innere Entwicklung zusammen. Er macht damit dem IMEMO alle Ehre und befindet sich auch im Einklang mit den Analysen von RUSSTRAT.

Gesellschaftliche Veränderungen laufen meist eher langsam - es sei denn, sie werden durch bestimmte Ereignisse enorm beschleunigt.
Am 24. Februar 2022 erhielten sie, in dieser Art wohl eher unbeabsichtigt, sozusagen Raktenbooster als Beschleuniger.
Feststoffbooster kann niemand anhalten - sie brennen so lange, bis aller Antrieb verbraucht ist. Soweit ist es noch nicht.

Nur eine Randbemerkung: Neben Russland wird auch die Ukraine nach dem Krieg eine völlig andere sein. Von den rund 40 Mio. Einwohnern vor Kriegsbeginn sind bisher ca. 12- 13 Mio. nach Westeuropa abgewandert. Die meisten nach Polen, Deutschland, Rumänien und Ungarn. Ein Teil davon mag wieder zurückkehren, wenn der Krieg vorbei ist, aber das wird nur ein kleinerer Teil sein. Ca. 5 Mio. sind nach Russland ausgewandert und haben dort meist eine neue Heimat und Arbeit für sich und ihre Familien gefunden. Ca. 6 Mio. der früheren Ukrainer leben in den neuen Gebietssubjekten Russlands zwischen Don und Djepr-Mündung. Der "Rest" ist noch in der Ukraine. Meist sind es Männer, die in der Armee sind oder das Land nicht verlassen dürfen und ältere Menschen sowie Bauern, die bei ihrem Land bleiben wollen.
Es ist aber jetzt schon in jeder Hinsicht eine völlig andere Ukraine, als noch vor einem Jahr.

Durch den Krieg und die Auswanderung hat sich die Ukraine aber auch in den Köpfen und Herzen der Menschen verändert. Durchaus auch hier in sehr verschiedene Richtungen. Beim Nachdenken über den Weg der Ukraine nach Kriegsende, MÜSSEN all diese Veränderungen die Basis für jedes Konzept des Wiederaufbaus und des Umbaus stehen.
Da gibt es massenhaft unbekannte Faktoren.

Viel Vergnügen beim Lesen des Anhangs

Lutz Vogt

 

 

 

Die Russland-Sanktionen sind für Russland auch eine große Chance

12. Februar 2023Autor: Dmitri Trenin, Allgemein, Geschichte, Wirtschaft

Trotz der enormen Bedeutung der Ereignisse an den Fronten in der Ukraine und in den Beziehungen zwischen Russland und dem kollektiven Westen fan-den und finden die wichtigsten Veränderungen der letzten zwölf Monate in Russland selbst statt.
Diese Veränderungen sind enorm: Sie kündigen eine neue Form – einen neuen Gesellschaftsmodus – der Russischen Föderation an.

Zehntausende westlicher Sanktionen haben dem ehemaligen Modell Russlands als „Tankstellenland“, um die berühmte verächtliche Definition des verstorbenen US-Senators McCain zu zitieren, einen unermesslichen Schlag versetzt. Die russische Wirtschaft ist jedoch nicht nur widerstandsfähig, sie wird sogar noch widerstandsfähiger werden.
Darüber hinaus haben die Sanktionen die Wirtschaft auf einen Weg ge-bracht, der zuvor durch die beharrlichen Interessen der russischen Eliten mit ihrem westlich orientierten Denken behindert wurde.
Die erzwungene Beendigung der Offshore-Politik durch die Beschlagnah-mung des russischen Privateigentums im Westen hat die Reste der Oligarchie
zerstört – nun auch im wirtschaftlichen Sinne.
Das Einfrieren der Devisenreserven der Russischen Zentralbank und ihre drohende Beschlagnahmung haben die Entdollarisierung enorm gefördert.
Die Notwendigkeit, die ausgefallenen Importe aus dem Westen zu ersetzen, hat die industrielle Produktion im Land stimuliert. Es wurden bereits Pläne für eine Wiederbelebung des zivilen Flugzeugbaus und eine deutliche Vergrö-ßerung der Satellitenkonstellation ausgearbeitet, und es wurde die ambitionier-te Aufgabe ins Pflichtenheft genommen, die technologische Souveränität des Landes wiederherzustellen.

Auf politischer Ebene hat sich die Elite zurückgezogen. Ein kleiner Teil von ihr hat sich entschlossen, in den Westen zu emigrieren, wo sie näher an ihrem zuvor übertragenen Vermögen ist. Diejenigen, die bleiben, ob sie nun aufrichtig sind oder nicht, scharen sich um die amtierenden Behörden. Viele warten ab und hoffen (aus unserer Sicht vergeblich), dass die Behörden gezwungen sein werden,
Frieden mit dem Westen zu schließen und dass alles wieder so wird, wie es vorher war (was nicht der Fall sein wird).
Gleichzeitig ist der patriotische Flügel innerhalb der Elite stärker und aktiver geworden, dessen Interessen fest mit Russland verbunden sind. Für die einen ist dies ein Ruf der eignen Seele, für die anderen ein kaltes Kalkül, aber das ist nicht so wichtig: Die Bedingungen des politischen Lebens in Russland ha-ben sich entscheidend verändert und die Ausrichtung auf das Innere von Russ-land ist jetzt eindeutig stärker als die bisherige Ausrichtung auf total verschiedene Ziele. Die politischen Parteien sind noch auf der Suche nach ihrem Platz im System, aber sie arbeiten bereits auf einer parteiübergreifenden patriotischen Ebene, die zwar durch ideologische Streitereien und die politischen Ambitionen ihrer Führer noch behindert wird, der Staat hingegen legt den Schwerpunkt auf die Sozialpolitik.

Nicht die Sanktionen, die Teilmobilisierung hat die Bevölkerung aufgerüttelt.
Die russische Gesellschaft hat den gleichen Schock erlitten wie die Wirtschaft, aber weniger durch die Sanktionen als durch die Mobilisierung, die die drei vorherigen Generationen nicht mehr kannten. Die Gesellschaft hat einen unerwarteten und schweren Schlag erlitten, ist aber nicht zusammengebrochen. Ja, Hunderttausende von Menschen, hauptsächlich aus dem liberalen Teil der Gesellschaft, gingen ins Ausland – zumindest für die Dauer des Krieges. Diejenigen, die geblieben sind, wurden durch den Krieg eher aufgerüttelt. Der Spezialeinsatz der professionellen Militärangehörigen war vorbei, und der Staat brauchte einen landesweiten Einsatz für den Sieg.
300.000 Kämpfer wurden aufgeboten, und nicht alle von ihnen werden nach Hause zurückkehren.
Neben diesen militärischen Kämpfern entsteht aber auch eine Gruppe von Bürgern – Patrioten der Tat, nicht der Proteste. Dazu gehören verschiedene Formen der Freiwilligenarbeit, Aktivisten, die Spenden für Soldaten und ihre Familien sammeln, Kriegsberichterstatter auf dem Schlachtfeld und Musiker an der Front. Die Menschen in Kriegssituationen fordern von ihren Behörden nicht nur Professionalität und Verantwortungsbewusstsein, sie ver-suchen auch, die Situation mit ihren eigenen Mitteln zu verbessern.

Auch das kulturelle Leben ist betroffen.
Das russische Kulturmilieu hat seine eigenen Verluste erlitten. Eine Reihe von Stars unterschiedlicher Prominenz hat das Land verlassen. Die Auswahl an Fil-men und anderen massenkulturellen Produkten aus den USA ist infolge des Boykotts Russlands durch westliche Vertriebsunternehmen geschrumpft.
Einige US-amerikanische Websites für soziale Medien wurden in Russland verboten, weil sie Gewaltpropaganda gegen Russen zulassen.
Vor diesem Hintergrund hat sich in unserem Land ein Wandel vollzogen, der sich von einer Kultur der Unterhaltung und des Vergnügens hin zu einer Kultur der Werte und der Dienstleistung vollzieht. Unterdessen wird die westliche Kultur in Russland – sowohl die historisch-klassische als auch die zeitgenössische – nicht verfolgt, im Gegensatz zur russischen Kultur, die zum ersten Mal in der Geschichte im Westen unterdrückt wird und von einem totalen Verbot bedroht ist. Diese Situation löst in der russischen Gesellschaft nicht nur Empörung aus. In dieser Gesellschaft wird ein „russischer Geist“, der schon lange nicht mehr in Mode war, neu geweckt und gestärkt. Es entsteht wieder eine Besinnung auf die russische Identität.
Der endgültige Bruch zwischen dem offiziellen Russland und dem modernen westlichen Liberalismus hat bei den Behörden und den Eliten die Frage nach der Notwendigkeit eines russischen Gesellschaftsideals aufgeworfen. Der Pragma-tismus, dem die regierende und herrschende Klasse des Landes lange Zeit ge-folgt war, erwies sich als fehlerhaft. Der Patriotismus, der lange Zeit als Ersatz für die Ideologie angeboten worden war, erwies sich als unzureichend. Der in jüngerer Zeit geförderte Konservatismus betont nur den Schutz gegen Veränderungen und bietet keine Zukunftsvision. Es gibt auf diese Problematik noch keine adäquate Antwort, aber ernsthafte Bemühungen, die nationale Geschichte ohne Ausgrenzungen und Verzerrungen zu begreifen, eine Reihe wesentlicher Grundwerte zu erarbeiten, ohne in Archaik zu verfallen, und Bildung und Erziehung wieder miteinander zu verbinden, deuten auf eine Bewegung hin, die es in diesem Bereich seit langem nicht mehr gegeben hat.

Der Krieg hat nicht zuletzt auch im militärischen Bereich vieles verbessert. Der Krieg stellte die Streitkräfte des Landes, das gesamte nationale Sicherheitssys-tem und den militärisch-industriellen Komplex auf eine besonders harte und brutale Probe. Wie in diesem Bereich üblich, unterscheiden sich die Bedingungen in Kriegszeiten deutlich von denen in Friedenszeiten. Die Distanz von Para-den und den Berichten darüber zu Berichten über reale militärische Aktionen und dem realen Verhalten des geopolitischen Gegners ist immer beträchtlich. Es gibt jedoch nichts Wertvolleres als direkte militärische Erfahrung. Der Preis für diese Erfahrung ist allerdings immer sehr hoch, aber das Ergebnis der enormen Anstrengungen ist eine Armee, ein Geheimdienst und ein militärisch-industrieller Komplex von viel höherer Qualität als vor dem Krieg. Die russische Armee von heute ist noch nicht die Rote Armee in der Schlussphase des Großen Vaterländischen Krieges (des Zweiten Weltkrieges, ), aber sie ist auch nicht mehr dieselbe, die sie noch vor ein paar Jahren war.

Für Russland ist der Ausgang des Krieges existenziell.
Die Veränderungen in der russischen Außenpolitik können mit einem Erdbeben verglichen werden. Die Beziehungen zum Westen haben sich von einem Zustand der politischen Auseinandersetzung zu einem Zustand der aktiven militärischen Konfrontation entwickelt.
Zum ersten Mal in der Geschichte befindet sich Russland – bisher indirekt – im Krieg mit einer Koalition, die ausnahmslos alle westlichen Länder umfasst.
Für die USA und Europa ist die Konfrontation mit Russland von grundlegender Bedeutung, aber für Russland ist sie buchstäblich existenziell.

Nicht nur das Schicksal Russlands, seine Grenzen und seine Stellung in der Welt werden jetzt entschieden, sondern auch die Frage seiner weiteren Existenz. Gleichzeitig hat der Krieg, der die größte Bedrohung für unser Land darstellt, ihm neue Möglichkeiten eröffnet. Die seit langem erklärte, aber aufgrund des jahrhundertelangen Durchhaltens des westlichen Zentrismus nicht ausreichend umgesetzte Hinwendung zum Osten erhält einen neuen, einen starken Impuls. Es ist nicht nur möglich, sondern auch unerlässlich, jetzt die Wende zu schaffen. Während Russlands Armee dem Westen zugewandt ist, konzentrieren sich Wirtschaft und Diplomatie zunehmend auf Asien, den Nahen Osten, Afrika und Lateinamerika – die so genannte „Globale Mehrheit“, die auf absehbare Zeit die wichtigste außenpolitische und außenwirtschaftliche Ressource der russi-schen Politik sein wird.

Vom Problem zur Chance
Der Bruch mit dem Westen und die direkte Konfrontation mit ihm haben nicht nur eine Reihe schwerwiegender Probleme geschaffen, sondern uns auch viele einzigartige Chancen eröffnet. Das Einzige, was man tun muss, ist, sie zu nut-zen, indem man realistische Ziele formuliert und eine Strategie entwickelt, um sie zu erreichen. Russlands Wirtschaftssystem ist in den letzten drei Jahrzehn-ten enorm stressresistent geworden. Die nationale Wirtschaft ist sehr wider-standsfähig, flexibel und einfallsreich. Sie ist in der Lage, in fast jedem Umfeld zu überleben, aber sie ist auch sehr entwicklungsfähig. Das Land ist bereit für ein rasches Wirtschaftswachstum, vorausgesetzt, die Geldpolitik ist korrekt. Russland verfügt über enorme Ressourcen, aber wir müssen vom Handel mit diesen Ressourcen zur Verarbeitung im eigenen Land und zum Export von Fertigprodukten übergehen.
Während wir die Produktion ausbauen, sollten wir gleichzeitig die Binnennachfrage nach einheimischen Produkten stärken. Und dies erfordert eine Änderung der etablierten Logistikketten. Der Austausch einiger ausländischer Lieferanten gegen Lieferanten aus anderen, selbst aus befreundeten Ländern, trägt nicht zur Entwicklung bei.
Der Staat sollte zu einer Industriepolitik übergehen und mit den Unternehmen zusammenarbeiten, anstatt zu versuchen, einen staatlichen Plan zu erstellen. Wir müssen der Industrie billiges, langfristiges Geld – sagen wir zu 3 % für 15 Jahre – für die Entwicklung durch Projektfinanzierung geben, ohne das Kerngeschäft zu belasten, ohne Hypotheken usw., wobei die einzige Sicherheit die
Aktien der Projektgesellschaft sind. Dies wird nicht zu einer zusätzlichen Inflati-on führen: Das Geld wird der Industrie für spezifische langfristige Projekte zur Verfügung gestellt, nicht für billige Verbraucherkredite, die so aufgebläht sind, dass sie zu einem sozialen Problem geworden sind.
Der Staat hat die Entwicklung der Infrastruktur bereits zu einer Priorität gemacht, aber der Mechanismus der öffentlich-privaten Partnerschaften und Konzessionen kann eine wichtige Rolle bei der Beschleunigung des Prozesses spielen.
Auch Wissenschaft und Technologie müssen gefördert werden.
Auch bei der Entwicklung der angewandten Wissenschaft und Technologie kommt dem Staat eine Schlüsselrolle zu. Diese Entwicklung sollte durch die Zusammenarbeit mit befreundeten Ländern wie Indien und einer Reihe anderer nicht-westlicher Länder unterstützt werden.
Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, sich aktiv in der technischen Ausbil-dung zu engagieren und hochqualifiziertes Personal für die russische Industrie auszubilden, um so den akuten Personalmangel zu beheben.
In den Außenwirtschaftsbeziehungen ist der Verlust von stagnierenden Märkten in Europa nicht kritisch, wenn neue Wachstumsmärkte erschlossen und neue Logistik geschaffen wird. Bestehende Verkehrskorridore nach China werden ausgebaut, aber die wichtigste Priorität ist jetzt die Entwicklung des Nord-Süd-Verkehrskorridors über das Kaspische Meer in den Iran und weiter in die Region des Indischen Ozeans. Indien, eine der führenden Volks-wirtschaften der Welt, und die Regionen des Nahen Ostens, Ostafrikas und Südostasiens – eineinhalb Milliarden Menschen! – sind ein riesiges Betäti-gungsfeld für russische Unternehmen.

Das Geld muss mehr im Inland investiert werden.
Im politischen Bereich ist die Umorientierung der Eliten auf mehr landesinnere Ziele seit langem ein erklärtes Ziel. Dieses Ziel wurde nie erreicht. Der Krieg in der Ukraine hat die Eliten vor die Wahl gestellt: mit Russland oder mit ihrem ins Ausland exportierten Kapital. Ausländisches Eigentum und Vermögen sind jedoch bereits von der Beschlagnahmung bedroht, und in der Vergangenheit
erworbene ausländische Staatsbürgerschaften werden entzogen. Diejenigen Eliten, die in Russland bleiben, werden gezwungen sein, in ihrem eigenen Land zu investieren und ihre Anwesen in der Heimat zu errichten, anstatt Villen und Schlösser in unfreundlichen Ländern zu kaufen. Ein Teil davon wird wahrscheinlich weiterhin in die Arabischen Emirate fließen, aber der Umfang dieses Abflusses wird nicht mit dem Abzug von Geldern in den Westen in der Vergangenheit vergleichbar sein.

Die Umorientierung auf das Inland ist überfällig
Heute, nach der von außen erzwungenen Umorientierung der Eliten auf nationale Ziele, muss der nächste Schritt getan werden: die freiwillige Bildung einer willentlich national orientierten Elite.
Viele bisher im Vermittlungsgeschäft aktiven Eliten, die in der Zeit der Öffnung gegenüber dem Westen entstanden und deshalb mit dem Westen eng verbunden sind, beginnen sich über jene Eliten, die vor der Konfrontation mit dem Westen herangewachsen und dort verblieben sind, zu erheben. Diese Gruppen werden nicht nur ihr Geld in Russland behalten und dort investieren, sondern auch ihre Kinder in ihrem eigenen Land ausbilden und ihre Zukunft hier vorbereiten. Diese Gruppe des russisch-nationalen Bürgertums wird in hohem Maße staatsorientiert sein, d. h. sie wird ihre Verantwortung und Pflichten gegenüber dem Land wahrnehmen. Dies kann dazu führen, dass die führende und beherrschende Elite des Landes erneut zu Staatsbürgern werden – einige (die auslaufende Version) unfreiwillig, andere (die neue Version) aus Überzeugung.
Macht und Gesellschaft werden wieder näher zusammenrücken Noch wichtiger für die Stärkung des Staates wird die Bildung einer neuen Gruppe von Bürgern in Russland sein. Der Krieg und insbesondere die Mobilisierung haben den alten ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag der gegenseitigen Nichteinmischung von Ober- und Unterschicht in die Angelegenheiten des jeweils anderen zerstört. Macht und Gesellschaft haben sich jetzt einander angenähert und ihre weitere Zusammenarbeit wird davon abhängen, wie offen und rechenschaftspflichtig die Behörden werden und wie aktiv und konstruktiv die Dynamik der Gesellschaft sein wird.
Wenn sich dieser Prozess positiv entwickelt, könnte sich in dem Land schließlich ein neues politisches System herausbilden, das nicht auf dem ständigen Kampf konkurrierender Ideologien oder überambitionierter Politiker beruht, sondern auf dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen und der Zusammenarbeit freier Individuen zum Wohle der Gesellschaft und des Staates.
Die gesellschaftliche Entwicklung wird wieder russischer sein Die erste Form des postsowjetischen Russlands erwies sich aus historischer Sicht als sehr unrus-sisch: Das Persönliche dominierte eindeutig das Gemeinsame. Infolgedessen waren viele von ihnen ohne Unterstützung, ein erheblicher Teil konnte ver-schiedene Freiheiten nutzen, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, eini-ge wenige aber schafften es sogar, sehr wohlhabend und praktisch frei von Verpflichtungen gegenüber dem Land zu werden.

Zu Beginn der 2020er Jahre war das Potenzial dieses „ersten Modells“ der Russischen Föderation aber praktisch erschöpft. Es war schwer vorstellbar, was Russland aus dieser Sackgasse hätte herausführen können. Der Krieg, der ursprünglich als eine spezielle Operation gedacht war, lieferte nun die Antwort. Die Antwort auf die Frage, was das neue, zweite Modell der Russischen Föderation sein wird, wird das Ergebnis dieses Krieges zeigen.

Meinungen in Beiträgen auf Globalbridge.ch (Quelle) entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Autor: Dmitri Trenin ist Forschungsprofessor an der «Higher School of Economics» in Moskau und einer der führenden Forscher am IMEMO RAS. Er hat diesen Artikel für die russische Nachrichtenagentur regnum.ru geschrie-ben, hier anklicken.
Die Übersetzung aus dem Russischen besorgten Anna Wetlinska und Christian Müller, der auch die Zwischenüberschriften gesetzt hat.

Siehe dazu auch: «Warum halten die Russen zu Putin?»

 

 

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