02.09.2022

 

Liebe Genossen und Freunde,
hier ein sehr interessanter Beitrag, den uns unser Freund Lutz Vogt zur Verfügung gestellt hat.
Siegfried Eichner

 

Wie weiter?
Ukraine und das andere Narrativ

 

Gestern habe ich einen recht interessanten Artikel erhalten, dessen Autor noch Lösungen für den Ukraine-Krieg sucht. Nachfolgend meine Sicht dazu.

Vorweg mache ich es so, wie der Autor des Artikels. Ergebnis ist: es ist zu spät. Und zu wenig und zu kurz gedacht. Der Ansatz des Autors ist bei all den Teilen des Gesamtmosiks, die er weggelassen hat, ein um Realismus bemühter und insofern richtiger. 
Jeder Krieg hat eine mehr oder weniger lange Vorgeschichte. Das Verdienst des Autors ist schon mal, genau dies zu sehen. In der Tat reicht die Vorgeschichte bis zum Ende des 1. Kalten Krieges zurück. Soweit, so gut.

Wie im Westen üblich, bewertet er den 2+4-Vertrag nur aus Status-Sicht. Das war und ist er nie gewesen. Wir haben ihn damals so geschrieben, wie er heute immer wieder in Gesamt-Westdeutschland geleugnet wird: dieser Vertrag ist das Potsdamer Abkommen der 4 Hauptsiegermächte über die vollständige und bedingungslose Kapitulation. Nur eben diesmal mit den beiden deutschen Regierungen. Das war 1945 ja nicht möglich. 2+4 enthält alle Hauptpunkte des Potsdamer Kommuniques der "Berliner Konferenz". 1945 war es eine gemeinsame Erklärung der Sieger-Staatschefs, 1990 ein Vertrag zwischen eben jenen 2+4, die 1990 noch existierten. Sie unterschrieben im Bewusstsein, dass es wenige Stunden später nur noch 1+4 sein würden.
 
Ich schicke Dir dazu nochmal mein Buch. Schau bitte einfach in die entsprechenden Kapitel; für diese Mail wird das zu lang. 1990 wurde der Grundstein für jene Entwicklungen gelegt, die der rote Faden der nächsten 32 Jahre wurden. Das ganze propagandistische Zusammenarbeits-Hin und Her drum herum ist halt der übliche Schnickschnack der Geschichte, von dem sich viele Politiker ind ihre sog. Experten nur zu gerne blenden lassen.

Die Osterweiterung der NATO ist im Artikel gut, vor allem in ihren Hauptpunkten von Versprechen und deren permanenten Brüchen, gut aufgelistet. Abgesehen davon, dass der Autor manche Ereignisse bis Ende 2021 ignoriert, vergisst er zwei Schlüsselereignisse im Vorfeld des Ukrainekrieges:

1. den Vertragsentwurf Russlands an die USA (und an deren Vasallen) zu gegenseitigen Sicherheits GARANTIEN und die Erklärung der 5 ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und der 5 "ursprünglichen" Nuklearmächte, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und nicht geführt werden darf.
Der Vertragsentwurf ging darum, dass die USA (und deren Vasallen) das Existenzrecht Russlands mit Garantien versehen akzeptieren. Das wurde in wirklich arroganter und erniedrigender Weise abgelehnt. Damit war klar, das ein offener Krieg unvermeidlich war. 
2. Die Erklärung der großen 5 Atommächte diente der gegenseitigen Absprache, unterhalb eines Atomkrieges zu bleiben. Das hat bisher gehalten.

Nun zu den Vorschlägen des Autors.

Wie gesagt, zu spät, zu wenig. Diese Ideen sind eine Mischung aus Selbsttäuschung und dem zumindest unterschwelligen Versuch, Russland seine militärischen Erfolge doch noch aus der Hand zu winden.
Es ging seit dem 24. 02.22 nicht mehr nur darum, dass die Krim schon immer russisch war und auch so bleibt (Chrustschows Hochverrat lassen wir mal außen vor; damit wollte sich dieser Schlächter der Ukrainischen SSR nur einschleimen und seine Taten als Stalins Statthalter vergessen machen).
Vor dem 24.02. hatte Russland die LNR und die DNR völkerrechtlich anerkannt. Dahinter kann Russland nicht mehr zurück. Das würde keine russische Führung überleben. Dazu kommen nun noch alle Regionen bis kurz vor Nikolajew, die mittlerweile de facto in Russland eingegliedert sind. Auch diese Territorien sind für die Ukraine verloren.
Diese Fakten anzuerkennen, fällt im Westen extrem schwer. Selbst Leute, die dazu bereit wären, weil sie ja sehen, was bereits ist, können das unmöglich offen verbreiten. Die wären wirtschaftlich erledigt.
Dennoch bleibt das Gute und Sachliche am Artikel, dass der Autor weiss und das auch offen erklärt, dass der Ukraine-Krieg nur ein Teil des großen totalen hybriden Krieges (2. Kalter Krieg) gegen Russland ist. Die Frage einer friedlichen Lösung und deren vertraglicher Fixierung ist primär nicht an Russland zu richten. Es sind die USA, die entscheiden, ob und wie der Krieg in der Ukraine weiter geht. Noch wollen sie damit Russland weiter schwächen (sie glauben einfach nicht, dass sie das Gegenteil erreichen), sie wollen die EU schwächen (das haben sie erreicht) und sie wollen Deutschland niederhalten (auch erreicht und darüber freuen sich auch viele Westeuropäer) und Deutschland soll erneut für viele Jahre von Russland entfremdet werden.

Im Moment sehe ich von Seiten der USA kein Interesse der politikbestimmenden Kräfte, Russland in der Ukraine vom Haken zu lassen. Sie erreichen doch ihre Kriegsziele zumindest recht weitgehend und aus ihrer Sicht positiv. Und das wird Folgen haben.

Wenn Russland durch die Handlungen der USA, GB und weiterer EU-Staaten gezwungen wird, seine territorialen Verschiebungen in der Ukraine fortzusetzen, dann muss Russland auch dort alles "russifizieren". Das betrifft analog zu den bis zum 01.09.22 russisch dominierten Territorien vom Donbass bis vor Nikolajew die Banken/das Finanzsystem, das Rentensystem, das gesamte Bildungssystem, die Infrastruktur einschließlich des Stromnetzes, die Medien in ihrer Gesamtheit, die Polizei und schließlich die Integration der Wirtschaft in die russische. Dazu kommt bereits ein gewichtiger Teil der für die genannten Bereiche gelten russischen Gesetze. Sowas gibt man dann nicht wieder her. Da machen die betroffenen Menschen nicht mit. Die Restfläche eines russlandfreundlichen Staates mit Namen Ukraine wird dann sehr klein und allein nicht mehr existenzfähig.
Genau diese Entwicklung wird aber eintreten, wenn die USA an die Ukraine modernere und vor allem weitreichende Waffen liefern. Russland muss dann weiter vorrücken und faktisch die gesamte industrialisierte Ukraine besetzen und den rest bis an die polnische Grenze zerschlagen. Wenn dann noch eine Art Winterpause eintreten sollte, dann wird die bisherige Ukraine faktisch zerteilt.

Die um Realismus bemühten westlichen Politiker und Politologen kommen mit diesen Entwicklungen nicht hinterher. Es ist eben NICHT so, dass Krieg im militärischen Sinne kein Mittel der Politik sei. Das war immer nur eine reine Propagandathese in Ost und West. Als Ziel oder Forderung war das ok, aber noch nie als Feststellung. Genau so falsch wurde aber von allen Seiten immer argumentiert. Alle wollten die Guten sein, selbst wenn sie gerade Menschen zu zehntausenden abschlachteten wie in Afrika, dem Nahen- und Mittleren Osten, in Mittelamerika oder in Südost-Asien.

Als Teil des großen hybriden Krieges des sog. kollektiven Westens gegen den Osten (Russland und China) ist der ukrainische Krieg nur ein, wenn auch spektakuläres und gewichtiges Element. Russland führt diesen ukrainischen Krieg genau in diesem globalen Sinne. Nur sehr selten wurde Krieg als Mittel der Politik oder der politische Kern eines Krieges so deutlich sichtbar, wie in der Ukraine. Hier zeigt sich glasklar Clausewitz' These, dass sich ein Krieg letztlich nicht aufgrund seiner ihm eigenen, ihm innewohnenden militärischen Gesetze und Regeln entwickelt. Er wird verändert, modifiziert und bestimmt durch die Vorgaben und Ziele der Politiker, die ihn ausgelöst haben.

Mir fällt auch keine langfristige oder auch nur kurzfristige Verhandlungslösung für die Ukraine ein. Der große hybride Krieg stört da immer. Noch ist es nicht soweit. Wie der Autor richtig feststellt - die Friedensverhandler in Westfalen haben 5 Jahre gebraucht, um die vielen Teilverträge hinzukriegen. Erst als die allgemeine und völlige Erschöpfung eingetreten war, wurden die Verträge unterschrieben. Ihr Kern war, dass von da an alle gleich und gleich souverän waren und alle ein gleiches Existenzrecht hatten. DAS ist das große und bis heute andauernde Verdienst dieses Westfälischen Friedens.

Uns bleibt nur abzuwarten und zu hoffen, dass sich diese ganze Miesere nicht weiter ausbreitet. DAS wäre dann fast der worst case.
Soweit meine Sicht der Dinge.

Herzliche Grüße
Lutz Vogt  

   
Das andere Narrativ Das Sterben einer alten Weltordnung

 

 

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