01.08.2022

 

Liebe Genossen und Freunde,

den nachfolgenden Text (veröffentlicht im Internetblog "Rabenspiegel", Rabenspiegel 19, 34471 Volkmarsen, Hessen) hat uns der frühere Bundeswehr-Offizier Sascha Rauschenberger über unser Mitglied Torsten Schnierstein übermittelt.

Oberstleutnant d.R. Sascha Rauschenberger
- geboren 1966 in Wattenscheid (BRD)
- nach dem Abitur zur Bundeswehr
- Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier
- unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan
- seit 2000 als Unternehmensberater im Bereich strategisches Projektmanagement und Arbeitswelt der Zukunft tätig


"Ukraine: westliche Waffen, fehlende Munition und der Endsieg…"

von Sascha Rauschenberger
31.07.2022

Die Ukraine beschwert sich, dass die von Deutschland gelieferten Panzerhaubitzen 2000 schon defekt sind und Fehler ausweisen. Das war auch schon bei den Haubitzen M777 der USA der Fall.
Woran liegt es? Sind unsere gelieferten Waffen allesamt Schrott oder steckt dahinter etwas anderes?

1.) Vor ein paar Tagen hörte man aus den USA, dass man nicht mehr 155mm-Geschosse liefern könnte, da die Ukraine in ein paar Wochen die gesamte Jahresproduktion der USA verschossen hätte.

2.) Vorher schon kamen Berichte, wo ukrainische Kanoniere beklagten, dass ihnen die Munition für ihre Waffen ausgehe, und man dringend Nachschub bräuchte. Diese Berichte liefen dann auch im Fernsehen. Im Vorfeld der Diskussion, um die deutschen Waffenlieferungen… Um Stimmung zu machen.

3.) Die Russen haben systematisch alle Produktionsstätten für Waffen und Munition in der Ukraine angegriffen und zerstört.

4.) Der Westen kann natürlich ad hoc nur die Munition liefern, die er für die eigenen Waffen vorfabriziert hat. Dazu gehören nicht die 122mm-Geschosse, die im damaligen Ostblock Standard waren. Eben diese Geschosse, von denen die UKR nach dem Fall der UdSSR zigtausende Tonnen „geerbt“ hat und mit der sie halb Afrika beliefert hatte.

5.) Weitere Restbestände wurden dann seit 2014 im Donbass verschossen. In einem Konflikt, den man nun gern als Auslöser ignorieren will.

6.) Da nun der Nachschub für alte östliche Waffen fehlt greift man nun auf das zurück, was da ist. Vermehrt zurück, denn eigene Waffen sind zunehmend ohne Munition. Selbst Handwaffenmunition ist rar geworden.

7. Daher sind die gerade gelieferten westlichen Waffen enormen Belastungen ausgesetzt, für die sie nie gedacht waren und für die sie auch nicht konstruiert wurden.

8.) Die ukrainisch-russische Artillerie-Doktrin unterscheidet sich von der westlichen Doktrin. Der Westen zerschlägt gezielt und mit hochpräziser teurer Munition gegnerische Ziele und bleibt dabei hochmobil.
Die östliche Taktik ist mit massiven Artillerieschlägen Ziele mit billiger aber reichlich vorhandener Munition zu bekämpfen. Aus ausgebauten Stellungsräumen mit Wechselstellungen heraus. Man setzt hier auf massive Feuerkraft um Ziele auszuschalten. Filigrane Einzelschläge westlicher Doktrin fallen da weg…
Ein solches Unterfangen mit westlichen Geschützen zu versuchen führt diese Waffen schnell an die Verschleißgrenze. Vom Rohr her über die einzelnen Waffengruppen (z.B.: Rohrbremsen) bis hin zur Elektronik.

9.) SMART-Munition (und andere Spezialgeschosse) belasten die Waffen viel höher als bloße herkömmliche Geschosse. Sie nutzen Rohre und Waffengruppen teilweise 10x so schnell ab wie herkömmliche Granaten.
Die UKR hat aber auch diese Spezialmunition so verschossen, wie sie es mit herkömmlicher Munition gemacht hat. Zu hunderten Schuss pro Rohr und WOCHE!

10.) Wenn man sich nicht an die Regeln hält, ständig technische Grenzen überschreitet und das Gelernte aus der Ausbildung nicht anwendet, dann ruiniert man selbst die besten Waffen in kurzer Zeit. Das hat die UKR mit den gelieferten Waffen gerade wieder geschafft.

11.) Auch die gelieferten Javelin– Panzerabwehrraketen und die PzFaust3-Geschosse sind inzwischen weg. Und auch die Fliegerfäuste. Daher auch das Geschrei nach noch mehr Waffen.

12.) Das Ganze macht den Eindruck, dass hier entweder infantile Gebrauchsmuster zu erkennen sind, wo gern mit etwas gespielt wird, was was man nicht versteht, oder aber die Not so groß ist, dass man bewusst so handeln musste.

Keiner der beiden Fälle würde Buchhalter dazu bewegen die Quoten für einen ukrainischen Sieg nach unten anzupassen. Im Gegenteil: die würden freudig jede Siegeswette akzeptieren. Im festen Glauben, dass die UKR untergeht.

Fazit: Dieses ganze Gerede von Großoffensiven im Süden ist Blödsinn. Es mag da Offensiven geben, die sogar lokal erfolgreich sind und temporäre Gebietsgewinne bringen, aber ohne massive Artillerieunterstützung und gepanzerte Stoßkräfte bleiben die UKR-Kräfte vor den gut ausgebauten, tief gestaffelten und gehärteten Stellungen der Russen liegen. Bluten aus. Ähnlich so, wie es anfangs den Russen erging, bevor sie taktisch umdachten.
Unsere Fernsehgeneräle und journalistischen Kriegstreiber verbreiten seit Anfang des Krieges die Meinung, dass die Russen entweder blöd oder völlig fachfremd sind.
Das Gegenteil ist der Fall.  Nach anfänglichen Fehlern – massiven Fehlern! – sind sie zu dem zurückgekehrt, was sie schon immer geübt haben. Ähnlich dem, was die UKR auch machen würde, wenn sie es denn noch könnte.

Momentan lassen die Russen die UKR im Süden auflaufen und nutzen sie ab, bis zu einem Punkt, wo sie kaum noch über Material und Personal verfügt. Und immer über den Punkt hinaus, der durch westliche Lieferungen ausgeglichen werden kann.

Im September werden sie an anderer Stelle erneut, mit aufgefrischten und neu ausgerüsteten Kräften, angreifen. Mit klarem Schwerpunkt und begrenztem Ziel. Sie werden günstige Stellungen für den Winter erobern oder beziehen, und diese noch vor der Schlammperiode und der anschließenden Kältephase befestigen und winterfest machen.

Vermutlich wird Russland auch dazu übergehen noch vor dem Winter Kraft- und Wasserwerke sowie andere Infrastruktur zu vernichten, um die Ukraine zu zwingen Ressourcen in den Erhalt all dessen zu stecken, um überhaupt noch als Staat über den Winter zu kommen.
Bisher sind von 40 Millionen Ukrainer 9,4 Millionen auf der Flucht, fast 10 Millionen im Land umherirrend und 80% der Industriekapazität sind mehr oder weniger in den Händen der Russen.

So macht es Sinn, dass gerade jetzt dieser kleine Umstand – der Verschleiß der modernen Waffen – uns so viel sagen könnte, wenn wir denn nicht im Dauertenor des ukrainischen Endsieges stehen würden.
So ähnlich schwadronierten unsere Experten zum Thema Taliban und Afghanistan. Wollten nicht glauben, dass 25.000 Kämpfer eine 300.000-Mann-Armee besiegen könnten, die man wesentlich besser ausgerüstet hatte, als wir es mit der UKR vorhaben oder wollen.

Es ist auch kaum anzunehmen, dass wir genug Ersatzteile für die UKR bereitstellen können, denn an diesen herrscht bei der Bundeswehr selbst Mangel. Daher ja auch die miese Einsatzbereitschaft, die unsere geniale Generalität im Februar so überrascht hat. Trotz anderslautenden ppt-Folienfilmen…

Auch die Idee, der UKR zu gestatten hier 100 PzH 2000 zu kaufen, die aber erst produziert werden müssen, ist nett. Die Dauer auf 2-3 Jahre anzusetzen, so es denn gut läuft, denn diese Waffensysteme benötigen in Einzelfertigung gemeinhin etwas länger als es ein VW-Golf vom Band schafft.

Ob bis zur Auslieferung noch eine UKR existiert, ist bei den gegebenen Verhältnissen an der Front zu bezweifeln.

Wie heißt es so schön: Der Amateur schaut auf die Taktik, aber der Experte blickt auf die Logistik. Und letztere hat die UKR nicht mehr im ausreichendem Maßstab zur Hand.

Mit dem Endsieg könnte es also knapp werden… Man kann gespannt sein, wie man uns das verkaufen wird. Die Erklärung wird aber auf den Fall mit dem Wort „überraschend“ anfangen.

https://rabenspiegel.de/2022/07/31/ukraine-westliche-waffen-fehlende-munition-und-der-endsieg/

 

Unsere Webseite verwendet für die optimale Funktion Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.