25.07.2022

Grüne Heuchelei und Kolonialismus

 

Nach uns die Sintflut (II)

Europa, das Ende 2021 Erdgasprojekte in Afrika zur Klimarettung stoppen wollte, fördert sie nun, um von russischem Gas unabhängig werden und den Kampf gegen Moskau verschärfen zu können.

BERLIN/DAKAR (Eigener Bericht) – Die verstärkte Nutzung afrikanischer Länder als Lieferanten von Erdgas für Europa stößt auf dem afrikanischen Kontinent zunehmend auf Kritik. Hintergrund sind Beschlüsse, die eine Reihe wohlhabender Industriestaaten im vergangenen Jahr auf der Glasgower Klimakonferenz (COP26) fällten. Sie sahen vor, die Finanzierung der Öl- und Gasförderung im Ausland zu stoppen, was wiederum die Nutzung von Erdgas als Energieträger in Afrika erschwert. In Afrika haben bis heute 600 Millionen Menschen keinen Zugang zu Strom; Erdgas gilt dort als geeigneter Energieträger, um dies mit möglichst geringer Klimabelastung zu ändern. Jetzt allerdings vollziehen die Staaten Europas plötzlich eine Kehrtwende und dringen auf Erdgaslieferungen aus afrikanischen Staaten – um rasch von Erdgas aus Russland unabhängig zu werden und Russland noch schärfer boykottieren zu können. Aus zahlreichen afrikanischen Staaten kommt scharfe Kritik; das europäische Vorgehen sei „bevormundend“ und „heuchlerisch“, protestiert ein einstiger Spitzenvertreter der UN. Auf der Jagd nach Flüssiggas kaufen die Staaten Europas weiterhin auch ärmeren Ländern Südasiens die Lieferungen weg.

Grüner Kolonialismus

Hintergrund der Kritik an den europäischen Mächten, die gegenwärtig in zahlreichen afrikanischen Staaten laut wird, sind Beschlüsse, die im vergangenen Jahr auf der Glasgower Klimakonferenz (COP26) gefällt wurden. Dabei geht es insbesondere um das Versprechen einer Reihe wohlhabender Industriestaaten, die Finanzierung von Projekten zur Öl- und Gasförderung ab spätestens 2023 zu stoppen – allerdings nur im Ausland. Mittlerweile haben sich sämtliche G7-Staaten angeschlossen. Die Ankündigung rief auf dem afrikanischen Kontinent Unmut hervor, weil sie darauf hinausläuft, keine Erdgasprojekte in Afrika mehr zu fördern, obwohl diese als realistisches Mittel gelten, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern; bis heute verfügen 600 Millionen Menschen in den Ländern Afrikas nicht über Strom. Der unmittelbare Sprung hin zu Versorgung aus Solar- und Windenergie ist teuer und gilt als unrealistisch – auch weil die wohlhabenden Industriestaaten die dazu nötigen Mittel verweigern; die einst zugesagte Summe von 100 Milliarden US-Dollar im Jahr für die Versorgung der Entwicklungsländer mit erneuerbaren Energien wird bis heute nicht gezahlt. Immer wieder ist in Afrika von „grünem Kolonialismus“ des Westens die Rede.[1]

Senegals Beitrag

Erneut entzündet hat sich die Kritik, weil die europäischen Mächte seit dem Beginn des Ukraine-Krieges ihr COP26-Versprechen brechen, allerdings nur zu ihren eigenen Gunsten; es geht ihnen ausschließlich darum, aus ihrer Abhängigkeit von russischem Erdgas zu entkommen. Dies gilt als nötig, um Russland noch schärfer boykottieren zu können. So will Italien Flüssiggas aus einem Förderprojekt in Kongo-Brazzaville beziehen, das zur Zeit ausgebaut wird. Frankreich wiederum hat ein Förderprojekt im Norden von Mozambique in den Blick genommen, das der Konzern Total vor gut einem Jahr wegen lokaler Aufstände eingestellt hatte. Die EU hatte die Aufstände im Erdgasgebiet zum Anlass genommen, einen militärischen Ausbildungseinsatz in Mozambique zu starten.[2] Auch Deutschland bemüht sich in Afrika um Erdgas, und zwar ebenfalls für den eigenen Konsum. Kanzler Olaf Scholz kündigte Ende Mai bei einem Besuch in Senegal an, Berlin werde die Erdgasförderung in dem Land unterstützen; Senegal könne dann, so hieß es in einem Bericht, „einen Beitrag leisten, um russisches Gas zu ersetzen“.[3] Inzwischen haben die G7 ihren Kurswechsel von ihrem COP26-Versprechen hin zur Finanzierung der Gasförderung auf dem afrikanischen Kontinent offiziell abgenickt.

Die Kehrtwende der IEA

Unmut in Afrika hat zudem die Internationale Energieagentur (International Energy Agency, IEA) ausgelöst. Die IEA hatte im vergangenen Jahr erklärt, es sei zum Erreichen der globalen Klimaziele dringend notwendig, keinerlei Projekte zur Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern mehr zu finanzieren. Im Juni dieses Jahres hat die Agentur, die unter starkem US-Einfluss steht, eine Kehrtwende vollzogen; sie behauptet jetzt, Afrika müsse seine Erdgasproduktion in hohem Tempo ausbauen, um spätestens gegen Ende des Jahrzehnts bis zu 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr nach Europa liefern zu können. Das sei nötig, um der Abhängigkeit der europäischen Staaten von russischem Erdgas zu beenden.[4] Zugleich wies die IEA darauf hin, in relativ kurzer Frist werde auch wieder ein Ausstieg aus der Erdgasförderung notwendig sein, um wie geplant bis zur Jahrhundertmitte klimaneutral zu werden. Es gelte deshalb, die Fördervorhaben auf dem afrikanischen Kontinent so schnell wie möglich zu realisieren. Sonst sei es ungewiss, ob sie sich noch in vollem Umfang amortisieren könnten.

„Bevormundend, heuchlerisch“

Zu den Doppelstandards der europäischen Mächte haben sich inzwischen eine ganze Reihe führender afrikanischer Politiker geäußert. „Wir brauchen langfristige Partnerschaften, nicht Inkonsistenz und Widerspruch“, monierte der Präsident Nigerias, Muhammadu Buhari.[5] „Sie können nicht einfach kommen und sagen: „Wir brauchen euer Gas, ich kaufe euer Gas, und wir bringen es nach Europa“, wurde der Energieminister Äquatorialguineas, Gabriel Obiang Lima, zitiert. Afrika für kurzfristige Erdgaslieferungen zu instrumentalisieren – das sei „bevormundend“ und „heuchlerisch“, urteilte Carlos Lopes, ein ehemaliger Leiter der UN-Wirtschaftskommission für Afrika. Es sei „absolut empörend, den Afrikanern zu sagen, dass sie die Optionen, die vor ihnen liegen, nicht prüfen sollen, und zur selben Zeit wegen des russisch-ukrainischen Krieges die Forderung nach Gas für Europa zu beschleunigen“.[6] Kritiker weisen zudem darauf hin, dass das Erdgas, das nun aus afrikanischen Staaten nach Europa geliefert wird, bei der dringend notwendigen Verbesserung der Versorgung der afrikanischen Bevölkerung fehlt.[7]

„Alles weggekauft”

Auf der Jagd nach Flüssiggas kaufen die europäischen Staaten weiterhin auch ärmeren Ländern Südasiens die Lieferungen weg. Bereits vor zwei Wochen hatte der pakistanische Erdölminister Musadik Malik mitgeteilt, sein Land sei nicht mehr in der Lage, dringend benötigtes Flüssiggas auf dem Spotmarkt zu erwerben, da „jedes einzelne Molekül, das in unserer Region erhältlich war“, von den Staaten Europas weggekauft werde.[8] Müssen schon seit einiger Zeit aufgrund Flüssiggasmangels die Stromversorgung gekürzt und Betriebe zeitweise stillgelegt werden, so wurden jetzt zeitweise sogar ein Viertel aller Kraftwerke vom Netz genommen, weil nicht genügend Energieträger vorhanden waren.[9] Bangladesch wiederum kann wegen des rasant gestiegenen Erdgaspreises die notwendigen Zukäufe von Flüssiggas auf dem Spotmarkt seit Monatsanfang nicht mehr zahlen und wird dies noch mindestens zwei Monate nicht tun können. Stromrationierung, die Kürzung von Arbeitszeiten und regelmäßige Stromausfälle sind auch dort die Folge.[10] Eine Besserung der Lage, die maßgeblich durch die Sanktions- und Boykottpolitik der westlichen Mächte verursacht wird, ist nicht in Sicht.


[1] Andrea Böhm: Klimaschutz oder grüner Kolonialismus? zeit.de 06.01.2022.
[2] S. dazu Der Aufstand in Cabo Delgado.
[3] Scholz plant Gas-Kooperation mit Senegal. dw.com 22.05.2022.
[4] Noah Browning: Africa must act quickly on its gas reserves, IEA report. weforum.org 23.06.2022.
[5], [6] Neil Munshi, Paul Burkhardt, William Clowes: Europe’s Rush to Buy Africa’s Natural Gas Draws Cries of Hypocrisy. bnnbloomberg.ca 10.07.2022.
[7] Irina Slav: Europe Does A Complete U-Turn On African Oil And Gas. oilprice.com 20.07.2022.
[8] S. dazu Nach uns die Sintflut.
[9] Fuel shortages hit nearly a quarter of Pakistan’s operational power plants. spglobal.com 20.07.2022.
[10] BD halts expensive spot LNG imports. brecorder.com 21.07.2022.

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8986
22.7.2022

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