Ex-Nato-Offizier Ulrich Scholz im Interview

Liebe Genossen und Freunde,

Es sieht so aus, als ob wir mit unseren Einschätzungen und Wertungen nicht allein stehen.
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Siegfried Eichner

 

Quelle: www.svz.de/36875247 ©2022 - 29.3.2022

Ex-Nato-Offizier Ulrich Scholz im Interview::
Putin ist nicht ein Böser, der die Welt überfallen will

Von Marion Trimborn
Wie ist der russische Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Krieg zu stoppen? Der Mi­litärstratege und ehemalige Planungsstabsoffizier im Nato-Hauptquartier Ulrich Scholz sieht durchaus Möglichkeiten für einen Kompromiss. Denn Putin sei keines­wegs verrückt, sondern ein nüchterner Denker.

Der Oberstleutnant a.D. ist der Meinung, dass Putin keinen Konflikt mit der Nato will, weil er wisse, dass das viel zu gefährlich sei. Deshalb seien die baltischen Staaten auch nicht in Gefahr. Für einen Frieden müsse der Westen dem russischen Präsidenten nun entgegenkommen.

Herr Scholz, im Ukraine-Krieg hat Russland nach eigenen Angaben nun auch Hyperschallraketen eingesetzt – ist das ein Wendepunkt im Krieg?

Wenn ich das einmal sagen darf: Solche Informationen sind unwichtig. Das ist nur wichtig für die Stammtisch-Unterhaltung. Denn eines ist klar: Ein Krieg ist heute kein Duell mehr, bei dem es darum geht, wer die bessere Waffe hat und wer schneller schießt. Sondern entscheidend ist, dass man fragt, welche Absicht dahintersteckt und welche Fähigkeiten man besitzt.

Wann kommt aus Ihrer Sicht als Planungsstabsoffizier der militärische Ent­hauptungsschlag gegen die ukrainische Hauptstadt Kiew, mit der Putin angeb­lich eine rasche Entscheidung herbeiführen will?

Ein solcher Schlag steht nicht bevor. Die ukrainische Armee ist unterlegen und was macht Sie? Sie geht dorthin, wo sie geschützt ist, in die Städte. In diese Städte wie Kiew kann man nicht reinbomben oder mit Panzern und Artillerie hineinschießen, ohne auch große Verluste unter der Bevölkerung anzurichten. Den Russen bleibt nur, die ukrainische Armee in den Städten festzunageln und wirkungslos zu machen, bis der ukrainische Präsident kompromissbereit ist.

Das heißt, Sie glauben nicht, dass Russland bis zu einem militärischen Sieg kämpft?

Genau, es wird keine militärische Lösung geben. Irgendwann ist genug gestorben, genug geblutet, genug gehasst und genug kaputt. Und dann werden beide Seiten verhandeln bis zu einem Kompromiss. Diesen Kompromiss werden wir in einem Mo­nat, in einem Vierteljahr oder in einem halben Jahr haben. Die Russen hätten die Uk­raine schon längst vollständig besetzen können, wenn sie wollten, weil sie absolut überlegen sind.

Warum tun sie es dann nicht?

Weil russische Truppen dann im Westen den NATO-Truppen in Polen und Rumänien direkt gegenüberstehen würden. Das ist nicht im Interesse Russlands. An dieser Grenze sollen neutrale ukrainische Truppen stationiert sein, keine russischen. Russ­land hat ein anderes, eigentliches Ziel.

Welches Ziel denn?

Präsident Putin will, dass die Ukraine nicht in die NATO kommt, sondern dass die Ukraine neutral bleibt. Bei den Verhandlungen vor dem Krieg hatte der Westen die NATO-Mitgliedschaft als nicht verhandelbar erklärt. Das ließ Putin nur noch die mili­tärische Option. Wie es aussieht, wird ein Kompromiss genau darauf hinauslaufen. Bis auf Weiteres keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Den hätten wir auch schon vor dem Krieg haben können.

Also hat die Nato aus Ihrer Sicht Schuld an dem Krieg?

Niemand hat Schuld. Wir erleben hier, wie so oft in der Geschichte, die Unfähigkeit zur Empathie als Kriegsauslöser. Im Westen hat man die russische Wahrnehmung der NATO Osterweiterung als geostrategische Strangulierung ignoriert. Es wäre klug gewesen, von Beginn an einen prominenten und neutralen Moderator etwa von der UNO einzuschalten wie zum Beispiel Kofi Annan. Dann hätte man eine Lösung ge­funden – ohne Krieg

Was sollte die Nato jetzt tun?

Man sollte das Kettenrasseln sein lassen und schon gar nicht Waffen in den Konflikt liefern. Die Kriegsrethorik muss raus aus dem Konflikt. Die NATO könnte sich als Waffenstillstands-Unterhändler anbieten.

Wie sieht die politische Lösung Ihrer Meinung nach aus?

Ich sehe den Kompromiss darin, dass der Nato-Beitritt der Ukraine verschoben wird und die Ukraine wirtschaftlich kompensiert wird, durch russische Erdgas-Versorgung zum Beispiel. Dann werden die Russen abziehen. Der Westen wird die Ukraine beim Wiederaufbau unterstützen und dafür sorgen, dass die Flüchtlinge wieder nach Hause kommen können.

Sehen Sie die Gefahr, dass Russland auch andere EU-Staaten wie Polen oder die baltischen Staaten demnächst angreift?

Nein. Putin ist nicht ein Böser, der die Welt überfallen will. Das ist ein Russe, der sein russisches Geschichtsverständnis hat und daraus Politik macht. Die baltischen Staa­ten waren meiner Ansicht nach noch nie in Gefahr. Denn Putin ist nicht verrückt, er ist ein nüchterner Denker und er will keinen Konflikt mit der Nato, weil er weiß, dass das viel zu gefährlich ist, wenn er eine direkte Konfrontation mit den USA auslöst – diese Gefahr ist viel zu groß.

Die Nato will dennoch ihre Ostflanke mit vier weiteren Verbänden verstärken. Ist das notwendig und richtig?

Das ist die Konfliktsprache von vorgestern. Ich möchte im Geiste Willy Brandts ant­worten: Nein und nein.

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