Eindrücke und Gedanken zu Russland in einer bewegten Zeit

Die ersten Kontakte und Begegnungen mit dem russischen Volk und seiner Seele reichen weit in meine Kindertage zurück. Mein Heimatort, ein kleines Provinzstädtchen im damaligen Bezirk Frankfurt(Oder) war umgeben von Garnisionen der Sowjetarmee.  Damals ging es mit den Schulfreunden nach der Schule immer schnell in die heimischen Wälder, um dort auf die übenden Soldaten der Sowjetarmee zu treffen und in ihren Panzern herum zu klettern oder für uns damals der absolute Höhepunkt – einmal kurz die Kalaschnikow in der Hand halten. Die erste Reise nach Russland durfte ich dann vor über 30 Jahren in die damals noch existierende Sowjetunion erleben. Zusammen mit meiner Großmutter, bei der ich ab der 5.Klasse meine ersten Russischlektionen erhielt, reiste ich per Flugzeug ins damalige Leningrad. Die Besichtigung des Panzerkreuzers "Aurora" und der Besuch des Schlosses Petrodworjez, der Sommerresidenz Peter des Großen, haben sich in meine Erinnerungen eingebrannt.
Mit dem Abzug der sowjetischen Truppen nach 1990 aus Deutschland verlor sich für eine Zeit die Verbindung zu Menschen und Land. Man hörte jetzt nur noch vom Ausverkauf des Landes und von russischen Präsidenten die ihr Heimatland in den totalen Zusammenbruch führen. Es war die Zeit der Neunziger Jahre, in der ich selber meinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr in der 5./Pz.Gren.Btl. 411 als Richtschütze auf dem Schützenpanzer Marder in Viereck/Stallberg ableistete. Ich hatte nicht mehr das Glück, in der für mich letzten deutschen Armee, der Nationalen Volksarmee dienen zu dürfen. Doch ein Großteil meiner Ausbilder waren noch Männer, die bereits in der NVA ihren Dienst getan hatten. So verspürte ich während meiner Dienstzeit bei der Bundeswehr noch in Ansätzen den Hauch einer längst vergangenen Zeit.
Mit Beginn meiner Berufsausbildung kam es dann wieder zu den ersten vorsichtigen Kontakten mit Russland. Ich begann damals eine Ausbildung zum Orgelbauer bei der traditionsreichen Firma Wilhelm Sauer aus Frankfurt(Oder). Zu Zeiten der DDR war die Sowjetunion das Exportland für Firma Sauer und so wurde fast jedes Jahr eine große dreimanualige Orgel ins Bruderland geliefert. Meine ersten beruflichen Reisen mit der Firma führten mich dann ins weit entfernte Sibirien, um unsere Instrumente instand zu halten bzw. instand zu setzen. Die erste selbst gebaute Orgel lieferte ich im Jahr 2009 nach Moskau ins Puschkin-Museum, unweit des Roten Platzes. Es war Ende Mai bzw. Anfang Juni als ich und ein Kollege das Instrument vor Ort in Moskau aufbauten. Den 12.Juni, den "Tag Russlands" konnten wir so direkt auf dem Roten Platz miterleben und er wird für mich ein unvergessliches Erlebnis bleiben, genau wie der 09.Mai mit seinen Paraden. Paraden, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen habe und wahrscheinlich auch nie wieder sehen werde. Ein Oberst der russischen Polizei, mit dem mich bis heute eine feste Freundschaft verbindet, begleitete mich auf einer dieser Paraden wie einen Ehrengast, obwohl ich doch eigentlich aus dem Land des ehemaligen Gegners komme. Respekt wurde mir diesbezüglich immer entgegen gebracht.
In diesem Zusammenhang möchte ich vielleicht kurz erwähnen, dass ich ebenfalls durch die Freundschaft zu einem Oberst des österreichischen Bundesheeres und wieder durch einen Orgelneubau, nämlich in der Prandtauerkirche St.Pölten zum vtnvagt - Regionalgruppe Gotha/Austria gelangt bin.
Zurück zum Thema Russland kann ich behaupten, das es vor allem immer die einfachen Leute waren, die einen vor Aufnahme jeglicher Arbeit zu sich nach Hause an reichlich gedeckte Tische einluden. Man lernte dabei das einfache russische Leben, vor allem aber die herzliche russische Seele kennen, die immer mehr gibt, als sie selber bekommt.
Nach pandemiebedingter Pause durfte ich das Land im Februar dieses Jahres wieder einmal für einen längeren Zeitraum besuchen, um einen neues zu Hause für unsere Orgel im Puschkin-Museum zu inspizieren. Der neue angedachte Standort für die Orgel soll sich nach Wunsch des Auftraggebers in den Gebäuden des "Park des Sieges" befinden. Ein sicher nicht alltäglicher Standort für eine Orgel. Der "Park des Sieges" liegt im Südwesten des Moskauer Stadtzentrums. Er wurde im Jahr 1995 zum 50. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland und Ende des 2. Weltkrieges eröffnet. Er gehört zu den wichtigsten offiziellen Gedenkstätten Moskaus und ist mit seiner Fläche von ca. 135 Hektar ein beliebtes Ausflugsziel, sowohl für Moskauer als auch für Touristen.
Bei meinem jetzigen Aufenthalt in Russland habe ich gegenüber vorangegangen Besuchen viele Veränderungen im Land wahrgenommen. Man hat grundlegend den Eindruck, dass es trotz verhängter Wirtschaftssanktionen stark bergauf geht. Von schwachem Wirtschaftswachstum keine Spur, im Gegenteil. Ich habe auch ein Volk gesehen, das hinter seinem Präsidenten steht und dieses offen bekundet. Man ist wieder stolz auf sich und das Geschaffene. Man erträgt, dass die Kaufkraft gesunken ist. Man erträgt, dass der Rubel an Wert verliert. Man erträgt, dass viele Annehmlichkeiten des Lebens für den Normalbürger momentan nicht mehr erschwinglich sind. Doch im gleichen Atemzug nimmt man eine Dankbarkeit wahr, die uns als außenstehende Deutsche nur beeindrucken kann. Die Dankbarkeit, dass einem die Identität und der Stolz, der Stolz auf sein Land wieder zurückgegeben wurden. Dies wiegt viel mehr als alles Materielle. Insgesamt habe ich ein Land gesehen, in dem sich in den letzten Jahren viel getan hat. Ich wünschte, ich könnte das alles auch von meinem Land behaupten.

Heute, während ich diese Zeilen schreibe, schreiben wir den 25.Februar 2022. Die Ereignisse in den Medien überschlagen sich. Es gibt nur das eine Thema und es gibt natürlich auch nur den einen Schuldigen. Die westliche Welt ist sich darüber einig, wer der Gute und wer der Böse ist. Es ist schwer, sich inmitten der Flut von Informationen eine halbwegs objektive Meinung zu bilden, doch ich stelle mir bei allen Schuldzuweisungen gegenüber Russland und seinem Präsidenten immer wieder die Frage, w.z.B. eine Großmacht wie die USA reagieren würden, wenn 150 km vor der amerikanischen Küste russische Raketensysteme stationiert wären.
Es sind gemischte Gefühle, die einen in diesen Tagen bewegen. Doch für mich, wie für viele andere Menschen in unserem Land erscheint es eigentlich einfach und logisch, dass sich die Völker unserer beiden Länder die Hände reichen und einen gemeinsamen Weg auf dem europäischen Festland gehen könnten. Aber warum ist das nicht so? Ein Fakt der verwundert, doch relativ leicht verständlich wird, wenn man sich ein Zitat aus der Rede von Georg Friedmann, Chef von Stafort (strategische Planung der USA) vom 03.Februar 2015 in Chicago zu Gemüte führt: "Also, das urzeitliche, urweltliche Interesse der USA, wofür wir seit Jahrhunderten die Kriege führen – erster und zweiter Weltkrieg und kalter Krieg – waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann und unser Interesse war es, sicherzustellen, dass das nicht geschah. Für die USA ist die größte Urangst, das sich russisches Kapital und deutsche Technologie zu einer einzigartigen Kombination verbinden…."

 

T. Lang
Regionalgruppe Gotha/Austria "Oberstleutnant Josef Ritter von Gadolla"

 

 

 

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