Wie real ist die Kriegsgefahr?

Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland (05.12.2021)

Oberst a.D. Friedemann Munkelt, 15.12.2021

 

Gegenwärtig vergeht kein Tag, an dem in Nachrichtensendungen, kein Interview  zur Außenpolitik, indem nicht von einer bevorstehenden Aggression Russlands gegen die Ukraine gesprochen wird, verbunden mit Sanktionsdrohungen und „Preisschildern“ durch die USA, EU und auch der frisch ins Amt gekommenen Bundesaußenministerin Baerbock von den Grünen. Begründet wird dies mit einem vermeintlichen Truppenaufmarsch Russlands an der ukrainischen Grenze. Völlig ausgeblendet wird dabei, was sich in der Ukraine, aber auch in anderen zu Russland grenznahen osteuropäischen Staaten abspielt. Beginnen wir bei der Ukraine, über den Putsch von 2014 braucht man sicher keine Worte mehr zu verlieren, „Fuck die EU“ und die Rolle Steinmeiers und Kollegen sollten als Stichworte genügen. Der sich daraus entwickelnde Konflikt ist keiner zwischen Russland und der Ukraine, sondern zwischen dem Putschregime und der überwiegend russischstämmigen Bevölkerung der Ostukraine und der Krim. Im Ergebnis der Unterdrückung der russischen Sprache und Kultur kam es zum Ausbruch eines Bürgerkrieges, mit dem Resultat der Ausrufung autonomer Republiken und der Aufnahme der Krim in die Russische Föderation auf der Grundlage eines Volksentscheides.

Zwei Linien sind in der ukrainischen Innenpolitik dominierend:

  1. Hat man sich offiziell zu den Minsker Vereinbarungen bekannt (unterschrieben), macht aber keinerlei realen Schritte sie zu erfüllen. Nicht Russland ist der Verhandlungspartner, sondern die Führungen der selbsternannten Republiken. Ein wirksamer Druck auf Kiew, in Bezug auf deren Einhaltung, durch die Normandie-Partner Deutschland und Frankreich ist nicht zu verzeichnen.
  2. Parallel dazu rüstet das Kiewer Regime massiv auf, unterstützt von der NATO, dabei insbesondere den USA. Mehr als 2 Milliarden $ seit 2014 sprechen eine deutliche Sprache. Entsprechend wachsen in Kiew die Träume, auch von „Präsident“ Selenski öffentlich verkündet, die Angelegenheit militärisch zu regeln. Was, wenn das ganze Russlandgeschrei nur dazu dient, einen Militärschlag auf die abtrünnigen Gebiete zu verschleiern?

Auf Auslöser und Ursachen des Konfliktes habe ich bereits kurz hingewiesen. Tatsache ist, die Ukraine ist Bestandteil der NATO-Politik der Einkreisung Russlands, ein Blick auf die Landkarte genügt! Die Osterweiterung der NATO hat es bis an die Grenzen Russlands geschafft. Wer spricht schon über die umfangreichen NATO-Manöver in diesem Jahr in den baltischen Republiken und in der Ukraine mit Beteiligung von NATO-Staaten. Dass da in Russland alle Alarmglocken läuten, sollte angesichts historischer Erfahrungen niemanden, vor allem in Deutschland, verwundern.

Interessant in diesem Zusammenhang ist eine „Bedrohung“ der USA durch einen geplanten Marinestützpunkt Chinas an der afrikanischen Küste. SNA (Sputnik) berichtete am 7. Dezember 21 dazu folgendes:“ In dem Artikel des „Wall Street Journal“ (WSJ) hieß es, die US-Regierung verfüge über „geheimdienstliche Erkenntnisse“, die den Schluss zuließen, „dass chinesische Kampfschiffe in die Lage versetzt würden, gegenüber der amerikanischen Ostküste aufmunitioniert und aufgetankt zu werden“. Diese Bedrohung habe Alarmglocken im Weißen Haus und im Pentagon schrillen lassen.“ Der Wahrheitsgehalt amerikanischer Geheimdiensterkenntnisse sei mal dahingestellt, die Entfernung zu den USA beträgt mehrere tausend Kilometer!  Auch hier lohnt sich ein Blick auf die Landkarte bezüglich amerikanischer Stützpunkte in Chinas Nähe.

Diese Entwicklung wird durch unseren Verband schon seit Jahren mit großer Sorge um den Frieden verfolgt. Ausdruck dessen sind die Aufrufe von 2015 „Soldaten für den Frieden“ und 2021 „Gemeinsam für den Frieden – ein Aufruf zur Vernunft“. Dass wir mit der dort getroffenen Bewertung der Kriegsgefahr nicht allein sind, zeigen Äußerungen von ehemaligen Militärs und Diplomaten Frankreichs und der Bundesrepublik. So meldete sich im März dieses Jahres eine Gruppe ehemaliger französischer Generale mit einer Kritik am Programm NATO-2030 unter dem Titel Europa nicht unter US-amerikanische Vormundschaft stellen“ zu Wort. Am 5. Dezember erschien ein Aufruf ehemaliger Diplomaten und Militärs der Bundesrepublik mit dem Titel „ Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland (5.12.2021)“. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen ein ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und ein ehemaliger Botschafter der BRD in der Russischen Föderation! Dass die Aufrufe unseres Verbandes keine Widerspiegelung in den offiziellen Medien fanden ist nicht verwunderlich, dass man aber der letztgenannten Wortmeldung keinerlei öffentliche Beachtung schenkt, ist schon erstaunlich! Offensichtlich passt sie nicht in das hysterische Kriegsgeschrei der NATO-Staaten.

Selbst wenn man einige Passagen in diesem Dokument kritisch betrachten kann, die Kernaussage: Frieden mit Russland, wird durch unseren Verband vorbehaltlos unterstützt! Wir halten es angesichts der angespannten Lage für ein mutiges Papier, welches wir hiermit veröffentlichen wollen.

 

Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang  im Verhältnis zu Russland (5.12.2021) 
Mit allergrößter Sorge beobachten wir die sich abermals verstärkende Eskalation im Verhältnis zu Russland. Wir drohen in eine Lage zu geraten, in der ein Krieg in den Bereich des Möglichen rückt. Von dieser Lage kann niemand profitieren, und dies liegt weder in unserem noch im russischen Interesse. Es gilt deshalb jetzt alles zu tun, um die Eskalationsspirale zu durchbrechen. Ziel muss es sein, Russland und auch die NATO wieder aus einem konfrontativen Kurs herauszuführen. Es bedarf einer glaubwürdigen Russlandpolitik der NATO und der EU, die nicht gutgläubig-naiv oder beschwichtigend, sondern interessengeleitet und konsequent ist. Jetzt ist nüchterne Realpolitik gefragt.

Fest steht: Die Drohgebärden Russlands gegenüber der Ukraine und das Imponiergehabe gegenüber NATO-Staaten in Übungen und insbesondere durch Aktivitäten der nuklearen Kräfte sind inakzeptabel. Dennoch führen Empörung und formelhafte Verurteilungen nicht weiter. Eine einseitig auf Konfrontation und Abschreckung setzende Politik ist nicht erfolgreich; wirtschaftlicher Druck und die Verschärfung von Sanktionen haben – dies zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre – Russland nicht zur Umkehr bewegen können. Vielmehr sieht sich Russland aufgrund der westlichen Politik herausgefordert und sucht durch aggressives Auftreten die Anerkennung als Großmacht auf Augenhöhe mit den USA sowie die Wahrung seines Einflussbereiches im postsowjetischen Raum. Damit steigen die Gefahren für die russische Wirtschaft (Ausschluss aus dem SWIFT-System) und einer Destabilisierung der Sicher­heitslage besonders in Europa deutlich. 

All dies darf seitens des Westens nicht als Entschuldigung für tatenloses Zusehen oder für die Akzeptanz der Eskalationsverstärkung verstanden werden. Die NATO sollte aktiv auf Russland zugehen und auf eine Deeskalation der Situation hinwirken. Hierzu sollte auch ein Treffen ohne Vorbedingungen auf höchster Ebene nicht ausgeschlossen werden. Wir brauchen im Grundsatz einen vierfachen politischen Ansatz:  

  • Erstens: Eine hochrangige Konferenz, die auf der Grundlage der fortbestehenden Gültigkeit der Helsinki-Schlussakte 1975, der Charta von Paris 1990 und der Budapester Vereinbarung von 1994, aber ohne Vorbedingungen und in unterschiedlichen Formaten und auf verschiedenen Ebenen über das Ziel einer Revitalisierung der europäischen Sicherheitsarchitektur berät.
  • Zweitens: Solange diese Konferenz tagt – und dafür wäre realistischerweise ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren anzusetzen –, sollte auf jede militärische Eskalation auf beiden Seiten verzichtet werden. Es sollten der Verzicht auf eine Stationierung von zusätzlichen Truppen und die Errichtung von Infrastruktur auf beiden Seiten der Grenze der Russischen Föderation zu ihren westlichen Nachbarn ebenso wie die vollständige beiderseitige Transparenz bei Militärmanövern vereinbart werden. Außerdem müssen Fachdialoge auf militärischer Ebene revitalisiert werden, um eine Risikominimierung zu betreiben.
  • Drittens: Der NATO-Russland-Dialog sollte auf politischer und militärischer Ebene ohne Konditionen wiederbelebt werden. Dazu zählt auch ein Neuansatz für die europäische Rüstungskontrolle. Nach Wegfall für die Sicherheit Europas wesentlicher Vereinbarungen (INF-Vertrag, KSE-Vertrag, Vertrag über den offenen Himmel) ist es angesichts der russischen Truppenkonzentrationen an der Grenze zur Ukraine vordringlich, gezielt Maßnahmen zur Schaffung von mehr Transparenz, zur Förderung von Vertrauen durch Verstärkung von Kontakten auf politischen und militärischen Ebenen sowie zur Stabilisierung regionaler Konfliktsituationen zu vereinbaren.
  • Viertens: Es sollte trotz der derzeitigen Lage über weitergehende ökonomische Ko­ope­ra­tions­angebote nachgedacht werden. Der Rückgang der Bedeutung fossiler Energieträger, von deren Export die russische Wirtschaft stark abhängt, birgt die Gefahr wachsender wirtschaftlicher Risiken für Russland, die wiederum politische Instabilitäten bedingen könnten. Wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte einen wichtigen Beitrag zu europäischer Stabilität leisten und zudem ein Anreiz für Russland zur Rückkehr zu einer kooperativen Politik gegenüber dem Westen sein.

Es müssen mithin win-win-Situationen geschaffen werden, die die derzeitige Blockade überwinden. Dazu gehört die Anerkennung der Sicherheitsinteressen beider Seiten. Mit Rücksicht darauf sollte in Fragen der künftigen Mitgliedschaften in NATO, EU und CSTO für die Dauer der Konferenz ein Freeze vereinbart werden. Dies würde keinen Verzicht auf die Einforderung grundlegender in der OSZE vereinbarter Standards bedeuten.  

Das mag für viele nicht einfach sein und auch nicht der reinen Lehre entsprechen. Aber jede Alternative ist deutlich schlechter. Deutschland kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Deutschland sollte alles unterlassen, was seine feste Verankerung im transatlantischen Verbund schwächen könnte, sollte auf De-Eskalation hinwirken und auf Vereinbarungen dringen, die den Einsatz militärischer Mittel in Europa jenseits der Bündnisverteidigung ausschließen. Dies sollte nicht als Einladung an Russland zur Veränderung des territorialen Status quo in Europa missverstanden werden, aber es gibt für die Ukraine-Krise keine militärische Lösung, die nicht zu einer unkontrollierbaren Eskalation führt.

Botschafter a.D. Ulrich Brandenburg, Deutscher Botschafter bei der NATO (2007-2010) und in Russland (2010-2014); Prof. Dr. Michael Brzoska, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (2006-2016); Brigadegeneral a.D. Helmut Ganser, Abteilungsleiter Militärpolitik bei der deutschen NATO- Vertretung in Brüssel (2004-2008); Prof. Dr. Jörn Happel, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg; Botschafter a.D. Hans-Dieter Heumann, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (2011-2015); Botschafter a.D. Hellmut Hoffmann, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Genfer Abrüstungskonferenz (2009-2013); Botschafter a.D. Heiner Horsten, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZE in Wien (2008-2012); Brigadegeneral a.D. Hans Hübner, Kommandeur des Zentrums für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (1999-2003); Prof. Dr. Heinz- Gerhard Justenhoven, Direktor des Instituts für Theologie und Frieden; Stephan Klaus, Sprecher der Jungen GSP; Generalleutnant a.D. Dr. Ulf von Krause, Befehlshaber des Streitkräfteunterstützungskommandos der Bundeswehr (2001-2005); Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZE in Wien (2012-2015); Prof. Dr. Gerhard Mangott, Universität Innsbruck; General a.D. Klaus Naumann, Generalinspekteur der Bundeswehr (1991-1996) und Vorsitzender des NATO- Militärausschusses (1996-1999); Prof. em. Dr. August Pradetto, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg; Roger Näbig, Blog Konflikte und Sicherheit; Prof. Dr. Götz Neuneck, Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (2009-2019); Jessica Nies, Sprecherin der Jungen GSP; Oberst a.D. Harry Preetz, Landesvorsitzender Bereich I der Gesellschaft für Sicherheitspolitik; Oberst a.D. Wolfgang Richter, Stiftung Wissenschaft und Politik, Leitender Militärberater bei der deutschen OSZE-Vertretung (2005-2009); Oberst a.D. Richard Rohde, Sektionsleiter Bonn der Gesellschaft für Sicherheitspolitik; Botschafter a.D. Dr. Johannes Seidt, Chefinspekteur des Auswärtigen Amts 2014 bis 2017; Brigadegeneral a.D. Reiner Schwalb, Verteidigungsattaché an der deutschen Botschaft Moskau (2011-2018); Prof. Dr. Michael Staack, Helmut- Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg; Brigadegeneral a.D. Armin Staigis, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (2013-1015); Prof. Dr. Johannes Varwick, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Dr. Wolfgang Zellner, Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (2009-2019). 

ViSdP: Johannes Varwick, Herderstr. 15., 10625 Berlin; Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren, von der Russischen Föderation geht keine Kriegsgefahr aus! Die NATO-Staaten, insbesondere die europäischen, sind gut beraten den Weg der Diplomatie wiederzubeleben und auf jegliche Sanktionsdrohungen und „Preisschilder“ zu verzichten. Russland ist Bestandteil Europas!

Hier nun noch ein aktueller Kommentar aus Russland, von Russia today, den man ja durchaus als „offizielle Positionierung“ zu diesem Aufruf werten kann.

 

Sicherheitspolitischer Appell: Für Entspannung mit Moskau und Warnung vor Kriegsgefahr

11. Dez. 2021 20:15 Uhr    RT

... Mehr als zwei Dutzend ehemalige hochrangige deutsche Diplomaten und Militärs sind mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gegangen, der vor steigender Kriegsgefahr in Europa warnt und dringend eine neue Entspannungspolitik gegenüber Moskau einfordert.

Fast 30 deutsche – überwiegend ehemalige – Diplomaten und Generäle, hohe Offiziere, aber auch Professoren, Wissenschaftler und Friedensforscher haben am 5. Dezember 2021 einen dringlichen Appell veröffentlicht, der dazu aufruft, die gefährliche Eskalationspolitik gegenüber Moskau zu beenden und einen "Neuanfang im Verhältnis zu Russland" zu suchen.

Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem

  • Botschafter a.D. Ulrich Brandenburg, Deutscher Botschafter bei der NATO und in Russland;
  • Brigadegeneral a.D. Helmut Ganser, Abteilungsleiter Militärpolitik bei der deutschen NATO-Vertretung in Brüssel;
  • Botschafter a.D. Hans-Dieter Heumann, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik;
  • Botschafter a.D. Hellmut Hoffmann, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Genfer Abrüstungskonferenz;
  • Botschafter a.D. Heiner Horsten, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZE in Wien;
  • Brigadegeneral a.D. Hans Hübner, Kommandeur des Zentrums für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr;
  • General a.D. Klaus Naumann, Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses;
  • Botschafter a.D. Dr. Johannes Seidt, Chefinspekteur des Auswärtigen Amts;
  • Brigadegeneral a.D. Reiner Schwalb, Verteidigungsattaché an der Deutschen Botschaft Moskau;
  • Brigadegeneral a.D. Armin Staigis, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

Konfrontation und Kriegsgefahr in Europa

… In ihrem durchaus dramatisch zu nennenden Aufruf schreiben die erfahrenen Sicherheitsexperten:

"Mit allergrößter Sorge beobachten wir die sich abermals verstärkende Eskalation im Verhältnis zu Russland. Wir drohen in eine Lage zu geraten, in der ein Krieg in den Bereich des Möglichen rückt. Von dieser Lage kann niemand profitieren, und dies liegt weder in unserem noch im russischen Interesse. Es gilt deshalb jetzt alles zu tun, um die Eskalationsspirale zu durchbrechen. Ziel muss es sein, Russland und auch die NATO wieder aus einem konfrontativen Kurs herauszuführen."

Dies ist insofern bemerkenswert, als es sich bei den Unterzeichnern überwiegend um hoch- und höchstrangige Vertreter des sicherheitspolitischen Establishments handelt.

Westlich geprägte Konfliktwahrnehmung

So verwundert es nicht, dass die Autoren (vermeintliche) "Drohgebärden Russlands gegenüber der Ukraine" und (angebliches) Moskauer "Imponiergehabe gegenüber NATO-Staaten" rügen, doch nun sei von westlicher Seite "nüchterne Realpolitik gefragt", nicht jedoch "Empörung und formelhafte Verurteilungen". Selbstkritisch an die westliche Adresse gerichtet stellen die Sicherheitsexperten fest:

"Eine einseitig auf Konfrontation und Abschreckung setzende Politik ist nicht erfolgreich; wirtschaftlicher Druck und die Verschärfung von Sanktionen haben – dies zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre – Russland nicht zur Umkehr bewegen können. Vielmehr sieht sich Russland aufgrund der westlichen Politik herausgefordert und sucht durch aggressives Auftreten die Anerkennung als Großmacht auf Augenhöhe mit den USA sowie die Wahrung seines Einflussbereiches im postsowjetischen Raum."

Kritisch sieht man die US-Drohung, Russland aus dem internationalen SWIFT-Zahlungssystem auszuschließen, und befürchtet eine "Destabilisierung der Sicherheitslage besonders in Europa"….

"Vierfacher politischer Ansatz"

Im Grundsatz stellen die Ex-Diplomaten, -Militärs und sicherheitspolitischen Experten ein Vier-Punkte-Programm auf und fordern eine Art Neuauflage der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", die zur sogenannten Helsinki-Schlussakte 1975 und dem Abbau von Spannungen zwischen den Militärblöcken in den siebziger Jahren geführt hatte.

Solange diese neue europäische Sicherheitskonferenz tagen würde – "dafür wäre realistischerweise ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren anzusetzen" –, solle "auf jede militärische Eskalation auf beiden Seiten verzichtet werden". Ebenso solle die "Stationierung von zusätzlichen Truppen und die Errichtung von Infrastruktur auf beiden Seiten" ausgeschlossen werden.

Ebenso solle der NATO-Russland-Dialog "auf politischer und militärischer Ebene ohne Konditionen wiederbelebt" werden

Schließlich plädieren die Unterzeichner dafür, über "weitergehende ökonomische Ko­ope­rations­angebote" an Moskau nachzudenken. ..Zusammenarbeit zwischen West und Ost einen "wichtigen Beitrag zu europäischer Stabilität leisten…

Bemerkenswerter Perspektivenwechsel

Die Autoren bewegt offenkundig die brennende Sorge, dass es tatsächlich zu einem heißen Krieg in Europa kommen könnte. Die als gefährlich erkannte Lage hat zumindest unter den "Ehemaligen" zu Ernüchterung und neuem Realismus geführt. Zwar heißt es in westlich geprägter Marketing-Sprache:

"Es müssen mithin win-win-Situationen geschaffen werden, die die derzeitige Blockade überwinden. Dazu gehört die Anerkennung der Sicherheitsinteressen beider Seiten."

…Der Schluss des Aufrufs gibt der neuen Berliner Regierung eine Mahnung auf den Weg, trotz aller transatlantischen Bindungen dringend auf eine Entspannung des Verhältnisses mit Moskau hinzuarbeiten und die Ukraine-Krise ausschließlich mit diplomatischen Mitteln zu lösen:

"Das mag für viele nicht einfach sein und auch nicht der reinen Lehre entsprechen. Aber jede Alternative ist deutlich schlechter. Deutschland kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Deutschland sollte alles unterlassen, was seine feste Verankerung im transatlantischen Verbund schwächen könnte, sollte auf De-Eskalation hinwirken und auf Vereinbarungen dringen, die den Einsatz militärischer Mittel in Europa jenseits der Bündnisverteidigung ausschließen. Dies sollte nicht als Einladung an Russland zur Veränderung des territorialen Status quo in Europa missverstanden werden, aber es gibt für die Ukraine-Krise keine militärische Lösung, die nicht zu einer unkontrollierbaren Eskalation führt."….

 

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