Schlag nach beim Klassiker

Die Themen Seuchen, Gesundheit/Gesundheitswesen und die Beziehungen großer Gesell­schafts­gruppen sind bekanntlich nichts Neues. Engels hat sich dazu vor langer Zeit geäußert - nicht nur er.

Der JW-Beitrag gibt dazu interessante Denkanstöße. Viel Interessantes spielt sich eben HINTER dem Vorhang und UNTER dem Teppich ab. Es ist halt irgendwie immer wieder sozial, politisch und wirtschaftlich. Und was wäre für einen echten Kapitalisten interessanter, als eine Gelegenheit aus einer Kombination von Gesundheit und Gutmenschentum auch noch Kapital zu schlagen. Nicht Geld, sondern Kapital - nur so bleibt Oben und Unten auch dort, wo es nach Meinung des schon be­steh­enden Kapitals auch hingehört.

Man erinnere sich bitte immer wieder, dass der nun nicht gerade besonders wirksame, dennoch gehypte Stoff von Biontech von Pfitzer aufgekauft wurde, NACHDEM der "deutsche Steuerzahler" via Bundesregierung aus SPD und CDU 750 Mio. Euro für die Entwicklung von Impfstoff und Technologie gezahlt hatte. Seitdem gehen die Einkaufsgelder für die Ampullen fast als Cash in die USA. Man könnte es auch als Vasallensteuer bezeichnen (abzüglich der Transportkosten). DAS sind doch mal ordentliche Profitraten. Aber aus Angst zahlt man doch gern. Sozusagen Schutzgeld.

Schönen 4. Advent und immer an die Nächstenliebe denken

Lutz Vogt

 

Aus: Ausgabe vom 11.12.2021, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage
KLASSIKER

Wenn Epidemien das Bürgertum treffen

Friedrich Engels erläuterte 1872, warum die Bourgeoisie sich manchmal um die Gesundheit ihrer Arbeiter kümmert

»Der Würgengel wütet unter den Kapitalisten ebenso rücksichtslos wie unter den Arbeitern«: Darstellung einer gut belüfteten Station im Londoner Pockenkrankenhaus Hampstead während der Epidemie im Winter 1870/71
F
riedrich Engels: Zur Wohnungsfrage. Leipzig 1872. Hier zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 18. Dietz-Verlag, Berlin 1973, Seiten 233–234 sowie 255–256

Die moderne Naturwissenschaft hat nachgewiesen, dass die sogenannten schlechten Viertel, in denen die Arbeiter zusammengedrängt sind, die Brutstätten aller jener Seuchen bilden, die von Zeit zu Zeit unsre Städte heimsuchen. Cholera, Typhus und typhoide Fieber, Blattern und andre verheerende Krankheiten verbreiten in der verpesteten Luft und dem vergifteten Wasser dieser Arbeiterviertel ihre Keime; sie sterben dort fast nie aus, entwickeln sich, sobald die Umstände es gestatten, zu epidemischen Seuchen und dringen dann auch über ihre Brutstätten hinaus in die luftigeren und gesunderen, von den Herren Kapitalisten bewohnten Stadtteile. Die Kapitalistenherrschaft kann nicht ungestraft sich das Vergnügen erlauben, epidemische Krankheiten unter der Arbeiterklasse zu erzeugen; die Folgen fallen auf sie selbst zurück, und der Würgengel wütet unter den Kapitalisten ebenso rücksichtslos wie unter den Arbeitern.

Sobald dies einmal wissenschaftlich festgestellt war, entbrannten die menschenfreundlichen Bourgeois in edlem Wetteifer für die Gesundheit ihrer Arbeiter. Gesellschaften wurden gestiftet, Bücher geschrieben, Vorschläge entworfen, Gesetze debattiert und dekretiert, um die Quellen der immer wiederkehrenden Seuchen zu verstopfen. Die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter wurden untersucht und Versuche gemacht, den schreiendsten Übelständen abzuhelfen. Namentlich in England, wo die meisten großen Städte bestanden und daher das Feuer den Großbürgern am heftigsten auf die Nägel brannte, wurde eine große Tätigkeit entwickelt; Regierungskommissionen wurden ernannt, um die Gesundheitsverhältnisse der arbeitenden Klasse zu untersuchen; ihre Berichte, durch Genauigkeit, Vollständigkeit und Unparteilichkeit vor allen kontinentalen Quellen sich rühmlich auszeichnend, lieferten die Grundlagen zu neuen, mehr oder weniger scharf eingreifenden Gesetzen. So unvollkommen diese Gesetze auch sind, so übertreffen sie doch unendlich alles, was bisher auf dem Kontinent in dieser Richtung geschehn. Und trotzdem erzeugt die kapitalistische Gesellschaftsordnung die Missstände, um deren Kur es sich handelt, immer wieder mit solcher Notwendigkeit, dass selbst in England die Kur kaum einen einzigen Schritt vorgerückt ist.

Deutschland brauchte, wie gewöhnlich, eine weit längere Zeit, bis die auch hier chronisch bestehenden Seuchenquellen zu derjenigen akuten Höhe sich entwickelten, die notwendig war, um das schläfrige Großbürgertum aufzurütteln. Indes, wer langsam geht, geht sicher, und so entstand auch bei uns schließlich eine bürgerliche Literatur der öffentlichen Gesundheit und der Wohnungsfrage, ein wässeriger Auszug ihrer ausländischen, namentlich englischen, Vorgänger, dem man durch volltönende, weihevolle Phrasen den Schein höherer Auffassung anschwindelt. Zu dieser Literatur gehört: Dr. Emil Sax, »Die Wohnungszustände der arbeitenden Classen und ihre Reform«, Wien 1869.

Ich greife, um die bürgerliche Behandlung der Wohnungsfrage darzulegen, dies Buch nur deswegen heraus, weil es den Versuch macht, die bürgerliche Literatur über den Gegenstand möglichst zusammenzufassen. (…)

Dass England überhaupt »in sozialen Dingen« dem Kontinent weit voraus ist, versteht sich von selbst; es ist das Mutterland der modernen großen Industrie, in ihm hat sich die kapitalistische Produktionsweise am freisten und am weitesten entwickelt, ihre Konsequenzen treten hier am grellsten an den Tag und rufen daher auch zuerst eine Reaktion in der Gesetzgebung hervor. Der beste Beweis dafür die Fabrikgesetzgebung. Wenn aber Herr Sax glaubt, ein Parlamentsakt brauche nur Gesetzeskraft zu erhalten, um auch sogleich praktisch eingeführt zu werden, so irrt er sich gewaltig. (…) In den Stadträten sind die Eigentümer ungesunder und baufälliger Wohnungen fast überall direkt oder indirekt stark vertreten. Die Wahl der Stadträte nach kleinen Bezirken macht die Gewählten von den kleinlichsten Lokalinteressen und Einflüssen abhängig; kein Stadtrat, der wiedergewählt werden will, darf wagen, für Anwendung dieses Gesetzes auf seinen Wahlbezirk zu stimmen. Man begreift also, mit welchem Widerwillen dies Gesetz fast überall von den Lokalbehörden aufgenommen wurde, und dass es bisher nur auf die allerskandalösesten Fälle – und auch da meist nur infolge einer bereits ausgebrochenen Epidemie, wie voriges Jahr in Manchester und Salford bei der Pockenepidemie – Anwendung gefunden hat. Der Appell an den Minister des Innern hat bisher nur in derartigen Fällen seine Wirkung gehabt, wie es denn das Prinzip jeder liberalen Regierung in England ist, soziale Reformgesetze nur notgedrungen vorzuschlagen und die schon bestehenden, wenn irgend möglich, gar nicht auszuführen.

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