Mauerbau 1961 und Weltpolitik

Siegfried Eichner, Oberstleutnant a.D.

 

Liebe Genossen und Freunde,
eigentlich hatte ich vor, für unsere Web-Seite einen Artikel über den 13. August 1961 zu schreiben. Aber …
manchmal muss man nur lange genug warten und Andere übernehmen den Job.
Unser guter Freund und Genosse Lutz Vogt hat uns einen Beitrag zur Verfügung gestellt, so gut, dass man zum 13. August 1961 keinen besseren schreiben kann.
Autor des Beitrages ist der uns gleichfalls gut bekannte Tilo Gräser, der insbesondere Aussagen des ehemalige Ulbricht-Mitarbeiter Herbert Graf sowie unserer Genossen Heinz Kessler und Fritz Streletz in den historischen Kontext setzte.
Und damit wären wir bei einem Problem, auf das ich unbedingt in dieser Art Vorwort hinweisen möchte:
Gerade eben hat „unser aller Bundespräsident Steinmeier“ sich zu diesem historischen Datum geäußert. Viele seiner Aussagen werden im Beitrag von Tilo Gräser als das entlarvt, was sie sind – Teil einer riesigen Propagandamaßnahme mit der die DDR seit 1961 verunglimpft und bis heute verunglimpft werden soll.
Auch durch Steinmeier, der auch schon beim Sturz des letzten rechtmäßig gewählten ukrainischen Präsidenten Januschkowitsch eine mehr als unrühmliche Rolle gespielt hatte. 
Diejenigen, die sich für die Sieger der Geschichte halten, glauben, mit Lügen, Halbwahrheiten und verzerrten Darstellungen die Geschichten verfälschen bzw. umschreiben zu können.
Nun ist aber Geschichte eine Wissenschaft, genauer eine der Gesellschaftswissenschaften. Im Unterschied zu den reinen Naturwissenschaften geht es in der Geschichte aber nicht ohne den subjektiven Faktor ab. Die objektiven Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung bedürfen zu ihrer Durchsetzung aktives Handeln der menschlichen Spezies.
Ereignisse und Personen müssen in ihren konkret-historischen Kontext und in diesem umfassend betrachtet und bewertet werden, alles andere ist Geschichtsfälschung oder eben Propaganda zur Verdummung der Massen.
Die Mainstream-Medien, andere hatten die Bezeichnung „Pinockio-Presse“ geprägt, haben uns in den letzten Tagen mit Berichten über all die Opfer des Mauerbaus überschüttet.  Waren denn wirklich alle DDR-Bürger Opfer der Maßnahmen zur Sicherung der Staatsgrenze?
Oberstleutnant a.D. Carl-Franz Lembke, berichtet in seinem Beitrag auf unserer Web-Seite über seine persönlichen Erlebnisse um den 13. August 1961. Er schildert, dass fast 800 Angehörige der 8. MSD ihren Wehrdienst um 6. Monate verlängerten, um die Kampfkraft und Einsatzbereitschaft ihrer Truppenteile aufrecht zu erhalten. Warum taten sie das, welchen Vorteil hatten sie davon.
Ich selbst war 1961 7 Jahre alt, zu jung, um die Ereignisse umfassend zu verstehen. Aber mein Bruder war damals 17½ Jahre alt. Er meldete sich wie viele seiner Altersgenossen freiwillig zum Dienst in der NVA. Warum tat er das und diente bis 1965 in Rüterberg bei den Grenztruppen? Und warum verließ keiner der Kämpfer der Berliner Kampfgruppen, die unmittelbar am Brandenburger Tor eingesetzt waren, seinen Platz?
Sehr wohl erinnere ich mich an eine Verkündung des damaligen bundesdeutschen Ministers für Innerdeutsche Angelegenheiten, des Herrn Lemmer, dass zum 5. Oktober (1961) die Bundewehr mit klingendem Spiel durch ´s Brandenburger Tor marschieren werde.
(Was aus zwei Gründen unmöglich gewesen wären: Zum einen beherrscht die Bundeswehr das „klingende Spiel“ nicht, zum anderen kann sie nicht marschieren.)
Es muss wohl doch wahr gewesen sein, was Genosse Keßler und Genosse Streletz in ihrem Buch formulierten:
Ohne den 13. August 1961 hätte es Krieg gegeben!

Und mit diesem Wissen lassen sich auch die dämlichen Lügen eines Herrn Steinmeier verschmerzen.

 

 

Lutz Vogt schrieb:

Die beiden angehängten Artikel enthalten für einige Leser sicher bekannte Informationen. Ich will damit auch nicht langweilen. Die Texte fassen das Thema allerdings straff zusammen und beleuchten Hintergründe, die in diesen Zusammenhängen oftmals untergehen. So ein Überblick ist nie von Schaden.
Irgendwie erinnern mich die offiziell kursierenden Sagas um die Mauer immer wieder an die Sissi-Filme. Es ist meist völliger Schwachsinn, kaum etwas stimmt, aber Märchen sind so quitschbunt und "schön", dass kaum jemand von ihnen lassen will. Nur geht es hier nicht um längst untergegangene Dynastien, sondern um Teile unserer eigenen Geschichte, unseres Lebens und wohl noch lange praktischer Politik. Sowohl Sissi 1-3 als auch die offiziell zugelassenen Mauerstorys sind klebrig wie Fliegenfänger. Wer sich DA draufsetzt, kommt nie wieder los.
Die wirklich großen Mächte betreiben nun mal WELTpolitik und aus dieser Sicht, ist vieles doch anders, als aus regionaler oder gar nationaler Sichtweise. Wer im Wald steht, weiss oft nicht, ob drumherum grüne Wiesen, graue Städte oder gelbe Wüsten sind.

Außerdem "ersparen" die beiden Artikel das Lesen der darin angeführten, hochinteressanten Bücher.

 

Mauerbau 1961: Wer die Fundamente legte und wem er nutzte

12 Aug. 2021 20:23 Uhr

Am 13. August 1961 hat die DDR ihre Grenze zur BRD und zu Westberlin gesichert. Später begann der Bau einer "Berliner Mauer". Die Ursachen dafür werden oft übersehen oder verschwiegen. Damit beschäftigt sich ein zweiteiliger Beitrag zum 60. Jahrestag der Ereignisse. Im Teil 1 geht es um die Vorgeschichte.

Quelle: www.globallookpress.com © United Archives / Erich Andres via www.imago-images.de

Die Grenze in Berlin am Brandenburger Tor im Jahr 1962

von Tilo Gräser 

Vor 60 Jahren begann am 13. August 1961 die DDR, ihre Grenze zur BRD zu sichern und teilweise zu schließen – dazu aufgefordert und unterstützt von ihrer Schutzmacht Sowjetunion. Damit wurde angeblich die deutsche Teilung besiegelt. Daran wird derzeit ausgiebig erinnert, mit Propaganda und Kampagnen, Rückblicken und Erinnerungen, aber kaum mit Analysen der Ursachen und Zusammenhänge. 

Ein Beispiel lieferte unlängst ausgerechnet der Linkspartei-Politiker Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen. Der schrieb in seinem Online-Tagebuch am 18. Juli mit Blick "auf den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion einer- sowie den 60. Jahrestag des Mauerbaus andererseits": "Beide Daten – der 22. Juni 1941 sowie der 13. August 1961 – markieren auf natürlich sehr verschiedene, aber dennoch einschneidende Weise für viele Millionen Menschen in Deutschland, Europa und der Welt katastrophale Wendepunkte ihres Lebens." 

Die Dimension beider Vorgänge kann laut Ramelow nur der begreifen, "der versteht, dass hinter einem Wortpaar wie 'Millionen Menschen' immer wieder ein ganz konkretes Leben steht – ein Mensch, egal, ob glücklich oder traurig, jung oder alt, wohlhabend oder arm. Viele dieser Leben wurden ausgelöscht, durften nicht zu Ende gelebt werden."

Der Ministerpräsident von der Partei Die Linke geht in seinem Text nicht weiter auf die gravierenden Unterschiede zwischen beiden Ereignissen ein. Davon künden nicht nur etwa 27 Millionen Tote auf Seiten der Sowjetunion nach dem faschistischen deutschen Überfall einerseits und knapp 300 Menschen andererseits, die an der Grenze zwischen der DDR und der BRD bis 1989 starben – nicht alle bei einem Fluchtversuch. 

So erzählt Ramelow zwar von seiner "Erinnerungsarbeit" zur deutschen Teilung. Aber die wichtigste Verbindung zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 13. August 1961 kommt bei ihm nicht vor: Ohne den faschistischen deutschen Überfall auf die Sowjetunion hätte nie ein Soldat der Roten Armee deutschen Boden betreten und wäre Deutschland und seine Hauptstadt nie geteilt worden. Dazu haben auch die vorherigen Überfälle der faschistischen Wehrmacht auf andere europäische Länder beigetragen. 

Beschränkter Rückblick 

Solche Ursachen und Zusammenhänge werden beim Rückblick auf die damaligen Ereignisse oft weggelassen – ob aus Unwissenheit oder Absicht oder ganz anderen Gründen wie bei Ramelow. Die beiden früheren hochrangigen DDR-Militärs Heinz Kessler und Fritz Streletz schrieben dazu zu Recht 2011 in ihrem Buch "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" (kürzlich neu aufgelegt): 

"Wo 'Trauer' herrscht, hat die Vernunft zu schweigen. Und alle, die den Finger heben und sich kritisch äußern, gelten augenblicklich als Zyniker. Sie würden 'die Opfer' verhöhnen.
Zynisch hingegen sind tatsächlich jene, die einer falschen, einer ahistorischen Darstellung das Wort reden und ihr in solchen Aufmärschen und Erklärungen symbolhaft Gestalt geben. Man könnte es besser wissen, wenn man es denn wissen wollte."
 

Das gilt grundsätzlich und auch für die Vorgeschichte dessen, was heute vielen nur als der "Bau der Berliner Mauer" bekannt gemacht wurde. In den medialen Beiträgen zum 60. Jahrestag der Grenzschließung wird zum einen wiederholt vor allem daran erinnert, wie die Menschen im geteilten Berlin das erlebten. Zum anderen wird erneut ein Zitat des damaligen DDR-Partei- und Staatschefs Walter Ulbricht immer wiederholt, das zum geflügelten Wort wurde: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." 

Wie seit Jahrzehnten wird auch dieses Jahr weggelassen, was Ulbricht am 15. Juni 1961 während einer Pressekonferenz vollständig auf eine Frage der Journalistin Annamarie Doherr von der Frankfurter Rundschau antwortete. Ein Beispiel dafür liefert seit Jahren auch der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) auf seinem Online-Portal "Die Berliner Mauer". Dort wird das Video der damaligen Pressekonferenz mit Ulbrichts Antwort wiedergegeben. Dabei ist nur noch kurz zu hören, dass der DDR-Staatschef weiterredet. Was er noch sagt, geht im Off-Kommentar "Ulbrichts Worte werden zur Lüge des Jahrzehnts" unter.

So wird bewusst seit Jahrzehnten etwas weggelassen, was wichtig ist, um die Ereignisse von damals zu verstehen – neben der Tatsache, dass es sich um die Trennlinie zwischen den stärksten Militärpakten jener Zeit handelte. Der ehemalige Ulbricht-Mitarbeiter Herbert Graf hat in einem Gespräch mit dem Autor dieses Beitrages vor vier Jahren auf die Fehlstellen in der offiziellen Darstellung hingewiesen. Graf war 1961 Leiter der Hauptabteilung Staatsorgane im Staatsrat der DDR und aktiv in die damaligen Ereignisse einbezogen. Im Jahr 2019 ist er verstorben

In seinem 2011 veröffentlichten Buch "Interessen und Intrigen: Wer spaltete Deutschland?" hat er die zusammenhängende Antwort Ulbrichts auf die Frage von Doherr, wiedergegeben: 

"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. Ich habe vorhin schon gesagt: Wir sind für vertragliche Beziehungen zwischen Westberlin und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Das ist der einfachste und normalste Weg zur Regelung dieser Fragen." 

Langwirkende Unklarheiten 

Weggelassen werde ebenso, worum es Wochen vor dem Mauerbau ging, sagte Graf 2017: "Im Zentrum stand die Forderung nach einem Friedensvertrag für Deutschland, verbunden mit der damals international erörterten Idee der Schaffung einer entmilitarisierten Freien Stadt Westberlin." Die vielzitierte Antwort sei gegeben worden, nachdem die Veranstaltung schon mehrere Stunden lief. Und: 

"Zu dem Zeitpunkt, als Ulbricht auf der Pressekonferenz sprach, war die letzte Entscheidung, was passiert, noch nicht getroffen. Niemand wusste, was wir machen." 

Der DDR-Partei- und Staatschef sei immer für eine Verhandlungslösung der Probleme um Westberlin gewesen, "und nicht für eine Mauer-Lösung". Die sei erst später gekommen. 

In seinem Buch stellte er fest: "Dass das wiederkehrende Zitat stets nach dem achten Wort abgebrochen wird, hat zweifellos keine der Wahrheit dienenden Gründe." In einem Vortrag vor einigen Jahren erklärte Graf dazu: "Das vorrangige Ziel dieser seit Jahrzehnten laufenden und sich zunehmend verstärkenden Medienkampagne ist es, Ursachen und Folgen der Berliner Mauer wahrheitswidrig dem Sozialismus, der Sowjetunion und der DDR anzulasten." 

Das gilt auch für die Rolle Ulbrichts, der bis heute gern als Sündenbock für die deutsche Teilung hingestellt wird. Auch der ostdeutsche Historiker Siegfried Prokop stellte in seinem Buch von 2009 "Die Berliner Mauer (1961 – 1989) – Fakten, Hintergründe, Probleme" den damaligen SED-Chef als jenen dar, der in Moskau auf eine Grenzschließung drängte. Der sowjetische Parteichef Chruschtschow habe diesem Drängen nur nachgegeben, wenn auch weitergehender als gewünscht. 

Die Ex-Generäle Kessler und Streletz, beteiligt an den Ereignissen 1961, schrieben dazu:

"Ulbricht hatte in Moskau wirksame Maßnahmen zur Friedenssicherung und gegen den Exodus der DDR durch die hohe Anzahl der Wirtschaftsflüchtlinge gefordert, nicht aber das, was zwischen dem 13. August 1961 und dem 9. November 1989 an der Grenze geschah." 

Frühzeitige Fundamente 

In Gespräch erinnerte der ehemalige DDR-Staatsfunktionär Graf, dass die Fundamente für den Mauerbau bereits in der Zeit des 2. Weltkrieges gelegt wurden: "Das Ganze mit der Mauer ist letztendlich im Herbst 1943 entstanden." Damals seien sich die "Großen Drei", Josef W. Stalin, Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt, bereits sicher gewesen, dass sie den Krieg gegen den Faschismus gewinnen werden. So sei in dem Jahr auf der Konferenz in Teheran begonnen worden, über die Nachkriegsregelungen für das besetzte Deutschland zu beraten. 

Aus Washington und London habe es verschiedene Vorschläge gegeben, Deutschland aufzuteilen, bis hin zum sogenannten Morgenthau-Plan, das Land zu deindustrialisieren. Allerdings verhinderte die Sowjetunion, dass die Idee, Deutschland zu zerstückeln, umgesetzt wurde, so Graf. 

Mit den Details der Nachkriegsregelungen sollte sich die zuvor gebildete "European Advisory Commission" (EAC – deutsch: Europäische Beratungskommission) beschäftigen, in der die drei Staaten durch Botschafter vertreten waren. Dieses Gremium legte im September 1944 mit dem "Londoner Protokoll" einen Plan für die Besatzungszonen in Deutschland und in Groß-Berlin vor, der von den "Großen Drei" bestätigt wurde. 

Alle Beteiligten seien davon ausgegangen, so Graf, der Krieg gehe in Kürze zu Ende und alle Pläne seien nur eine zeitweilige Lösung bis zu einer Friedenskonferenz und einem Friedensvertrag "vielleicht zwei, drei Jahre nach Kriegsende". Das Protokoll über die Besatzungszonen habe sich später "als die neuralgische Zentralachse der Nachkriegsregelungen" erwiesen, stellte er in seinem Buch fest. 

Ausgespartes Thema 

Der frühere Ulbricht-Mitarbeiter wies im Gespräch daraufhin, dass auf den alliierten Konferenzen in Jalta 1944 und in Potsdam 1945 die Berlin-Frage keine Rolle spielte. Das Fazit aller dazu verfassten Dokumente sei: 

"Es hat nie ein rechtlich verbrieftes Zugangsrecht der Westalliierten nach Berlin gegeben. Das war nur Gewohnheitsrecht, nachdem damals die USA nicht merkten, dass ihre Zone 150 Kilometer weg war." 

Als die US-Amerikaner das bemerkten und sich Roosevelt deshalb an Stalin wandte, habe dieser Marschall  Georgi Schukow beauftragt, den US-Truppen zu helfen, zu deren vereinbarter Zone in Berlin zu gelangen. "Das wurde sozusagen unter Kollegen geregelt, das war keine völkerrechtliche Regelung." Und: "Es war ein Zugeständnis der Sowjetunion, dass man sie überhaupt nach Berlin ließ. Aber dieses Zugeständnis lief auch unter dem Aspekt: Das ist ja nur eine zeitweilige Regelung." 

Dass Berlin später zur "Inkarnation eines westlichen Postens mitten in der DDR" gemacht wurde, "das war schlichte westliche Propaganda, die Papiere sahen ganz anders aus". Graf beantwortete im Interview die Frage, warum in Jalta und Potsdam nicht über eine klare Regelung zu Berlin entschieden wurde, so: In dieser Zeit zeigten sich bereits die ersten Züge des Kalten Krieges.

"Stalin wusste: Wenn wir dieses Problem behandeln, dann geht eine Debatte los, die noch einmal ganz neu ist. Denn Churchill hatte längst aus seiner antikommunistischen Propaganda heraus angezweifelt, dass die ganze Sache gut geht. Er wollte am liebsten die sowjetischen Truppen bis zur Oder-Neiße-Linie haben und alles andere wollte er sich mit den Amerikanern und dann möglicherweise mit den Franzosen teilen. Aus dieser Rücksicht heraus wurde die Berlin-Frage von allen nicht berührt, weil sie wussten, da kommen wir nicht weiter." 

In allen Dokumenten seien deshalb nur die unmittelbaren täglichen Nachkriegsprobleme geklärt und alle Fragen der deutschen Zukunft einem Rat der Außenminister überlassen worden. "Durch diese Geschichte ist Westberlin als Problem überhaupt entstanden" und in der Folge als "ein Stützpfeiler des Westens mitten im Fleisch erst der Sowjet-Zone, dann der DDR auf- und ausgebaut worden". Aber: 

"Verbriefte Rechte auf Westberlin und die Zugangswege dahin konnten die Westmächte nie vorweisen. In ihrer Strategie des Kalten Krieges war ihnen ihre Position im geteilten Berlin ein Geschenk des Himmels." 

Historischer Ausgangspunkt 

In seinem Buch schrieb Graf: "Darstellungen der Ereignisse um den 13. August 1961, die allein auf die Endphase des Geschehens 1960/61 fokussiert sind, greifen offensichtlich zu kurz." Im Gespräch erinnerte er daran, dass "der historische Ausgangspunkt für die Zuspitzung der Berlin-Frage" im Herbst 1958 gelegt wurde. Der damalige sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow habe die Krise ausgelöst, behauptet dazu der österreichische Historiker Rolf Steininger in seinem 2009 veröffentlichten Buch "Berlinkrise und Mauerbau 1958 bis 1963". 

Das sei mit einer Rede am 10. November 1958 in Moskau geschehen. Darin regte Chruschtschow an, Teile des Potsdamer Abkommens zu revidieren, da der Westen sich der Bundesrepublik und vor allem Westberlins als Mittel seiner Interessen "gegen den Osten" bediene. Der sowjetische Parteichef schlug vor, "auf die Reste des Besatzungsregimes in Berlin zu verzichten und dadurch die Möglichkeit für die Herstellung normaler Zustände in der Hauptstadt der DDR zu schaffen". Zeitzeuge Graf bezeichnete Chruschtschows Einschätzung der Situation als "eine praktische klassische Analyse – das war die wirkliche Situation und das war der Ausgangspunkt." 

Die sowjetische Führung legte trotz der ersten westlichen Empörungen nach und übermittelte am 27. November 1958 eine "Berlin-Note" nach Washington, London und Paris.

Darin erklärte Moskau, es würde sich "nicht mehr durch den Teil der Alliierten-Abkommen über Deutschland gebunden fühlen, der einen nicht gleichberechtigten Charakter angenommen hat und zur Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in Westberlin und zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR benutzt wird". 

Die Vereinbarungen von 1944 für Groß-Berlin würden als "nicht mehr in Kraft befindlich betrachtet". Gleichzeitig wurden neue Regelungen gefordert, die innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden sollten. Dieses "sowjetische Ultimatum" (Steininger) forderte immerhin die westlichen Alliierten auf, sich an einem endgültigen Friedensvertrag mit beiden deutschen Staaten zu beteiligen. Dabei sollte Westberlin zur "Freien Stadt" erklärt werden. Für den Fall, die anderen drei Mächte sagten Nein, kündigte Moskau an, den Friedensvertrag allein mit der DDR abzuschließen und deren Souveränitätsrechte in Bezug auf Berlin notfalls militärisch zu sichern. 

Gemeinsame Lösungssuche 

"Damit war der Stein ins Rollen gebracht, der zu einer internationalen Vereinbarung führen sollte, aber letztlich zur Berlin-Krise 1961 und zum Bau der Berliner Mauer führte", so Zeitzeuge Graf. Er widersprach dem Historiker Steininger deutlich: "Es war höchste Zeit, dass man die Friedensfrage in Deutschland stellt und dass man klare Verhältnisse schafft. Nun stand die Frage nach einem Friedensvertrag. Wer wollte sich eigentlich dagegen auflehnen?" Und: 

"Ich glaube, wer ein bisschen realistisch denkt, muss doch zu der Erkenntnis kommen, dass ein Krieg irgendwann einmal beendet sein muss, dass man aus dem Kriegszustand zu einem echten Friedenszustand kommt." 

Doch die westlichen Mächte, einschließlich der Bonner Führung, reagierten empört auf die klaren Worte aus Moskau. Sie hatten kein Interesse, die ungenauen Regelungen von 1944 zu Berlin infrage zu stellen, so Graf in seinem Buch. Bekannt gewordenen Dokumenten zufolge wollten die USA sogar mit einem Atomkrieg gegen die DDR und die Sowjetunion drohen, um zu verhindern, dass ihre Interessen an Westberlin in irgendeiner Weise infrage gestellt würden. Das ging laut Steininger so weit, dass der damalige BRD-Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) forderte, Washington müsse pokern und Moskau klar machen, dass das bis zur physischen Vernichtung der Sowjetunion gehen würde. 

Bis zu diesem Punkt gab es verschiedene diplomatische Aktivitäten zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, die kurz vor einem Krieg gegeneinander zu stehen schienen. Um den Konflikt zu entspannen, vereinbarte den Berichten nach Chruschtschow mit dem damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower ein Gipfeltreffen. Beide kamen im September 1959 in Camp David zusammen und sprachen über die entstandene Lage. 

Schon zuvor hätte sich gezeigt, dass der Weltkriegs-General Eisenhower als alter Militär verstanden hatte, "dass man einen Krieg auch mal zu Ende bringen muss", erinnerte sich Graf im Gespräch. In seinem Buch zitierte er, was der US-Präsident nach dem Treffen auf einer Pressekonferenz dazu erklärte: "Der Ministerpräsident und ich erörterten die Berlin-Frage eingehend." Er teilte mit, dass Verhandlungen aufgenommen werden sollen "mit dem Ziel, zu einer Lösung zu kommen, die die legitimen Interessen der Sowjets, der Ostdeutschen, der Westdeutschen und vor allen der westlichen Völker schützt. [...] Wir alle stimmen darin überein, dass dies eine anormale Situation (abnormal situation) ist, die ganze Welt sagt dies." 

Graf beschrieb die Reaktionen darauf so:

"Die ganze Welt sprach und die Weltpresse schrieb vom 'Geist von Camp David'. Man hatte die Hoffnung, jetzt finden wir eine Lösung für dieses Berlin-Problem, aber vor allen Dingen auch für den Friedensvertrag, wo das Berlin-Problem mit eine große Rolle spielte." 

Doch die Hoffnungen seien kurze Zeit später wieder zerplatzt, kurz bevor es am 16. und 17. Mai 1960 in Paris zu einer Gipfelkonferenz der USA, der UdSSR, Frankreichs und Großbritanniens kam. Dabei sollten die Impulse von Camp David weitergeführt und neben einem weltweiten Abrüstungsprozess ein Friedensvertrag und eine Berlin-Lösung vorbereitet werden. Aber dazu sollte es nicht kommen.

www.de.rt.ru, 12.08.21

 

Mauerbau 1961: Wer die Grenzsicherung provozierte und wem sie nutzte

13 Aug. 2021 10:14 Uhr

Am 13. August 1961 hat die DDR ihre Grenze zur BRD und zu Westberlin gesichert. Später begann der Bau einer "Berliner Mauer". Die Ursachen dafür werden oft übersehen oder verschwiegen. Damit beschäftigt sich ein zweiteiliger Beitrag zum 60. Jahrestag der Ereignisse. Im Teil 2 geht es um Einleitung und Folgen des Mauerbaus.

Quelle: www.globallookpress.com © dpa

In der Bernauer Straße in Berlin nach dem 13. August 1961

von Tilo Gräser

Hier ist der Teil 1 des Beitrages zu finden.

Die Ereignisse vom 13. August 1961 haben eine weit zurückreichende Vorgeschichte. Dazu gehört die sogenannte Berlin-Krise 1958, als die Sowjetunion auf eine endgültige Klärung weiterhin offener Fragen drängte. Das führte dazu, dass die einst verbündeten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges kurz vor einem Krieg gegeneinander zu stehen schienen. Um den Konflikt zu entspannen, trafen sich der sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita S. Chruschtschow und der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower im September 1959 in Camp David. 

Das löste weltweite Hoffnungen auf eine dauerhafte Friedenslösung aus, die sich auch auf das Berlin-Problem und einen möglichen Friedensvertrag bezog. Daran erinnerte der ehemalige Mitarbeiter des Staatsrates der DDR und Staatsrechtler Herbert Graf in einem Gespräch mit dem Autor dieses Beitrages im Jahr 2017.

Am 16. und 17. Mai 1960 in Paris sollte eine Gipfelkonferenz der USA, der UdSSR, Frankreichs und Großbritanniens die Impulse von Camp David weiterführen. Ziele waren neben einem weltweiten Abrüstungsprozess ein Friedensvertrag mit Deutschland und eine Berlin-Lösung. 

Gezielte Provokation

"Dann passierte die berühmte Geschichte mit der U-2", erinnerte Graf an den Abschuss eines US-amerikanischen Spionageflugzeuges über sowjetischem Gebiet bei Swerdlowsk am 1. Mai 1960. Moskau sei "hochempört" gewesen und Chruschtschow, der zwei Tage vor Konferenzbeginn nach Paris gekommen war, habe von Eisenhower eine Entschuldigung verlangt. Ohne diese gäbe es keine Verhandlungen – zu diesen kam es dann auch nicht, weil sich Washington weigerte.

Der österreichische Historiker Rolf Steininger behauptete in seinem 2009 veröffentlichten Buch "Berlinkrise und Mauerbau 1958 bis 1963", "Chruschtschow nutzte den Zwischenfall, um die Gipfelkonferenz platzen zu lassen" – Er meinte, dass das allerdings nur ein Vorwand gewesen sei. Aus seiner Sicht haben "die Amerikaner Chruschtschow geradezu in die Hände gespielt". Das könnte tatsächlich Absicht gewesen sein, allerdings anders als Steininger es sieht.

Der US-Historiker David Talbot äußert sich in seinem Buch "Das Schachbrett des Teufels – Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung" zu dem Vorfall mit der U-2. Er schrieb, dass der Abschuss des Spionageflugzeuges, unterwegs im Auftrag der CIA, "Eisenhowers letzte Chance auf einen Durchbruch im Kalten Krieg zunichtemachte". 

Der US-Präsident sei sich des Risikos der Spionageflüge bewusst gewesen und habe diese nur genehmigt, weil CIA-Chef Allen W. Dulles ihm versichert habe, die große Flughöhe der U-2 schütze diese vor der sowjetischen Luftverteidigung. Doch am 1. Mai 1960 wurde das Gegenteil dessen bewiesen und der Pilot Francis Gary Powers geriet in Gefangenschaft. Talbot dazu: 

"Der Spionageflug am Vorabend des Pariser Gipfeltreffens schien zeitlich so schlecht abgepasst, dass mindestens ein Beobachter, Luftwaffenoberst L. Fletcher Prouty, den Verdacht hegte, dass die CIA den Zwischenfall absichtlich provoziert hatte, um die Friedenskonferenz zu torpedieren …" 

Prouty war Verbindungsoffizier zwischen dem Pentagon und der CIA. Er sei vom Geheimdienstchef Allen Dulles immer dann gerufen worden, wenn es Probleme mit den U-2-Spionageflügen gab. Der Ex-Militär bezeichnete in seinem eigenen Buch "The Secret Team" den Beschuss der U-2 am 1. Mai 1960 als "ein höchst ungewöhnliches Ereignis" vor dem Hintergrund eines "ungeheuren verborgenen Kampfes [zwischen] den von Präsident Eisenhower angeführten Friedensstiftern" und dem "inneren Zirkel" von Allen W. Dulles. 

Unerwünschte Friedenshoffnung 

In dem 1992 erstmals erschienenen Buch "JFK – Die CIA, der Vietnamkrieg und der Mord an John F. Kennedy" meinte Prouty: "Eisenhower setzte große Hoffnungen auf seinen Kreuzzug für den Frieden. Voraussetzung dafür war eine erfolgreiche Gipfelkonferenz im Mai 1960 in Paris und ein anschließender Besuch bei Chruschtschow in Moskau." Deshalb habe das Weiße Haus kurz vor dem Gipfel alle Spionageflüge und auch US-Kriegshandlungen, offene oder verdeckte, gestoppt. 

Die U-2 mit Powers sei dennoch gestartet, mit den bekannten Folgen bis hin zur Absage des Eisenhower-Besuches in Moskau. Allerdings sei sie nicht abgeschossen worden, sondern bei Swerdlowsk gelandet, so Prouty, der von Sabotage sprach. CIA-Chef Dulles habe 1960 in einer nichtöffentlichen Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats geäußert, das Flugzeug sei nicht wie von Moskau behauptet durch eine Rakete abgeschossen worden. Stattdessen sei es wegen eines Maschinenschadens notgelandet, gibt der US-Offizier in seinem Buch die Erklärung wieder. 

Dazu passt, was die beiden Militärexperten Bernd Biedermann und Wolfgang Kerner 2014 in dem Buch "Krieg am Himmel" schrieben: Laut russischen Veröffentlichungen zu dem Vorfall gebe es Zweifel, dass die U-2 in einer Höhe von etwa 21 Kilometern getroffen wurde: "Nahezu alles, was bei der Bekämpfung eines ungebetenen Eindringlings schiefgehen konnte, war schief gegangen." 

Ex-US-Offizier Prouty vermutet unter anderem, Powers musste aufgrund eines technischen Problems über sowjetischem Gebiet tiefer fliegen und war erst dadurch für die gegnerische Luftverteidigung erreichbar. Zu Eisenhowers angeblichen Friedens-Bemühungen passt, dass der scheidende US-Präsident am 17. Januar 1961 bei seiner öffentlichen Abschiedsrede vor der unkontrollierten Macht des Militärisch-Industriellen Komplexes warnte

Graf sah keinen Zufall darin, dass mit dem mutmaßlichen Abschuss einer U-2-Spionagemaschine über der Sowjetunion am 1. Mai 1960 die Chance der Pariser Konferenz zerstört wurde. "Powers hat man verheizt, nur damit man einen Skandal hat, wo man wusste, das kann Chruschtschow nicht hinnehmen." Nach der Wahl von John F. Kennedy zum US-Präsidenten habe es einen erneuten Anlauf gegeben, über die Probleme zu reden und die Lage zu klären. 

Gefährliche Planspiele 

Kennedy traf sich mit Chruschtschow am 3. und 4. Juni 1961 in Wien. Doch die anfangs freundliche Begegnung der beiden führte beim Thema Nachkriegsdeutschland zu keinem Ergebnis, so die Berichte dazu. In einem inoffiziellen Vier-Augen-Gespräch hätten beide einen letzten Versuch unternommen, gab Graf im Interview wie im Buch das Geschehen in Wien wieder. Doch das endete unter anderem laut Gesprächsprotokoll damit, dass Chruschtschow Kennedy erklärte

"Ich will Frieden und einen Friedensvertrag mit Deutschland. Wenn ich Grenzen ändern oder andere Völker erobern wollte, dann wären Sie tatsächlich verpflichtet, sich zu verteidigen. Wir wollen jedoch nur den Frieden. Drohungen von Ihrer Seite werden uns nicht aufhalten. Wir wollen keinen Krieg, wenn Sie ihn uns aber aufzwingen sollten, wird es einen geben. …" 

Der US-Präsident daraufhin: "Ja, es scheint einen kalten Winter zu geben in diesem Jahr." Worauf sein Gesprächspartner noch einmal wiederholte, er hoffe auf Frieden und glaube an eine friedliche Lösung. 

Aber solch eine Lösung schien nach dem Treffen in Wien wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Beide Seiten versetzten ihre Truppen in Alarmbereitschaft und veranstalteten "gefährliche militärische Planspiele", berichtete Graf in seinem Buch von 2011. Das reichte bis hin zu US-Plänen für einen Atomschlag gegen einen sowjetischen Truppenübungsplatz auf DDR-Gebiet, von denen der ehemalige bayrische Ministerpräsident Strauß in den nach seinem Tod 1988 veröffentlichten "Erinnerungen" berichtete: 

"Der amerikanische Gedanke eines Atombombenabwurfs auf einen sowjetischen Truppenübungsplatz hätte, wäre er verwirklicht worden, den Tod von Tausenden sowjetischer Soldaten bedeutet. Das wäre der Dritte Weltkrieg gewesen. (…) Der Krieg hätte also weitgehend in Europa stattgefunden, und zwar als konventioneller Krieg, dem die USA eine nukleare Komponente hinzufügen konnten. Solche Überlegungen sind am Sonntag, dem 13. August 1961, zum Glück Makulatur geworden." 

Die USA hätten solche Gedanken gewagt, weil sie gewusst hätten, die Gegenseite war nicht in der Lage, annähernd passend und präzise zu reagieren. "Aber ich kenne aus der Sowjetunion nicht eine Information, die über Atombomben gesprochen hätte", so Graf dazu. "Aber von Strauß kenne ich sie und aus Amerika kenne ich sie auch." In seinem Buch schrieb er auch von Berechnungen, die Kennedy über mögliche US-Opfer eines Atomkrieges anstellen ließ.

"Der Grat zwischen Krieg und Frieden war im Sommer 1961 sehr schmal. Es wurde höchste Zeit zum Umdenken!" 

 

Einziger Ausweg 

Graf im Rückblick auf die damalige Lage: "Was passiert, wenn eine Konferenz so ausgeht? Dann fahren beide nach Hause, holen ihre Berater und klären: Was kann man machen?" Kennedy habe Mitte Juli 1961 den Diplomaten John J. McCloy nach Moskau geschickt. Er sollte darüber reden, wie eine nukleare Katastrophe verhindert und die Berlin-Krise entschärft werden könne. McCloy sprach den Informationen zufolge mit verschiedenen Mitgliedern der sowjetischen Führung und zuletzt mit Chruschtschow. 

Danach teilte der US-Diplomat dem Präsidenten in Washington, D.C. unter anderem mit, die Lage sei "zu gefährlich", um sie "an einen Punkt treiben zu lassen, wo ein Zweikampf durchaus zu einer unglücklichen Aktion führen konnte". McCloy hat aus Sicht des ehemaligen Ulbricht-Mitarbeiters "ein Meisterwerk vollbracht". Beide Seiten hätten sich auf eine Lösung geeinigt:

"Die Absprache hieß im Grunde: Wir schaffen einen Status Quo in Europa. Ihr könnt auf Eurem Gebiet machen, was Ihr wollt." 

Die USA hätten auf drei Essentials bestanden: Die Rechte der West-Alliierten in West-Berlin werden nicht verändert; West-Berlin wird nicht in die DDR einbezogen; und alles andere wird auf Verhandlungsbasis gelöst. "Das war der Kompromiss in einer Situation, die hoch gespannt war." Das bestätigte unter anderem auch der Historiker Siegfried Prokop in seinem Buch "Die Berliner Mauer (1961 – 1989) – Fakten, Hintergründe, Probleme". 

Die Mauer in Berlin sei die Konsequenz und zugleich "ein Element der Kriegsabwendung" gewesen, so Graf. Sie habe, verbunden mit dem vereinbarten Status Quo, ein atomares Inferno verhindert. "Auch das gehört zur Wahrheit der Berlin-Krise 1961 und ihrer international vereinbarten Lösung!" 

Der ehemalige Ulbricht-Mitarbeiter betonte, dass sie nicht zuerst deshalb gebaut wurde, um die zunehmende Fluchtbewegung aus der DDR zu stoppen, die gerade 1961 auch als Folge der spürbaren Konfrontation beider Seiten angestiegen sei. Die sei mitverursacht worden, weil "ständig getrommelt wurde, irgendwas passiert mit West-Berlin". Die Mauer habe aber geholfen, das "Ausbluten der DDR" einzuschränken: "Da musste etwas passieren." 

Westliche Erleichterung 

Das sahen den Dokumenten und Berichten zufolge westliche Politiker und Militärs ebenso. So beschrieb der ehemalige BBC-Korrespondent Paul Oestreicher in der Berliner Zeitung vom 24. August 2009, wie er das Geschehen in Berlin nach dem Mauerbau erlebte. In einem Gespräch mit dem damaligen stellvertretenden Kommandanten des britischen Sektors im September 1961 habe dieser ihm inoffiziell gesagt: 

 

"Wir Westmächte sind über den Mauerbau eigentlich erleichtert. Für absehbare Zukunft ist Westberlin gesichert. Der destabilisierende Flüchtlingsstrom war einfach nicht mehr tragbar. Ein ökonomischer Zusammenbruch Ostdeutschlands hätte eine unkalkulierbare sowjetische Reaktion ausgelöst. Die Gefahr eines neuen Krieges ist nun erst einmal gebannt. Zwar hat uns der Zeitpunkt des Mauerbaus überrascht, nicht aber die Mauer an sich. Die Sowjets wussten sehr wohl, dass sie keine westlichen Gegenmaßnahmen zu befürchten hatten. Und schlussendlich hat man uns mit der Mauer auch noch eine nützliche Propagandawaffe geliefert." 

Graf betonte, DDR-Partei- und Staatschef Ulbricht habe in der Zeit nach Wien mehrmals mit der Presse über die Kernfrage aus seiner Sicht, den Friedensvertrag, gesprochen. Das sei für ihn neben soliden und klaren Verhältnisse entscheidend gewesen. "Ulbricht war für die Verhandlungslösung und nicht für die Mauerlösung. Die Mauerlösung kam erst später." Im Buch schrieb Graf: 

"Die Regierung der DDR und die Führung der SED waren über die mit der Errichtung der Grenzanlagen gefundene Lösung der Berlin-Krise keinesfalls erfreut. Der Abschluss eines Friedensvertrages und damit auch die Eliminierung der EAC-Vereinbarung von 1944 wären im Interesse der Souveränität des Landes und einer nachhaltigen Stabilisierung der inneren Situation ohne jeden Zweifel die bessere Lösung gewesen." 

Den von Moskau versprochenen Friedensvertrag habe die DDR dennoch nicht bekommen, weil die Schutzmacht mehr Rücksicht auf den Westen nahm, der dagegen war. "Die DDR war nicht der Taktgeber der Sowjetunion", erklärte das Graf im Interview und fügte hinzu: "Weltpolitik ist immer ein bisschen anders und man kann nicht alles haben." Ein Friedensvertrag sei nicht entscheidend für die Situation der DDR gewesen und hätte nur wenig gebracht, schätzte er ein. 

Klare Triebkraft 

Der endgültige offizielle Beschluss, die Mauer zu errichten, sei am 3. August in Moskau bei einer Tagung der Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages, des östlichen Militärbündnisses, gefallen. Den beiden Ex-DDR-Generälen Heinz Kessler und Fritz Streletz zufolge machte die sowjetische Führung entsprechenden Druck. Sie verwiesen in ihrem Buch "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" auf ein Gespräch zwischen Chruschtschow und Ulbricht am 1. August 1961, dessen deutsches Protokoll im Buch-Anhang abgedruckt ist. Daraus "geht klar hervor, wer die treibende Kraft war". 

Das wird durch ein sowjetisches Protokoll des Gesprächs im russischen Präsidentenarchiv bestätigt, über das der Historiker Matthias Uhl am 4. Juni 2009 in der Wochenzeitung Die Zeit berichtete: "Chruschtschow diktierte Ulbricht 1961, die Mauer zu bauen." Bei dem Treffen der beiden Parteichefs im Kreml sei die endgültige Entscheidung zur Grenzschließung gefallen. "Bereits zu Anfang des Gesprächs legt Chruschtschow seinem Gegenüber dar, dass es zur Sperrung der Grenze keine Zeit und Alternative mehr gebe", so Uhl. Danach sagte der sowjetische Parteichef: 

"Ich habe unseren Botschafter gebeten, Ihnen meinen Gedanken darzulegen, dass man die derzeitigen Spannungen mit dem Westen nutzen und einen eisernen Ring um Berlin legen sollte. Das ist leicht zu erklären: Man droht uns mit Krieg, und wir wollen nicht, dass man uns Spione schickt. Diese Begründung werden die Deutschen verstehen." 

Das ist auch in dem Buch der beiden Ex-DDR-Generäle Kessler und Streletz nachzulesen. Doch das stört die dominierenden Legendenschreiber bis heute nicht weiter. Das gilt auch für folgenden Fakt: Alle Schritte der Grenzsicherung erfolgten in Absprache mit dem sowjetisch geführten Oberkommando der Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Vertrages in Wünsdorf, so Ex-Staatsfunktionär Graf: 

"Es gab keine Mine, die nicht dort vereinbart wurde, ob sie eingebaut wird, ob sie abgebaut wird … es gab keine Geschichte, die nicht gemeinsam beschlossen wurde. Das war ein Stück der gemeinsamen Verteidigungslinie des Warschauer Vertrages von Wismar bis zur Adria. Man darf ja nicht vergessen: Diese Grenzziehung zog sich ja durch ganz Europa. Wir gucken immer bloß auf die Berliner Mauer." 

Es sei ein System mit vielen Aufgaben gewesen: "Ein Alarmsystem, ein Abschottungssystem, ein Fluchtverhinderungssystem. Und auf beiden Seiten wurde gelauscht, beobachtet, getrickst – das war Kalter Krieg." 

Mehrere Nutznießer 

War für den Bau der Berliner Mauer weniger der Osten als der Westen verantwortlich? Mit dem Status Quo wurden vor allem die Sonderrechte der westlichen Alliierten für Westberlin endgültig festgeschrieben, nachdem sie zuvor keine völkerrechtliche und vertragliche Grundlage hatten. Um ihre Interessen an dem "Pfahl im Fleische der DDR", wie der einstige Westberliner Regierende Bürgermeister Ernst Reuter die Stadt nannte, zu sichern, drohten die USA selbst mit einem Atomkrieg. Passend, wenn auch eher unangemessen, hatte Reuter sogar von der "billigsten Atombombe" der westlichen Welt gesprochen. 

Doch Graf sah den Westen nicht als Sieger des Konfliktes, auch weniger als eigentlichen Nutznießer des Mauerbaus. Im Gespräch meinte er rückblickend, der DDR sei es nach dem 13. August 1961 von Jahr zu Jahr besser gegangen, nicht nur wegen der Mauer, sondern weil auch eine andere Politik innerhalb des Landes möglich gewesen sei. Dazu habe auch eine Debatte, "ein bisschen untergründig", über den Weg zum Sozialismus, gezählt. 

Selbstverständlich hatte die DDR ein großes Interesse daran, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme durch die zuvor offene Grenze einzudämmen. Das wird unter anderem dadurch belegt, was Ulbricht 1962 dem ehemaligen BBC-Korrespondenten Oestreicher "off the record", also inoffiziell, eingestand, der das dann 2009 in der Berliner Zeitung wiedergab: 

"Mein Staat war gefährdet. Die bürgerlich erzogene Bevölkerung, die noch kein Verständnis für den Sozialismus entwickelt hat, floh in Scharen davon. Krankenhäusern fehlten Ärzte, die ganze Wirtschaft war bedroht. Zur Rettung des sozialistischen Lagers – und damit des Weltfriedens – war die Mauer (sic! - das Wort Schutzwall kam nicht vor) eine tragische Notwendigkeit." 

Oestreicher zitierte auch, was ihm Ulbricht zu den Toten an der innerdeutschen Grenze sagte: "Jeder Schuss an der Mauer ist zugleich ein Schuss auf mich. Damit liefere ich dem Klassenfeind die beste Propagandawaffe. Den Sozialismus und damit den Frieden aufs Spiel zu setzen, würde aber unendlich mehr Leben kosten." 

Falsche Schuldzuweisungen 

Die beiden Ex-Generäle Kessler und Streletz bestätigten das in ihrem Buch:

"Die Führung der DDR, wir beide eingeschlossen, hat jeden einzelnen Todesfall an der Staatsgrenze bedauert. Kein einziger war gewollt. Und nicht nur, weil dadurch der Sozialismus Schaden nahm."

Doch solche Aussagen werden ignoriert, auch weil die Toten an der Grenze leider nützlich sind – für die Propaganda gegen die DDR und bis heute. 

Schon in den ersten Tagen nach der Grenzschließung 1961war die daraus folgende Trennung von Familien ein wichtiges Propaganda-Element. "Das besaß einen hohen emotionalen Wert, und in dieses Horn wurde kräftig gestoßen", so Kessler und Streletz. "Wo Tränen fließen, ist naturgemäß der Blick getrübt." 

Und so wird wie bei den Ursachen auch bei den Folgen übersehen oder bewusst ausgelassen, was nicht in das gewünschte Bild passt. Die DDR-Führung hatte über den Ostberliner Oberbürgermeister Friedrich Ebert dem Westberliner Senat am 22. August 1961 eine Lösung für Besuche der getrennten Familien vorgeschlagen. Sie sollten über Vermittlung durch zwei DDR-Reisebüros auf Westberliner S-Bahnhöfen in die DDR-Hauptstadt einreisen können.

 

"Stattdessen erklärte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt, dass der Senat keine Einrichtung dulden werde, die Anordnungen von DDR-Behörden ausführe", ist dazu im Buch der beiden Ex-DDR-Militärs zu lesen. "Am 25. August erließ die Alliierte Kommandantur auf Druck des Senats einen Befehl, der in Westberlin Einrichtung und Betrieb von Büros zur Ausgabe von Aufenthaltsgenehmigungen für Westberliner in Ostberlin verbot." Brandt habe dazu in Interviews erklärt, diese Entscheidung sei "uns nicht leichtgefallen", weil sie "vielen West-Berlinern den Besuch ihrer Bekannten und Verwandten im Ostsektor unmöglich" machte. 

"Erst Ende 1963 sollte es das erste Passierscheinabkommen geben und den Westberlinern von ihrer politischen Führung erlaubt werden, den Ostteil der Stadt zu betreten und Verwandte und Freunde nach über zwei Jahren Trennung wiederzusehen", so Kessler und Streletz. Das gehört zu den Tatsachen, die bis heute kaum beim offiziellen Erinnern an die Ereignisse vor 60 Jahren erwähnt werden.

Der ehemalige DDR-Generaloberst Streletz schreibt in seinem neuen Vorwort zum gemeinsamen Buch mit dem 2017 verstorbenen früheren Armeegeneral und Verteidigungsminister Kessler:

"Unser Buch zeigt, wie in einer angespannten Sicherheitslage die Politik es vermochte, einen Konflikt zu entschärfen. Damals wie auch heute genügte ein Funke, das Pulverfass zur Explosion zu bringen. Vor sechzig Jahren gelang es, diesen Funken gemeinsam auszutreten, woran auch der junge US-Präsident John F. Kennedy insofern beteiligt war, als er Moskau zugestand, gemäß seiner Sicherheitsinteressen auf seinem Territorium, in seinem Einflussgebiet ungehindert zu  agieren, sofern davon nicht die Interessen der USA betroffen sein würden."

Der heute 94-jährige ist nicht überrascht von den Geschichtsverdrehungen, "die um den 13. August 2021 ganz gewiss in den deutschen Medien verbreitet werden. 'Jede Kriegführung gründet auf Täuschung«, soll schon vor zweieinhalbtausend Jahren der chinesische Militärstratege Sunzi formuliert haben. Das gilt auch für den  Informations- und Propagandakrieg, in dem wir uns gegenwärtig befinden."

www.de.rt.com, 13.08.21

 

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