Erinnerungen
an die Gründung des Warschauer Vertrages vor 65 Jahren
und die Waffenbrüderschaft in den Vereinten Armeen

  

65 Jahre Warschauer VertragIn diesem Jahr, am 14. Mai 2020 jährt sich zum 65. mal der Tag der Gründung des „Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Bei­stand“ den die Regierungen Bulgariens, der DDR, Polens, der UdSSR, Un­garns, Rumäniens, der Tschechoslowakei und Albaniens (das 1968 austrat) beschlossen. Es war ein Verteidigungsvertrag der, nachdem die NATO ge­grün­det war, dem kollektiven Schutz der Sozialistischen Ländern diente.
Auch wenn dieser Vertrag sich dann 1991, auf Grund der politischen Er­eig­nis­sen auflöste, so war seine Existenz und sein Wirken bedeutsam für die Sicherung des Friedens in Europa.

Die Nationale Volksarmee war vom Frühjahr 1956 an in die gemeinsame Arbeit der Vereinten Streitkräfte einbezogen und spielte im Militärrat und im Stab der Vereinten Streitkräfte eine aktive Rolle. Als Koalitionsarmee des Warschauer Vertrages hatten unsere Soldaten, Unteroffiziere, Offiziere und Generale viel von unseren Waffenbrüdern gelernt und waren ihnen ebenbürtig. Die Aufgaben des Warschauer Vertrages und den Beitrag den die Nationale Volksarmee und ihre Führungsorgane dabei geleistet haben, hat Generaloberst a.D. Fritz Streletz in der Son­der­aus­gabe 2020 des „Kompass “ sehr anschaulich und ausführlich aus seiner Sicht dargelegt. Deshalb möchte ich hier nicht etwas wiederholen, dass in dieser Ausgabe vortrefflich dargelegt ist. Ich möchte hier nur auf die im Plan des Kommandos der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages abgestimmten Ausbildungsmaßnahmen erinnern, insbesondere an die vielen gemeinsamen Kom­man­do­stabs- (KSÜ) und Truppenübungen, die Manöver und Flottenübungen mit den Bruderarmeen. Beginnend mit der ersten gemeinsamen KSÜ und Truppenübung der Sowjetarmee und der NVA im August 1957, mit dem Stab der 3. Armee unter dem Befehl von Generalmajor Fritz Johne, in der die 1. MSD aus den´m MB V mit Verstärkungskräfte unter ihrem Kommandeur Oberstleutnant Horst Stechbarth mit einbezogen war, den Nachweis erbrachten, dass die Führungsorgane und Truppen der NVA den sowjetischen Truppen ebenbürtig sind. Es folgten dann viele solche Höhepunkte der Gefechtsausbildung im Rahmen des Warschauer Vertrages. Erinnert sei hier nur an einige der wichtigsten, wie „Baltyg-Odra“ 1962, „Quartett“ 1963, „Oktobersturm“ 1965, „Moldau“ 1966, „Oder-Neiße“ 1969, „Schild 72“ 1972 und die größten Manöver des Warschauer Vertrages „Waf­fen­brü­der­schaft-70 und -80“. Es waren Höhepunkte im militärischen Leben für jeden einzelnen, der daran be­tei­ligt war.

65 Jahre Warschauer VertragAuch ich habe, in den verschiedensten Dienststellungen an vielen solcher gemeinsamen Übungen und Manöver teilgenommen, beginnend an der 1. dieser Übungen als junger Leutnant im Stab der 3. Armee. Sie waren immer Hö­he­punk­te in meinem militärischen Leben und sind bleibende Erinnerungen an den hohen Wert der Waf­fen­brü­der­schaft.
Ein für mich besonders bleibendes Erlebnis war das Manöver Waffenbrüderschaft-70, das in der Zeit vom 12. bis 18. Oktober 1970 in der DDR stattfand, als das bis dahin größte Manöver des Warschauer Vertrages, an dem erstmals alle 7 Armeen der Vereinten Streitkräfte des War­schau­er Vertrages und auch Kräfte der Terri­to­rial­ver­teidigung der DDR teilnahmen. Leitender des Manövers war unser Ministers für Nationale Verteidigung der DDR, Armeegeneral Heinz Hoffmann. Mehr als 73.000 Armeeangehörige, davon 41.000 der NVA, mit insgesamt 850 Panzer, 1.150 SPW, über 470 Geschütze Artillerie und Granatwerfer, 245 Flugzeuge und Hubschrauber, sowie 140 Schiffe und Boote der Vereinigten Ostseeflotten, nahmen an dem Manöver teil. Zu Beginn zeigten die Stäbe bei der Operativ-taktischen Kommandostabsübung (KSÜ) und danach die Truppen bei den realen Handlungen auf den verschiedensten Truppenübungsplätzen und in der Ostsee, ihr militärisches Können. (Bild oben: Eintreffen Minister Hoffmann beim Stab einer Armee zur Entschlussmeldung bei der KSÜ. BH der Armee Generalmajor Hans Wiesner)

65 Jahre Warschauer VertragNie wieder bekam ich die Gelegenheit die höchsten politischen und militärischen Führungspersönlichkeiten unserer Republik und des Warschauer Vertrages aus nächster Nähe zu erleben und sich mit Generalen und Offizieren der Bruderarmeen, die im Leitungsstab mit eingesetzt waren, austauschen zu können. 

Die Vorbereitung dieses einmaligen Manövers begann bereits Anfang des Jahres 1970 im Ministerium für Nationale Verteidigung in Strausberg im Bereich Operativ mit der Erarbeitung der operativen-strategischen Idee und der notwendigen Unterlagen (Direktiven, Befehle, Karten) für diese Übung. Dazu wurde ich im Januar 1970 ins Ministerium zur Mitarbeit in der Planungsgruppe bei der Erarbeitung der operativen Dokumente des Manövers „Waffenbrüderschaft-70“, kommandiert. Es war zu Beginn eine kleine Gruppe von 5 Mann unter Leitung von Oberst Martin Förster, dem Abteilungsleiter in der Verwaltung Operativ, die sehr geheim, die operativen Dokumente des Manövers auszuarbeiten hatten. Es waren harte Tage und Wochen, bei ständiger Überprüfung der geleisteten Arbeit durch den Chef der Operativen Verwaltung Generalleutnant Fritz Streletz,. Der Kreis derer, die dann an der Vorbereitung mitarbeiteten, wurde logischerweise immer größer, denn es galt ja auch die Stäbe und Truppen der handelnden 7 Armeen und die für die praktischen Handlungen der Armeen notwendigen Übungsplätze vorzubereiten. Hierfür war die Verwaltung Ausbildung, unter Leitung von Generalmajor Horst Stechbarth verantwortlich, wo ich auch meinen ehemaligen Vorgesetzten im PR-11, Oberstleutnant Manfred Grätz wieder traf, der für die Vorbereitung der praktischen Handlungen der Truppen mit verantwortlich war. Durch diese Kommandierung war ich faktisch von Anfang an bei diesem Manöver bis zur Feldparade in Magdeburg und den Manöverbällen mit beteiligt. Höhepunkte waren für mich dabei die Generalproben, die Durchführung der operativ-taktischen KSÜ und der Handlungen der Truppen der NVA und der Bruderarmeen auf den Übungsplätzen.
65 Jahre Warschauer VertragIch war mit Übungsbeginn im Leitungsstab, der sich in der Kaserne des PR-15 in Cottbus befand und im Führungszug des Ministers mit eingesetzt. Mit den Sonderausweisen hatte ich somit Zutritt zu allen Stäben, Truppen und Übungsplätzen, die ich mit entsprechender Weisung besuchen konnte. So konnte ich dann auch bei den Handlungen der Truppen vieler Bruderarmeen und die vielen Waffenbrüderschaftsbeziehungen selbst erleben.

Für mich war eine der interessantesten Etappe des Manövers die geplante Luftlandung der 103. Luftlande Division der Sowjetarmee aus Witebsk (Belorussland) unter dem Befehl von Generalmajor Alexander Jaschzenko. Die Division war eine der erfolgreichsten Divisionen der sowjetischen Luftlandetruppen (LLT) und schon teilweise mit dem neuen Luftlandepanzer BMD-1 ausgerüstet.

Am Tage der geplanten Luftlandung war jedoch sehr starker Nebel auf dem Übungsplatz der Luftlandung in der Letzlinger Heide und es stand die Frage, ob der Einsatz der LLT überhaupt bei solch starken Nebel stattfinden kann. Deshalb gab es am frühen Morgen im Führungszug des Ministers Hoffmann eine kurze Beratung, bei der nur eine Frage des Minister an den leitenden sowjetischen Luftlande- General gestellt wurde: „Wie ist die Lage, kann und wird die sowjetische 103. LL-Division bei diesem Wetter fliegen und auch die Truppen absetzen?“. Die Antwort war kurz und bündig: „Genosse Leitender, wir fliegen und landen wie befohlen“. Der Minister bedankte sich, wünschte viel Erfolg und die Beratung war damit zu Ende.
Diese Episode wollte ich mir auch unbedingt ansehen. Ich war am Platz, die LLT wurden pünktlich abgesetzt, man hörte das Rauschen der Flugzeugmotore, nur leider sahen die Hohen Gäste auf der Tribüne sehr wenig von der Landung der Luftlandetruppen und dem Landen der neuen Luftlandepanzer BMD-1, die mit dem neuen Landesystem abgesetzt wurden. Auch ich bekam nicht viel zu sehen. Der Nebel verhinderte es. Aber diese Luftlandung zeigte den hohen Ausbildungsstand und Gefechtsbereitschaft der sowjetischen LLT, die über eine große Strecke heran geflogen wurden und trotz schlechtestem Wetter ihren Kampfauftrag erfüllten. 

Neben vielen Erinnerungen an dieses Manöver waren aber für mich auch einige besondere persönliche Erlebnisse dabei, an die ich mich immer gern erinnere. Eine solche war für mich die persönliche Begegnung mit dem Oberkommandierenden des Warschauer Vertrages, dem Marschall der Sowjetunion Iwan, I. Jakubowski und seinem Stellvertreter und Chef des Stabes Armeegeneral Sergei, M. Schtemenko. 

Am 1. Tag des Manövers, erhielt ich abends im Leitungsstab in Cottbus von Generalleutnant Streletz die Aufgabe, am 2.Tag des Manövers den Oberkommandierenden und seine Begleitung von Gästehaus der Grenztruppen in Groß Köris, an der Autobahn A 13 gelegen, um 06.00 Uhr abzuholen und diese Fahrzeugkolonne auf den Truppenübungsplatz (TÜP) Königsbrück hin zu führen. Gegen 09.00 Uhr sollte der Marschall auf den TÜP sein, aber nicht vor unserem Minister. Naja, die Aufgabe war klar, alles wurde im Kollektiv vorbereitet und ich war früh um 05.30 mit dem Begleitkommando im Gästehaus. Kurz danach erschien auch der Ehrenbegleiter des Marschalls, der Stellvertreter des Ministers, Generalleutnant Werner Fleißner, dem ich mich vorstellte und meine Aufgabe meldete.
65 Jahre Warschauer Vertrag65 Jahre Warschauer VertragKurz vor 06.00 Uhr erschienen Marschall Jakubowski (linkes Bild) und Armeegeneral Schtemenko (Bild rechts unten) im Hof des Gästehauses. Ich meldete mich bei ihm, beide gegrüßten mich und der Marschall erkundigte sich kurz über unsere Fahrt. Ehe es los ging, sagte mir der begleitende sowjetische General, dass wir doch unterwegs eine kleine Pau­se einlegen möchten für einen kurzen Mor­gen­spa­zier­gang des Marschalls, möglichst in einem Birkenwäldchen. Ich überlegte, wo wohl solch eine Möglichkeit bestände und sagte mir dann, dass kann nur nach der Abfahrt von der Autobahn sein und es wird sich finden. Das musste ich also in meinen Zeitplan mit „verarbeiten“.
Die Fahrt verlief normal bis zur Abfahrt von der Autobahn Großenhain-Königsbrück. In der damals vorhandenen großen Kurve, war plötzlich die Wagenkolonne des Marschalls weg.
Die Aufregung war natürlich bei mir groß. Wir stießen zurück und da standen die 4 Fahrzeuge direkt in der Kurve und tatsächlich, es gab hier ein kleines Waldstück mit Birken und in dem schönsten morgendlichen Sonnenschein marschierten der große Marschall mit den kleineren Armeegeneral, ins Gespräche vertieft, auf und ab. Nachdem die Kolonne durch die Regulierer gesichert und ich wieder ruhiger war, ärgerte ich mich, ich hatte das Waldstückchen mit den Birken nicht erkannt. Nun machte ich mir aber auch Sorgen um den Zeitplan, weil der Spaziergang der beiden Großen für meine Begriffe schon sehr lange war. Ich traute mich aber nicht zu ihnen gehen, und die Spaziergänger in ihren Gesprächen zu unterbrechen. Auch General Fleißner erfüllte mir diesbezüglich meine Bitte nicht.
Aber der Marschall spürte scheinbar meine Ungeduld und es ging dann auch nach knapp 20 Minuten weiter. Ich konnte mich nun wieder auf die Fahrstrecke und den Zeitplan konzentrieren.
65 Jahre Warschauer VertragDie zweite Überraschung erlebte ich dann kurz vor der Einfahrt zur Gästebasis auf den TÜP Königsbrück. Ich wusste, dass dort in dem Waldgebiet vor dem Übungsplatz, zwei Garde Panzer Regimenter (das 40. und 44. GPR) der 11. Garde Panzer Division der Sowjetischen Streitkräfte sta­tio­niert waren, auf deren Straße wir zum Trup­pen­übungs­platz fahren mussten. Ich kannte auch russische Sitten und Gebräuche, aber erwartete nicht, dass diese Truppen uns hier eine weitere Überraschung bereiten. Wieder war die Wagenkolonne des Marschalls stehen geblieben. Der Divisionskommandeur ließ sich natürlich die Gelegenheit nicht nehmen, den hohen Gast auf seinem Territorium auf russische Art zu begrüßen, mit Wasser, Brot und Salz, das von zwei in Nationaltracht gekleideten Frauen dargereicht wurde. Diesmal war es nun nicht mehr so schlimm, der Zeitplan gab es noch her und unser Minister war auch schon vor uns durchgefahren, sodass es keine Probleme gab.

Wir kamen rechtzeitig auf dem befohlenen Platz auf dem TÜP an und unser Minister konnte seine Gäste herzlich begrüßen. Die Aufgabe war erfüllt, für mich ein bleibendes Erlebnis, nur leider gab es bei den ganzen Erlebnissen keine Fotografen. 

Zum Schluss möchte ich noch einen Gedanken aufgreifen. In Vorbereitung des 65. Jahrestages der Gründung der NVA im nächsten Jahr hat der Vorsitzende und der Vorstand unseres Verbandes dazu aufgerufen sich an der Aktion „65 Geschichten zum 65.“ zu beteiligen.
In diesem Jahr mit den vielen großen historischen Daten in unserer Geschichte, in denen gerade diese Ereignisse wieder dazu genutzt werden die Tatsachen zu verdrehen, zu verfälschen, zu lügen, uns zu verleumden, sind unsere Erinnerungen und Erlebnisse ein Beitrag dafür, unsere Wahrheit darstellen und so uns für den Dienst am Frieden und das hohe Gut der Verbundenheit und Freundschaft zu unseren Waffenbrüdern, selbst zu ehren. Es geht aber auch darum, die Sowjetarmee und ihrer Rolle bei der Zerschlagung des Faschismus und des japanischen Imperialismus, richtig darzustellen. Wer soll es sonst tun, wenn nicht wir?
Deshalb in Abwandlung des bekannten Spruchs Greif zur Feder - Kumpel sage ich „Greif zur Feder- Soldat“, schreib deine Erlebnisse und Erinnerungen auf und schick sie an den Verband. Sie sind ein guter Beitrag zur Würdigung der Leistungen unserer NVA und der Grenztruppen der DDR zum 65. Jahrestag der Gründung der NVA 2021.

Sebald Daum
Generalmajor a.D.

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