Krieg ist kein Gesetz der Natur
und der Frieden ist kein Geschenk

Eine ganz persönliche Betrachtung zum Thema
von
Generalleutnant a.D. Manfred Grätz

 

Die folgenden Zeilen schreibe ich noch ganz unter dem Eindruck einer für mich ganz starken, emotional wirksamen Antikriegsveranstaltung, zu der vier befreundete Vereine und Verbände, unter ihnen unser „Verband zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR“, eingeladen hatten, um ihren Protest gegen Militarisierung und Krieg zum Ausdruck zu bringen. Die unrühmlichen Jahrestage, die das Jahr 2014 bereithält – vor 100 Jahren begann der  erste,  vor 75 Jahren der zweite Weltkrieg, beide vom deutschen Imperialismus vom Zaune gebrochen, waren dafür der Anlass.

Professor Dr. Kurt Pätzold sprach dazu in eindringlichen Worten, mit überzeugenden Argumenten.

Der Ernst-Busch-Chor gestaltete ein dem Thema würdiges, künstlerisch ebenso wertvolles wie emotional wirksames Programm, welches von den Zuschauern im prall gefüllten Saal mit Begeisterung und viel Beifall aufgenommen wurde. 

Eine wahrhaft kraftvolle, Kraft spendende und Mut machende Veranstaltung, die mich, einen ehemaligen Militär, veranlasste, ein paar ganz persönliche Gedanken zu Papier zu bringen.

1935 geboren, war ich zu jung, um noch zur Hitler-Wehrmacht eingezogen zu werden, zu jung auch für das sog. letzte Aufgebot, in dem noch halbe Kinder zur „Verteidigung des Vaterlandes“ aufgeboten und geopfert wurden. Aber ich war reif genug, um den Wahnsinn des Krieges mit kindlich wachem Verstand zu erfassen. Dieser Krieg nahm mir meinen Vater, er kehrte von der Ostfront nicht zurück. Ungezählte von Fliegeralarm unterbrochene Nächte gruben sich tief ins Gedächtnis ein. Jene Nacht, als Chemnitz, ganz in der Nähe meines Heimatortes gelegen, durch anglo-amerikanische Bomber in Schutt und Asche gelegt wurde, habe ich nie vergessen.

Und so habe ich schon als Kind den Krieg regelrecht hassen gelernt, habe sein Ende im Mai 1945, nunmehr zehn Jahre alt, nicht als Niederlage Deutschlands, sondern als Befreiung erlebt, als Befreiung von Krieg und Faschismus.

„Es kann nur besser werden“, sagte mir schon damals meine kindliche Logik. Und so stellte ich mich, immer unterstützt und ermuntert von meiner nunmehr allein erziehenden, politisch sehr engagierten Mutter, allem Neuen, Fortschrittlichen, bereitwillig und aktiv zur Verfügung.

Noch als Kind in der Pionierorganisation, später, als Jugendlicher, in unserer FDJ und in der Sportbewegung. Überall war ich dabei, und nirgendwo im letzten Glied.

Und dann wurde ich Soldat, Ende 1952, knapp 18jährig.

Meinen tiefen Hass auf Krieg nahm ich mit. Und die Worte meiner Mutter, als wir uns damals voneinander verabschiedeten, waren mir zusätzliche Motivation. Sinngemäß sagte sie damals zu mir: „Junge, im ersten Weltkrieg habe ich meinen Vater, deinen Großvater, verloren. Der zweite Weltkrieg nahm mir meinen Mann, deinen Papa. Hilf du nun mit, damit es keinen dritten gibt. Ich möchte nicht auch noch meinen einzigen Sohn verlieren.“ 

Ich bin glücklich und auch ein wenig stolz, dass ich dazu beitragen durfte, diese zu Herzen gehenden Worte meiner Mutter, die ich als Vermächtnis verstand, zu erfüllen.

Bis 1990 zumindest. Solange ich die Uniform der Nationalen Volksarmee, jener deutschen Armee, die als einzige keinen Krieg geführt hat, tragen durfte. Kindliche Intuitionen, jugendliche Neugier und Begeisterung für das Neue waren der festen Überzeugung gewichen, alles zu tun, um die Menschheit vor einer erneuten Katastrophe zu bewahren. Mitzuhelfen, um mit starker militärischer Präsenz den Frieden zu erhalten und die Erkenntnis, alles Notwendige zu tun, um das, was ich an militärischem Rüstzeug in Praxis und Theorie erworben hatte, niemals anwenden zu müssen, waren gewissermaßen so etwas wie meine Lebensmaxime.

Wir haben es ernst gemeint mit unserer Verpflichtung, dem Frieden zu dienen, einen Krieg zu verhindern. Wir haben unseren Namen Volksarmee wörtlich genommen, haben die Sehnsucht der überwältigenden Mehrheit unserer Bevölkerung nach Frieden bewahrt. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die stürmischen Ereignisse im Herbst 1989 und zu Beginn des Jahres 1990 gewaltfrei verliefen, dass die Waffen schwiegen. Auch darüber, nach nunmehr 25 Jahren, einem weiteren Jahrestag im Jahre 2014, wird noch zu reden sein.

Seit dem sind 25 Jahre vergangen. Wir leben in einer anderen Welt.

In einer Welt, in der Kriege wieder als geeignetes Mittel zur Lösung von Konflikten angesehen werden, von den Regierenden zumindest. In einer Welt, in der, „begründet“ mit dem Todschlag-Argument Terrorgefahr und Terrorismus, abenteuerliche Einmischungen und Interventionen in innere Angelegenheiten fremder Völker erfolgen. In einer Welt, in der unter dem Vorwand friedenserhaltender Maßnahmen schamlos eigene ökonomische Interessen verborgen werden.

All das geschieht nicht nur mit Duldung der deutschen Regierungen, sondern leider, in den letzten Jahren immer offensichtlicher, mit aktiver deutscher Beteiligung und - noch schlimmer und unheilvoller – mit mehr oder weniger verklausuliertem Führungsanspruch.

Wie anders soll man das Auftreten unseres Bundespräsidenten, Herrn Gauck, auf der Münchener Sicherheitskonferenz denn sonst verstehen?

„Deutschland kann nicht weitermachen wie bisher.“

„Deutschland darf nicht aus Prinzip 'Nein' sagen“.

„... wir Deutschen sind auf dem Weg zu einer Form der Verantwortung, die wir noch nicht geübt haben“. Wirklich nicht? sollte man fragen.

Oder nehmen wir die nach Gauck provokatorisch in Fragen gekleideten Beispiele:

„... Nachbarschaft stabilisieren, im Osten wie in Afrika“,

„... militärische Risiken fair mit den Verbündeten teilen“,

„... für manche Weltgegenden interessieren, so wie es die Bedeutung dieser Länder verlangt“,

„... Welche Rolle wollen wir in den Krisen ferner Weltregionen spielen?“,

„... als guter Partner früher, entschiedener und substantieller einbringen“.

All das erfüllt mich mit großer Sorge um die Zukunft Deutschlands.

Sie wird durch die konzertanten Äußerungen durch die neue Verteidigungsministerin, Frau von der Leyen, und den neuen alten Außenminister, Herrn Steinmeier, nicht geringer. Im Gegenteil!

Quo vadis, Deutschland? Oder besser: Quo vadis, Deutschland, schon wieder?

Zu den christlichen Werten, denen Herr Gauck als studierter Theologe und ehemaliger Pastor verpflichtet ist, will ich mich nicht äußern. Als überzeugter Atheist überlasse ich das diesbezüglich kompetenteren Mitbürgern. Sollte allerdings die bekannte These „Schwerter zu Pflugscharen“ auch zu den christlichen Werten gehören oder zu den Werten der Bürgerbewegung Ende der 80er Jahre, der sich ja Herr Gauck in letzter Minute noch anschloss, dann muss schon ein gewaltiger Sinneswandel bei unserem Herrn Bundespräsidenten vor sich gegangen sein.

Wie er es aber mit dem Grundgesetz hält, welche Rolle das Grundgesetz überhaupt (noch) bei politischen Entscheidungen durch Regierung und andere Verantwortungsträger spielt, würde mich schon interessieren.

Wie oft hört man in Argumentationen unserer Politiker nahezu beschwörerische Formulierungen, die auf die Unantastbarkeit des Grundgesetzes abzielen, bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten. Bei der Proklamierung der „neuen“ Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands

(s. Gauck in München!), bei Neuregelungen zur Ausrichtung der Streitkräfte

(s. Bundeswehrreform!), bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr und anderen außenpolitischen Aktivitäten allerdings –  Fehlanzeige!

Meine Meinung: Ohnehin für eine „Übergangszeit“ im Mai 1949 vom damaligen Parlamentarischen Rat der Bundesrepublik Deutschland beschlossen, und insofern historisch überlebt, beruft man sich auf die „heilige Kuh“ Grundgesetz dann, wenn es gerade passend erscheint und unterlässt es geflissentlich, wenn  es fragwürdig oder problematisch wird

Eine Verletzung des Grundgesetzes zuzugeben ist ja nicht jedermanns Sache, schon gar nicht die führender Politiker. .

Was bleibt, ist meine, ist unsere berechtigte Sorge um die Zukunft Deutschlands. Quo vadis?
(s. oben!)

Für mich, für unseren „Verband zu Pflege der Traditionen der NVA und der Grenztruppen der DDR“ ein Grund mehr, nicht nachzulassen in unseren Bemühungen, unseren Beitrag zur historischen Wahrheitsfindung zu leisten und allen Verleumdungen und Diffamierungen mit überzeugenden Argumenten entgegenzuwirken.

Ganz im Sinne der eingangs erwähnten Antikriegskonferenz, die mit überzeugenden Argumenten und mit künstlerischen Mitteln dazu aufrief, aktiv tätig zu werden, tätig zu werden für Frieden und Völkerverständigung. Jeder ist gefragt!

 

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