"Unangemessene Lebensläufe" – das wirft Fragen auf

Zum zweiten August-Wochenende 2015 überraschten der Hamburger "spiegel-online" und dann auch "sputnik-news" aus Moskau mit dieser Nachricht, in der es u.a. heißt:

"Moskau hat Gert Gawellek, Brigadegeneral des Heeres der Bundeswehr, das Einreisevisum verweigert. So habe Moskau auf ein Einreiseverbot für einen russischen Militär reagiert, der seinen Dienst in Berlin aufnehmen sollte. Der Bundesverfassungsschutz in Köln habe den Lebenslauf des Russen für „unannehmbar“ befunden, ohne dass Details mitgeteilt worden seien, hieß es.
Dem „Spiegel“ zufolge soll Gawelleks Biografie für russische Kollegen kein Geheimnis sein. Gawellek sei der erste DDR-Militär, der es geschafft habe, im geeinten Deutschland General zu werden. Gawellek spreche fließend Russisch und habe seinerzeit an einer Militärakademie in Moskau studiert."

Das Stichwort "unannehmbarer Lebenslauf" läßt aufhorchen und wirft Fragen auf.
Wer nun ist dieser Gert Gewellek, der als erster früherer DDR-Militär in der Bundeswehr Generalsrang erhalten hat. Wikipedia hält hier folgende Informationen parat:

Der am 25. April 1959 geborene Gawellek diente seit 1978 in der NVA und absolvierte die Offiziersausbildung. Später habe er die Frunse-Militärakademie der Sowjetarmee in Moskau besucht. In der NVA hatte er mehrere Führungsverwendungen inne. Also muss der junge NVA-Offizier für die Führungen von DDR UdSSR kaderpolitisch überaus einwandfrei gewesen sein, denn ansonsten wäre er nicht zu Studium gerade an diese sowjetische Akademie delegiert worden.

Gawellek gehörte dann 1990 (Er war damals 31 Jahre alt und wohl Hauptmann oder gar schon Major) zu den etwa 3.000 Offizieren, Militärmedizinern und Offziersschülern, die von der Bundeswehr als Berufs- und längerfristige Soldaten auf Zeit übernommen worden sind. Auch hier muss er "kaderpolitisch" in Ordnung gewesen sein, denn  von 1996 bis 1998 absolvierte er einen Generalstabslehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Und dann ging es mit der Karriere dieses Mannes steil aufwärts: So wurde er 2000 Kommandeur der Einsatzkräfte im Kommando Spezialkräfte. Nach einem Afghanistan-Einsatz folgte ab 2002 eine Tätigkeit als Referent im Bundesministerium der Verteidigung und er war Leiter der Gruppe Grundlagen der Division Spezielle Operationen in Regensburg. Es folgten weitere Führungspositionen in höheren Stäben bis er im Mai 2013 Kommandeur der Luftlandebrigade 31 in Oldenburg wurde. Im Januar 2014 hat ihn dann Bundes"verteidigungs"ministerin Ursula von der Leyen  zum Brigadegeneral ernannt. Gawellek dürfte also nicht nur der erste Offizier der NVA sein, der Bundeswehrgeneral und Kommandeur eines Verbandes geworden ist (und der bis heute der einzige ist), sondern der auch als erster NVA-Militär in derartigen Stabsverwendungen berufen worden ist.

Nun zum Stichwort "unangemessener Lebenslauf" und den sich daraus ergebenden Fragen.
Weniger interessant ist die Frage, warum Bundespolitik ausgerechnet in dieser Zeit der offenen Konfrontation mit Rußland einen Offizier mit dieser doch eher ungewöhnlichen Karriere in zwei sehr verschiedenen deutschen Armeen als Militär-Diplomaten nach Moskau schicken wollte.

Interessanter ist schon die zweite Frage: Was hat Gawellek bewogen, in der Bundeswehr Dienst als Berufsoffizier zu tun? Wie war das mit dem Fahneneid der NVA? Und wie ehrlich waren seine damaligen politischen Bekundungen, ohne die er niemals an die Moskauer Akademie delegiert worden wäre?

Am interessantesten aber ist die Frage, warum die bundesdeutsche Politik mit DDR-Lebensläufen so selektiv umgeht. Einerseits wird selbst "kleinen hauptamtlichen Funktionären" von DDR-Massenorganisationen die Übernahme in subalterne Positionen im öffentlichen Dienst verwehrt. Und andererseits darf ein in DDR-Augen derart kaderpolitisch einwandfreier Mann höchste Positionen in der Interventionsarmee Bundeswehr einnehmen.

Nebenbei, Gawellek ist zwar der erste Bundeswehrgeneral mit NVA-Offiziersvergangenheit, aber er ist nicht der erste Ostdeutsche im Generalsrang in der Bundeswehr. Dies wurde eine Frau, eine frühere Offizierin im Med. Dienst der Volkspolizei, Dr. Erika Franke (geb. Am 8. Mai 1954). Sie war übrigens sogar erst die zweite Frau in dieser Ranggruppe.

Zu ihrer Karriere heißt es bei Wikipedia:
2001 wurde sie Dezernatsleiterin im Sanitätsamt der Bundeswehr in Bonn. Bis zum 31. März 2006 leitete sie das Institut für den Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr in Berlin.
Von April 2006 bis September 2009 war sie Chefärztin des Ulmer Bundeswehrkrankenhauses. In dieser Verwendung wurde sie auch zum Generalarzt (das entspricht einem Brigadegeneral) befördert. Von September 2009 bis Juni 2013 war sie Chefin des Stabes beim Sanitätsamt der Bundeswehr. Ab dem 1. Juli 2013 war sie bis zu ihrer Pensionierung Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr. Ende Oktober 2013 wurde sie zum Generalstabsarzt (das entspricht einem Generalmajor der Bundeswehr bzw. Generalleutnant der NVA) befördert.

Warum dieser Exkurs? Weil man einer Bundeswehr-Laufbahn wie der der Offzierin der DDR-Volkspolizei kann durchaus Verständnis entgegenbringen kann. Ganz im Gegenteil zu Karriere eines Gert Gawellek.

Siegfried R. Krebs

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